Lebensraum für Wisent & Co. in der Naturlandschaft Döberitzer Heide
Man muss nicht um die ganze Welt reisen, um Wildtiere zu beobachten. Es gibt auch bei uns ganz in der Nähe „Natur pur“ und „wilde Orte“. Unsere Autorin Franziska Lechtenbrink hat einen davon besucht.
Die Luft ist diesig vom starken Regen und verpasst der Landschaft einen mystischen Schleier. Der Wald ist stellenweise so dicht, dass man schwer hindurchsehen kann. Menschen haben hier schon lange nicht mehr eingegriffen. Im Gegenteil: Die Natur und ihre Tierwelt ist hier sich selbst überlassen und kann sich frei entfalten. Lange Zeit lässt sich kein einziges Tier blicken. Doch dann endlich – tauchen schemenhaft zwei braune Kolosse in der Landschaft auf. Wie in einem Gemälde verharren die beiden Wisente ganz still und schauen scheu hinüber, bevor sie weitergrasen. Ein bewegender Moment – waren diese Tiere doch lange in freier Wildbahn ausgestorben.
Ich bin keine zehn Kilometer von der Berliner Stadtgrenze entfernt, und doch in einer ganz anderen Welt: Hier im Westen der Hauptstadt befindet sich die Naturlandschaft Döberitzer Heide. Einst Truppenübungsplatz, hat die Heinz Sielmann Stiftung 2004 auf beinahe 40 Quadratkilometern fast ausgestorbenen Wildtierarten einen Lebensraum gegeben.
Peter Nitschke ist Leiter der Sielmanns Naturlandschaft Döberitzer Heide und erklärt die wesentlichen Ziele, die mit diesem Projekt verknüpft sind: „Einerseits wollen wir zum Arterhalt der seltenen großen Pflanzenfresser Wisent und Przewalskipferd beitragen.“ Er bezieht außerdem noch das Rotwild mit ein. „Mit diesen drei Arten decken wir zusätzlich zu den hier heimischen Arten Schwarzwild, Damwild, Rehwild und Biber die komplette Pflanzenfresser-Gemeinschaft ab, wie sie früher vor Jahrhunderten einmal existiert hat“, sagt er. Das zweite Ziel sei es, die so wichtigen und seltenen Offenlandlebensräume zu erhalten. „Das funktioniert sehr gut, denn die großen Tiere halten Flächen durchs Grasen frei. Außerdem entstehen durch ihr Staubbaden, Suhlen und ihre Wanderungen stellenweise Rohbodenverhältnisse. So bilden die offenen Heideflächen einen besonderen Lebensraum unter anderem für den Wiedehopf, die Zauneidechse sowie zahlreiche verschiedene Schmetterlinge und Wildbienen. Durch den Dung der Tiere entfalten sich außerdem Dungkäfer, Pilze und Insekten. Heute leben rund 6.600 verschiedene Tier-, Pilz- und Pflanzenarten in dieser geschützten Landschaft.
Einst bevölkerten Wisente in großer Zahl die Landschaften Europas, doch die Zersiedlung der Landschaften und die Jagd wurden ihnen zum Verhängnis: 1927 wurde der letzte Wisent erschossen, und so waren die bis zu 1.000 Kilo schweren Kolosse in Mitteleuropa ausgestorben. Ähnlich tragisch war das Schicksal des Przewalskipferdes. Es handelt sich dabei um die einzige Urform des Wildpferdes, die bis heute überlebt hat. Nitschke erklärt: „Es gab von beiden Tierarten jeweils nur noch zwölf für die Zucht geeignete Tiere weltweit. Zuchtprogramme wurden gestartet, um die Arten zu erhalten – mit Erfolg.“
Heute gibt es wieder etwa 10.000 Wisente weltweit – und ein paar wildlebende Herden, unter anderem auch im deutschen Rothaargebirge. In der Naturlandschaft Döberitzer Heide leben rund 130 Wisente. Auch der Bestand der Przewalskipferde hat sich erholt. Mittlerweile gibt es wieder rund 2.200 Tiere, in der Döberitzer Heide sind es 23.
In der 1.860 Hektar großen umzäunten Kernzone können die Tiere nun ihr wildes Leben leben – und vom 22 Kilometer langen Wander- und Radweg drumherum kann man sie beobachten. Rastplätze laden zum Picknick ein, und ein Aussichtsturm bietet aus 85 Metern Höhe einen tollen Blick über die wilde Landschaft bis zum Berliner Fernsehturm. Wer Geduld mitbringt, hat die Chance, einen Blick auf die scheuen, sanften Riesen, die Przewalskipferde oder Rothirsche zu erhaschen.
Neu eröffnet: Seit März ist die Döberitzer Heide um eine Attraktion reicher: Am 15. März haben Bundesumweltministerin Steffi Lemke, Ministerin Kathrin Schneider, Chefin der brandenburgischen Staatskanzlei, und Dr.-Ing. E.h. Fritz Brickwedde, Stiftungsratsvorsitzender der Heinz Sielmann Stiftung, das neue Natur-Erlebniszentrum Döberitzer Heide eröffnet. Es befindet sich in einem für dir Panzerausbildung der sowjetischen Armee erbauten Gebäude auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz „Döberitz“. Schon ab 1713 wurden in dem Areal unter Friedrich Wilhelm I. Truppenübungen abgehalten. 1753 gab es ein Großmanöver mit rund 44.000 Soldaten. Während des Zweiten Weltkrieges wurden in Döberitz neben Kampfpiloten auch Infanteristen, Artilleristen und Flak-Soldaten ausgebildet. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren hier Sowjetische Panzereinheiten der Garnison Elstal auf dem Gelände.
2014 hat die Stiftung den markanten Bau erworben, in den vergangenen Jahren von Grund auf saniert und zu einem Natur-Erlebniszentrum umgebaut. Der südliche Seitenflügel beherbergt jetzt den Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, das Herzstück des Natur-Erlebniszentrums. 325 Quadratmeter stehen damit für Umweltbildung und Veranstaltungen zur Verfügung.
„Die Entwicklung der Döberitzer Heide zeigt: Naturschutz wirkt. Der erfolgreiche Artenschutz, den Sie hier ermöglichen, trägt mit zum Erhalt unserer Lebensgrundlagen bei. Hier wird gezeigt, wie erfolgreich Naturschutz sein kann und mit einem Gewinn für das Leben der Menschen vor Ort verbunden ist. Für diesen gelebten Naturschutz und die Vermittlung des Wissens ist das Natur-Erlebniszentrum ein herausragendes Beispiel. Die Heinz Sielmann Stiftung ist ein starker Partner, um den Naturschutz weiter in die Herzen der Menschen vor Ort zu tragen“, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke in ihrer Rede anlässlich der Eröffnung.
Ministerin Kathrin Schneider betonte: „Das Natur-Erlebniszentrum Döberitzer Heide ist ein weiterer Höhepunkt des mehr als 20-jährigen Engagements der Stiftung in Brandenburg. Sie leistet hervorragende Arbeit für die Regeneration und Bewahrung unserer heimischen Naturlandschaften. Mit dem ideenreichen und innovativen neuen Erlebniszentrum ist ein lebendiger Ort entstanden, der Besucherinnen und Besucher über den Artenreichtum in der Döberitzer Heide informiert, neugierig macht und auch begeistern kann. Die Zusammenarbeit mit der Stiftung ist für das Land Brandenburg ein großer Gewinn. Die Ziele der Stiftung sind auch unsere Ziele: Brandenburgs großen Reichtum und herausragende Vielfalt an Landschaften für künftige Generationen zu bewahren.“
Die Heinz Sielmann Stiftung hat neben der Döberitzer Heide auch weitere Natur- und Artenschutzprojekte ins Leben gerufen und Naturlandschaften und Biotopverbünde für eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt geschaffen. Dazu zählen unter anderem das Waldbiotop Schwäbische Alp, die Biotopverbünde am Bodensee und bei Schwandorf in Niederbayern oder im Eichsfeld/Werratal in Niedersachsen. All diese Projekte kann man auch besuchen und dort sogar an Exkursionen teilnehmen. Franziska Lechtenbrink