2. Teil des Gesprächs mit dem Erzdiakon der russisch-orthodoxen Alexander-Newski-Gedächtniskirche, Teil 6 der Serie „Potsdams russische Wurzeln“
Als vor 34 Jahren der damals elf Jahre alte Daniel Koljada mit seinen Eltern und seinen Geschwistern aus der Sowjetunion nach Potsdam kam, war die russisch-orthodoxe Alexander-Newski Gedächtniskirche seit fast 20 Jahren geschlossen. Der letzte Priester war Nikolai Marković, der von 1948 bis 1968 der Kirche diente. Von 1968 bis 1986 hatte die Kirche keinen Priester. Nur einmal im Jahr kam ein Priester aus Berlin für einen Gottesdienst in die kleine Gemeinde nach Potsdam.
Im Interview mit dem POTSDAMER erzählt der heutige Erzdijakon der russisch-orthodoxen Alexander-Newski Gedächtniskirche in Potsdam, wie sich die Gemeinde seitdem entwickelt hat.
Wie viele Gemeindemitglieder zählt Ihre Kirche und wie hoch ist der Anteil von Jugendlichen unter ihnen?
Wir haben eine freiwillige Registrierung der Gemeindemitglieder, und die sind jetzt so um die 850 Leute. Aber unser Einzugsgebiet ist ja nicht nur Potsdam, sondern Potsdam-Mittelmark, Potsdam-Fläming, Spandau und Zehlendorf aus Berlin. Manchmal kommen auch Leute aus Hannover zum Gottesdienst. Jeder, der sich orthodox nennt und dem Glauben angehört, kann in unsere Kirche kommen. Wir haben auch Bulgaren und Griechen in der Gemeine. Einer ist in der jüdischen Gemeinde, der andere orthodox. Der Anteil der Jugendlichen ist etwa wie der in Deutschland. Weil es in unserem Glauben üblicher ist, mehrere Kinder zu haben, ist der an Kindern und Jugendlichen in unserer Kirchengemeinde etwas höher. Wir haben auch eine Sonntagsschule für Kinder, die seit zehn Jahren besteht und immer stetig wächst.
Sind die heutigen Jugendlichen Ihrer Meinung nach noch nah an Gott?
Die heutige Jugend hat etwas andere Werte und eine andere Weltanschauung als die Jugend meiner Generation. Die Vermittling des Glaubes hängt sehr stark von der Familie ab. Früher war es so, dass einem in der Schule eine erste Sicht auf die Welt mitgegeben wurde. Heutzutage ist die Schule vor allem dazu da, um Wissen zu vermitteln. Sie gibt einem also keine weltanschauliche Richtung mehr vor. Du kannst frei entscheiden, was du machen willst. Denen, die etwas mehr Zuwendung und Orientierung benötigen, weil sie sich in dieser Welt sonst verloren fühlen oder Probleme in der Schule, zu Hause oder unter ihren Freunden haben, helfen wir intensiver.
Ich finde es sehr wichtig, in der Gemeindearbeit auch Probleme in der Familie anzusprechen und die Eltern zu motivieren, dass sie die Kinder wenigstens mit der Kultur oder mit der Religion bekanntmachen, um ihnen eine Identität zu vermitten.
Früher war es Tradition, dass man getauft wurde, wenn man aus Russland kam. Wenn man erwachsen war, war die kirliche Trauung selbstverständlich. Heute ist das anders. Wir als Kirche taufen erst, wenn wir sehen, dass die Familie bzw. eine Person selbst ein richtiger Christ ist.
Wie möchten Sie Jugendliche wieder näher zur Kirche bringen?
Leider verfügen wir über keine großen Möglichkeiten, kostspielige und aufwendige Maßnahmen mit der Jugend und überhaupt der Gemeinde durchzuführen, weil wir keine eigenen Räumlichkeiten dafür haben. Wir müssen also Räume anmieten, wenn wir sie brauchen. Weil die Gemeinde zu groß geworden ist, arbeiten wir schon seit Jahren an dem Projekt des Gemeindezentrums, das jetzt in die Baugenehmigungsphase geht. Wir verhandeln derzeit noch mit der Stadtverwaltung über Konditionen für das Grundstück und können es hoffentlich bald bauen. Erst dort werden wir dann die Möglichkeiten haben, mehr Präsenz zu zeigen und mehr Jugendarbeit leisten zu können. Aber auch so haben wir Bibelstunde für Erwachsene und Katechetenunterricht. Für die Kinder haben wir Sonntagsschule. Die gehen regelmäßig mit dieser Schule zu Ausflügen, haben Veranstaltungen, Vorführungen zu jedem großen Fest wie Ostern oder Weihnachten.
Welche Riten werden bei Ihnen am häufigsten abgehalten?
In Rahmen unserer Gottesdienste gibt es einige. Dazu kommen Beichten und die Heilige Kommunion, als eingenständige Sacramente natürlich Taufen, dann kirchliche Trauungen und Begräbnisse. Wir begleiten den Menschen also von der Geburt bis zum Tod.
Aufgrund des Risikos einer Corona-Infektion sind viele Menschen weiterhin gezwungen, ihre sozialen Kontakte erheblich einzuschränken. Wie gehen Sie mit dieser Situation um?
Was mich an der ersten Welle gestört hat, ist, dass die Regierung gleich die Kirchen mit in die Restriktionen aufgenommen hat. Das war für alle ein sehr großer Einschnitt, dass wir nicht öffentlich dienen konnten und die Gottesdienste ohne Gemeindemitglieder abhalten mussten. Gott sei Dank haben wir eine Familie, die den kompletten Gottesdienst selbst abhalten kann. Ich als Diakon, mein Vater Priester, meine Frau als Chorleiterin kann singen und meine Söhne als Ministranten. Ein Gottesdienst kann daher fast normal ablaufen. Wir haben es einen Monat lang so gemacht und es live im Internet übertragen, damit die Gemeindemitglieder es auch zu Hause verfolgen und beten konnten.
Die Menschen brauchen die Kirche als Ort, wo sie zu Gott beten und das Gespräch finden können. Der Mensch braucht einen Bezugspunkt und er braucht andere Menschen, mit denen er sich austauschen kann. Zwischendurch konnten wir uns im kleinen Rahmen wieder versammeln und Gottesdienste abhalten – natürlich unter Einhaltung aller Bedingungen. Die Maske tragen, Abstand halten, das regelmäßige Desinfizieren und sowas alles. Wir hatten auch in der Diözese eine Priesterversammlung, wo wir diese Maßnahmen genau abgesprochen haben, damit unseren Kirche nicht zu einem Infektionshotspot wird.
Leider sind auch viele Feste ausgefallen, so zum Beispiel Ostern. Seit dem 16. Dezember 2020 gelten in Potsdam die Vorschriften der dritten Eindämmungsverordnung des Landes Brandenburg. Gottesdienste können wir auch weiterhin in unserer Kirchen nur unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln durchführen. Aktuell werden bei uns maximal 20 bis 25 Personen zum Gottesdienst zugelassen. Eine Voranmeldung – telefonisch o. per E-Mail – ist für die Teilnahme obligatorisch. Selbstverständlich achten wir auf die Maskenpflicht, die Zugangsbeschränkungen und die allgemeinen Regeln für den Kirchenbesuch.
Wir wissen nicht, wie es weitergehen wird, was für uns sehr schwierig ist, weil wir mit den Menschen direkt in Kontakt treten müssen. Ohne eine direkte Kommunikation kann ja keine richtige Seelsorge betrieben werden. Wir können unsere Gemeindemitglieder nicht nur telefonisch trösten oder die Taufe oder die Begräbnisse online begleiten. Trotzdem sind wir über alle Kanäle offen. Wir sind modern eingestellt, so dass die Menschen unseren Gottesdiensten auch online folgen können, wenn sie zu uns nicht kommen können.
Welche Herausforderung sehen Sie darin, wenn Menschen gezwungen sind, voneinander Abstand zu halten? Welche Lehren sollten man aus der Corona-Pandemie ziehen?
Es ist, hoffe ich, nur eine vorübergehende Sache. Die Gesundheit aller muss an erster Stelle stehen. Und, Gott sei Dank, haben die meisten Verständnis dafür. Natürlich ist es ein großer Einschnit in unsere Gewohnheiten. Erst jetzt begreifen die Menschen, was ihnen die persönlichen Kontakte bedeuten. Mann erlebt aber auch die große Hilfsbereischaft anderer, die besonders betroffene ältere Menschen unterstützen, für sie z.B. den Einkauf erledigen.
Corona stellt für uns alle also eine sehr große Herausforderung dar. Wenn wir uns aber auf die wesentlichen Dinge besinnen, an unsere Mitmenschen denken und Rücksicht nehmen, werden wir diese Zeit gut überstehen.
Ist die russisch-orthodoxe Alexander Newski Gedächtniskirche in Potsdam eine kleine Insel der russischen Welt? Womit hier vor allem die russische Seele gemeint ist.
Nein, wir sehen uns nicht nur so. Unsere Gemeindemitglieder sind mehrheitlich Deutsche. Und was die russische Seele betrifft, dann können wir uns schon verstehen, weil wir ja diese Bindung zur Kultur haben. Wir sind auch nicht von Russland abhängig. Wir sind eine eigenständige Kirche in Deutschland und haben auch einen Status hier im Land Brandenburg als Körpeschaft öffentlichen Rechts wie auch die anderen großen Kirchen. Und deshalb leben wir auch nach hiesigen Gesetzen sowie nach Statuten von Glaubenslehren der russisch-orthodoxen Kirche.
Hier in Deutschland habe ich viele Menschen getroffen, die russische Wurzeln haben. Viele von ihnen kamen nach dem Zusammenbruch der UdSSR hierher. Mit dem Leben in Deutschland sind sie zufrieden. Jedoch geben sie zu, dass ihre Seele in Russland geblieben ist und sie eine ständige Sehnsucht nach ihrer alten Heimat spüren. Wie können Sie diesen helfen?
Das erleben wir jeden Tag. Weil die Kirche in dem russischen Dorf Alexandrowka steht, wo sogar die Häuser „altrussisch“ aussehen und die Kirche im russisch-klassizistischen Stil erbaut wurde, sagen viele Besucher – „das sieht hier aus wie in Russland“ oder „das ist wie in meiner Heimat“, „das ist ein Stückchen Rußland mitten in Potsdam“. Und dazu kommen noch unsere Gottesdienste, die mehrheitlich auf Kirchen-Slawisch abgehalten werden, da kommen die Heimatgefühle zurück, und wir versuchen diesen „Hunger“ nach der Heimat mit unseren Gottesdiensten, unserer Gemeindearbeit und persönlichen Gesprächen ein wenig zu stillen.
Das Gespräch mit Herrn Koljada führte Femida Selimova.