Warum Lächeln bei der Trauerfeier erlaubt ist
Stefan Bohle ist studierter Musiker. Seit über 20 Jahren hält er Trauerreden. Vor einigen Jahren gründete er das Bestattungsunternehmen SANS SOUCIS (OHNE SORGE) mit Niederlassungen in Potsdam, Sperenberg, Zossen und Berlin.
Der POTSDAMER sprach mit ihm über eine Branche, deren Dienstleistungen keiner in Anspruch nehmen möchte und doch jeder irgendwann einmal braucht.
Den Verlust eines geliebten Menschen verarbeiten wir alle unterschiedlich. Manche verdrängen den Schmerz, andere setzen sich ganz aktiv mit ihm auseinander. Immer jedoch stehen Erinnerungen an den Verstorbenen im Mittelpunkt der Verarbeitung, die jeder auf seine Weise zulässt.
„Der Verlust eines Menschen lässt gelebte Energie zurück. Diese Energie lebt in allen, die ihn kannten, als Erinnerung weiter. Die Bestattung ist dabei ein individuell zu gestaltendes Ritual, das die aktive Erinnerung anstoßen soll“, sagt Bohle. „Nur wer sich richtig erinnert, kann sich auch richtig und nachhaltig verabschieden.“
Wie stellen Sie sich auf die Hinterbliebenen ein?
„Jede Trauer unterliegt Schwankungen. Phasen, in denen es mal gut und mal weniger gut funktioniert, die schwere Situation zu beherrschen. Meist ist die Situation für die Betroffenen neu, immer aber ungewollt und unangenehm. Manchmal blieb keine Zeit, sich zu verabschieden. Das macht das Ertragen doppelt schwer. Aus diesem Grund ist es unsere Aufgabe, im Gespräch möglichst viel von dem Verstorbenen und denen, die zu uns kommen, zu erfahren. Das braucht allerdings Zeit. Kaum einer kommt zu uns und hat schon einen fertigen Plan im Kopf, wie die Bestattung eines geliebten Menschen auszusehen hat – es sei denn, man hat sich schon lange damit beschäftigt oder der Verstorbene hat zu Lebzeiten bereits alles genau geregelt und mit seinen Angehörigen besprochen.
Der seelische Zustand der Hinterbliebenen, die zu uns kommen, ist meist von Trauer erfüllt. In dieser Situation ist es unsere Aufgabe, ihnen eine Last abzunehmen, die sie ungewollt aufgebürdet bekommen haben. Diese Bürde, die Entscheidung über die Gestaltung und den Ablauf der letzten gemeinsamen Veranstaltung, können sie uns nur übergeben, wenn sie uns vertrauen. Wenn sie davon überzeugt sind, dass wir den Moment des Abschiednehmens so gestalten, wie es in ihrem Sinne ist und im Sinne des Verstorbenen gewesen wäre. Dieses Vertrauen müssen wir uns in dem Gespräch verdienen. Wir verstehen deshalb unsere Arbeit als Begleiter, als Orientierungshelfer, als Unterstützer, um zu einer für die Hinterbliebenen bestmöglichen Entscheidung zu gelangen. Eine Entscheidung, an die sie selbst ihr Leben lang denken und in guter Erinnerung behalten sollten. Es muss also die richtige Entscheidung sein, die nachhaltig für alle wirken kann, die an der Trauerfeier teilnehmen.
Im Laufe der Gespräche mit den Angehörigen entwickelt sich ein Verstehen. Das heißt, je mehr ich bereit bin, zuzuhören und am anderen Anteil zu nehmen, desto mehr kann ich ihm helfen. Eine Strategie in dem Sinne gibt es dabei nicht. Diese ist immer so individuell wie auch jedes Leben individuell ist.
Damit ein Bestattungsritual die gewünschte nachhaltige Wirkung erzielt, muss man den Hinterbliebenen auch Raum und Zeit für die Trauer geben. Wir arbeiten für die Lebenden. Wir kennen den Hintergrund, warum jemand zu uns kommt. Aber wir kennen nicht die Geschichte hinter den Verstorbenen und ihrer Beziehung zu denen, die zu uns kommen. Aus diesem Grund ist es für uns erst einmal wichtig, dass wir denen, die unsere Begleitung suchen, zuhören. Erst in dem Gespräch erfahren wir, was den Verstorbenen ausgemacht hat, was er sich wohl gewünscht hat und welche Vorstellungen die Hinterbliebenen von der Trauerfeier und dem Bestattungsritual haben.
Wir legen bei unserer Arbeit großen Wert darauf, nicht nur die Versorgung der Verstorbenen in den Mittelpunkt zu nehmen, sondern Erinnerungen so zu platzieren, dass es den Angehörigen gut tut und eine heilsame Perspektive aufzeigt.“
Sind alle Bestatter gleich oder gibt es zu beachtende Unterschiede?
„Es gibt unterschiedliche Auffassungen unseres Berufes. Manche bieten Billig-Bestattungen an. Deren Kunden geht es primär um ein schnelles und kostengünstiges Begräbnis. Das Ritual des Abschiednehmens spielt dabei eine untergeordnete, oft sogar gar keine Rolle. Je geringer die Beziehung zwischen Verstorbenem und denjenigen ist, die sich um die Beisetzung kümmern müssen, desto weniger steht die Gestaltung der Trauerfeier im Vordergrund.
Andere Anbieter sind eher produktorientiert und versuchen, den Hinterbliebenen möglichst viel zu verkaufen, ohne im Vorfeld ausreichend Informationen über den Verstorbenen und deren Hinterbliebene erhalten zu haben. Von diesen sehr unpersönlichen und stark monetär ausgerichteten Dienstleistungsverständnissen distanzieren wir uns deutlich. Meine Mitarbeiter und ich verstehen uns als Raum gebende Begleiter und Berater auf dem Weg, die Bestattung so individuell und passend wie möglich zu gestalten. Nur dann kann man in Frieden und mit der notwenigen Offenheit und Bereitschaft von einem geliebten Menschen Abschied nehmen. Wir sind mit einem Wort ‚ritualorientiert‘.
Aus diesem Grund wünsche ich mir auch im Rahmen der Ausbildung zum Bestatter, dass neben den handwerklichen Fertigkeiten die sich dem Ritual widmenden sowie die zwischenmenschlichen und kommunikativen Fertigkeiten mehr in den Vordergrund der Ausbildung rücken.“
Was kann man zu Lebzeiten tun, um es seinen Angehörigen bzw. Hinterbliebenen so leicht wie möglich zu machen?
„Bestattungsvorsorge ist in der Regel eine sehr gute Maßnahme, um den Hinterbliebenen eine große Last zu nehmen. Suchen Sie das Gespräch mit dem Bestatter Ihrer Wahl und sprechen Sie mit ihm über alles. Auch darüber, in welcher Form die Bestattung vollzogen werden soll.
Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass der Familienkreis oftmals mit der Auswahl der Bestattungsform überfordert ist. Ist die Form der eigenen Beisetzung im Vorfeld eindeutig geregelt, werden auch mögliche Konflikte unter den Hinterbliebenen vermieden.“
Können Sie immer den notwendigen Abstand zu den persönlichen Schicksalen bewahren?
Alle persönlichen Schicksale bewegen einen auch gedanklich. Ganz besonders intensiv ist die Anteilnahme dann, wenn die Hinterbliebenen überdurchschnittlich aufmerksam sind. Eine sehr intensive Erfahrung habe ich bei der Bestattung eines Behinderten gemacht, bei der die vielen ebenfalls behinderten Trauernden eine Offenheit zeigten, die ich in dieser Intensität selten erlebt habe. Während der Trauerfeier war im Raum eine ungeteilte und sehr ehrliche Energie spürbar, die einfach jeden hat erfassen müssen.
Zwischen dem Moment, in dem der Leichnam abgeholt wird, bis zu seiner Bestattung vergehen oft mehrere Tage. Was passiert in dieser Zeit mit dem Verstorbenen? Ist es empfehlenswert, während dieser Zeit bei dem Verstorbenen zu sein oder eher nicht?
In der Regel wird der Verstorbene bis zur Bestattung gekühlt und für die Beisetzung entsprechend vorbereitet, gewaschen, angekleidet.
Es ist also in erster Linie Aufgabe des Bestatters, sich in dieser Zeit um die Verstorbenen zu kümmern und sie je nach kulturellen und individuellen Wünschen auf die Zeremonie vorzubereiten. Dazu gehören auch thanatopraktische Aufgaben, die nur Fachkräfte durchführen können. Aus meiner Erfahrung liegt es nicht mehr im Kräftefeld der Angehörigen, das auch noch zu verantworten. Sich um die optimale Versorgung der Verstorbenen zu kümmern, sollte daher allein dem Bestatter übergeben werden.“
Das letzte Mal zusammen
Ehrlichkeit in Trauer und Demut sind in unserer Gesellschaft immer weniger vertreten. Seinem Gegenüber die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken, „am Menschen anzudocken“, ist laut Bohle immer weniger zu beobachten. Immer schneller und dadurch oberflächlicher gestalten sich viele Bereiche des Lebens, vor allem die zwischenmenschlichen. Aus diesem Grund legt Bohle ganz besonderen Wert drauf, dass der letzte gemeinsame Moment ein unvergesslicher bleibt.
Es kommt auch vor, dass keine Zeit blieb, um sich zu verabschieden, weil der Tod plötzlich und unerwartet eingetreten ist. Für Bohle ist es wichtig, dass man das Ritual berücksichtigt und dem individuellen Abschied zusätzlichen Rahmen und Raum bietet.
„Der Tag der Beisetzung ist für viele der schwerste Moment. Den Hinterbliebenen wird bewusst, dass der Abschied endgültig ist. Am Tag der Beisetzung kehrt in die Menschen eine eigene Ruhe ein, sie werden nachdenklich, hilflos, manchmal sogar schwach und sehen sich oftmals mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert“, weiß Bohle aus Erfahrung. „Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir die Hinterbliebenen auf diesen Moment gut vorbereitet haben. Wir beobachten, dass die Menschen, die wir begleiten, dem Tag des Abschieds mit einer positiven Energie begegnen, weil sie gut darauf vorbereitet wurden. Sie wissen, dass das folgende Ritual zu dem Verstorbenen passt, dass Erinnerungen und Emotionen mit Offenheit und Verständnis begegnet werden und dass sie selbst ein wichtiger Teil des Rituals geworden sind, indem sie zu dessen Gestaltung beigetragen haben. So sind sie gefasster, innerlich ruhiger und emotional offener für das folgende Ritual“, schildert Bohles Mitarbeiterin, Malgorzata Wittek, ihre Eindrücke.
„Für uns stehen zwei Dinge im Vordergrund unserer Arbeit“, sagt Bohle. „Die passende Gestaltung für die Trauerfeier im Gespräch mit den Hinterbliebenen zu finden und die Hinterbliebenen selbst auf diesen Tag bestmöglich vorzubereiten, so dass dieser Tag für sie als ‚positives‘ Erlebnis in Erinnerung bleibt. Aus diesem Grund freuen wir uns ganz besonders, wenn wir im Rahmen der Trauerfeier Lächeln auf manchen Gesichtern sehen. Das hat nichts mit Albernheit oder Witz zu tun, sondern damit, dass man sich gerne an etwas erinnert, individuelle Erfahrungen, die einen mit dem Verstorbenen verbinden, weil man sie gemeinsam hat erleben dürfen.“
So soll das individuelle Ritual einer Bestattung den Prozess der Erinnerung anstoßen, ordnen und ausrichten. Es soll den Hinterbliebenen Halt geben und jene Form von Gemeinschaft vermitteln, die es braucht, den Weg zur Grabstätte und zurück ins Leben zu gehen. So versteht Bohle seinen Auftrag, denn das Bestattungsritual soll denjenigen dienen, die im Sinne des Verstorbenen weiterleben und ihm dankbar sind. „Dankbarkeit ist die schönste Form der Erinnerung“, so Bohle.
sts