Welchem Zweck dient das Disziplinarverfahren gegen seinen Beigeordneten wirklich?
Wieder einmal überrascht Potsdams Oberbürgermeister, Mike Schubert (SPD), mit Aktionen, die der Stadt wahrscheinlich mehr schaden als ihr in ihrer ohnehin angespannten Situation helfen. Sein jüngster Coup: gegen den Beigeordneten für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Umwelt, Bernd Rubelt, ein Disziplinarverfahren einzuleiten.
Gegenstand dieses Verfahrens soll der Vorwurf sein, dass der Beigeordnete im Februar dieses Jahres auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen in Werder (Havel) mitspaziert sein soll. Grundlage für die Eröffnung dieses Verfahren sei allerdings nur ein „anonymer Hinweis“, heißt es.
Privatsache oder Dienstvergehen?
In Deutschland leben wir in einem Rechtsstaat, der seinen Bürgern verschiedene Grundrechte zusichert. Darunter ist auch das Recht der freien Meinungsäußerung.
In Artikel 5 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland heißt es dazu in Absatz 1: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“
Nach Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes haben zusätzlich alle Deutschen das Recht, „sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln“.
Diese Grundgesetze muss auch ein Oberbürgermeister anerkennen – egal, ob es ihm passt oder nicht. Allerdings gibt es für Beamte Verhaltensvorschriften, an die sich diese zu halten haben. Tun sie dies nicht, kann ein Dienstvergehen vorliegen und ist die Einleitung eines Disziplinarverfahrens möglich, in besonderen Fällen sogar wahrscheinlich.
Gründe für das Einleiten eines Disziplinarverfahrens gegen einen Beamten können sein: massiver Arbeitszeitbetrug, Alkoholkonsum mit Auswirkungen auf den Dienst, Bestechlichkeit, Mobbing von Kollegen, Untreue und andere.
Aber auch ein nachgewiesenes Verhalten außerhalb des Dienstes kann als Dienstvergehen gewertet werden, wenn es sich unzweifelhaft auf die pflichtigen Aufgaben des Beamten auswirkt. So könne ein Lehrer, bei dem kinderpornografisches Material zuhause gefunden wird, mit einem Disziplinarverfahren rechnen. (Quelle: www.kanzlei-hallermann.de)
Laut vorliegender Informationen habe Schubert das Disziplinarverfahren allerdings nur auf einen „anonymen Hinweis“ hin eingeleitet, der im Rathaus eingegangen sein soll. Zu einem Zeitpunkt also, zu dem offiziell noch keine rechtlich zu verwertenden Beweise vorlagen und bevor er seinen Beigeordneten zu dem angeblichen Vorfall selbst befragt haben soll. Auch ist fraglich, wer dem Rathaus den angeblich „anonymen Hinweis“ gegeben hat, da selbst die Polizei keine Informationen über andere Personen aus datenschutzrechtlichen Gründen nach außen gibt.
Dem POTSDAMER gegenüber hat Rubelt versichert, dass er nichts getan habe, was die Einleitung eines Disziplinarverfahrens begründen könne. Das habe er auch dem Oberbürgermeister mitgeteilt. Sowohl die zuständige Polizeidienststelle als auch das Rathaus Potsdam wollten aufgrund des laufenden Verfahrens zu der Sache auf Nachfrage des POTSDAMERs keine Angaben machen.
Cui bono?
Wem nutzt es? Die Frage, wer der eigentliche Nutznießer ist, ist eine der Kernfragen der Kriminalistik, wenn es um die Aufklärung eines Sachverhaltes geht. In dem vorliegenden Fall ist daher die Frage berechtigt, wem es nutzt, wenn der Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt, deren Verwaltung zusammenzubrechen droht, ein Disziplinarverfahren gegen einen seiner wichtigsten Mitarbeiter führt und das Risiko eingeht, diesen auch noch zu verlieren.
Um diese Frage zu beantworten, ist ein Blick auf die Situation hilfreich, in der sich Potsdams Oberbürgermeister gerade befindet: Die Stadt hat seit Jahren das Problem des Wohnungsmangels – vor allem im Bereich des bezahlbaren Wohnraums –, und der Oberbürgermeister kann aktuell kein Projekt vorweisen, mit dem er dieses Problem lösen kann. Der Verkehr auf Potsdams Straßen nimmt immer mehr zu, ohne dass der Oberbürgermeister bis dato einen nachhaltigen Plan dafür präsentieren konnte, den drohenden Verkehrskollaps zu verhindern.
Sowohl für den Bereich Wohnungsbau als auch für den Bereich Verkehr ist der durch die Aktion des Oberbürgermeisters in Misskredit geratene Beigeordnete, Bernd Rubelt, verantwortlich. Gegen diesen hege Schubert allerdings schon seit einigen Monaten eine Abneigung, wie aus der Verwaltung und seitens einiger Stadtverordneter zu hören ist. Der Grund dafür soll darin liegen, dass Mike Schubert regelmäßig mit oft nicht realisierbaren Ideen an die Öffentlichkeit tritt, ohne sich zuvor mit seinen fachlich sehr viel versierteren Beigeordneten abzustimmen. Die Folge davon ist, dass diese ihm anschließend detailliert erklären müssen, warum etwas eben nicht so einfach funktioniert, wie es sich der Oberbürgermeister denkt. Schubert mache dann stets andere für sein Scheitern verantwortlich, so Verwaltungsmitarbeiter gegenüber dem POTSDAMER. Ein Verhalten, das vielleicht erklärt, dass bereits viele der Mitarbeiter, die direkt mit dem Oberbürgermeister Schubert zusammengearbeitet haben, mittlerweile nicht mehr für ihn arbeiten.
Ein weiterer Fakt ist, dass die Verwaltung der Stadt in einem so desolaten Zustand ist, dass nicht nur viele Mitarbeiter am Rande ihrer Belastbarkeit angekommen sind, sondern auch die Arbeit der Verwaltung in vielen Bereichen nicht mehr vollumfänglich gewährleistet ist.
Zum Beginn seiner Amtszeit, Ende 2019, hat Schubert über 120 neuen Stellen in der Verwaltung geschaffen, mit dem Versprechen, dass nun alles besser würde. Das Ergebnis heute ist allerdings eine Verwaltung, die noch ineffizienter arbeitet als zuvor. Dieser Zustand hat dem Oberbürgermeister bereits eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingebracht.
Die Ablenkungsstrategie
Die Frage, welches Ziel der Oberbürgermeister mit dem Disziplinarverfahren gegen einen seiner wichtigsten Mitarbeiter verfolgt, ist aufgrund der aktuellen Situation nicht nur berechtigt, sondern für die Beurteilung seines Handels grundlegend. Der Oberbürgermeister möchte von den Problemen, die er selbst verursacht hat, und von der gegen ihn laufenden Dienstaufsichtsbeschwerde ablenken, indem er einen Sündenbock sucht, äußern Mitarbeiter aus der Verwaltung und einige Stadtverordnete gegenüber dem POTSDAMER ihre Vermutung. Mike Schubert zeichne sich dadurch aus, unbequeme Mitarbeiter loswerden zu wollen und sich anschließend als Retter zu präsentieren, der das Übel der Verwaltungsprobleme in der Person des Mitarbeiters erkannt und entfernt hat, so ein Verwaltungsmitarbeiter, der Mike Schubert seit einigen Jahren kennt.
Dass der Oberbürgermeister aufgrund der Schilderungen seiner eigenen Mitarbeiter ein wenig vertrauenserweckender und verlässlicher Arbeitgeber zu sein scheint, verwundert daher nicht. Warum er aber nicht dafür sorgt, dass das Thema des Disziplinarverfahrens – das an sich erst einmal nur auf einem „anonymen Hinweis“ beruht und im Verhältnis zu den Problemen, die Schubert selbst umgeben, eher eine Lappalie ist – nicht diskret und intern behandelt, sondern in der medialen Öffentlichkeit breitgetreten wird, spricht ebenfalls nicht für den noch amtierenden Oberbürgermeister Mike Schubert.
Der Druck der Öffentlichkeit
Ein intern geführtes Disziplinarverfahren gegen einen Mitarbeiter nutzt einem Oberbürgermeister nicht viel, wenn er diesen loswerden und dies noch für seine Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit nutzen möchte. Nur wenn das Thema in die Öffentlichkeit gelangt, kann er sich erhoffen, dass der beschuldigte Mitarbeiter einen entsprechenden Schaden davonträgt. Dabei scheint es unwichtig zu sein, ob die Beschuldigungen gegen diesen Mitarbeiter begründet oder unbegründet sind. Solange die Beschuldigungen allein ihren Zweck erfüllen, werden sie geäußert. Dabei wird oft auf das Prinzip gesetzt, dass an einem Beschuldigten immer etwas Dreck haften bleibt, wenn man ihn damit bewirft.
Dafür, dass das Thema nicht intern bleibt, sondern von der Presse umgehend aufgegriffen wurde, soll nach Angaben einzelner Stadtverordneter Mike Schubert selbst gesorgt haben.
Über das eingeleitete Disziplinarverfahren informierte Mike Schubert die Stadtverordneten in der Sitzung am Abend des 04. Mai dieses Jahres im nicht-öffentlichen Teil. Am darauffolgenden Tag berichtete allerdings schon die MAZ über das Thema, obwohl im nicht-öffentlichen Teil keine Pressevertreter zugelassen waren. Daher muss die Frage erlaubt sein, wie die Presse so schnell und so detailliert über den Sachverhalt berichten konnte. Darüber, wie diese sehr detaillierten Informationen aus der nicht-öffentlichen Sitzung an Medienvertreter weitergegeben wurden, kann man nur spekulieren. Es ist jedoch eine Potsdamer Binsenweisheit, dass Sachverhalte aus nicht-öffentlichen Sitzungen selten nicht-öffentlich bleiben, und dies ist dem Oberbürgermeister sicher bewusst.
Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe lagen keine Informationen darüber vor, dass Oberbürgermeister Schubert Beweise für die Beschuldigungen gegen Rubelt vorgelegt hätte. Sollten sich die Vorwürfe gegen den Beigeordneten nicht bestätigen, wird Mike Schubert öffentlich erklären müssen, wieso er das Verfahren überhaupt eingeleitet hat und vor allem, wie er zu den Informationen gekommen ist, deren Quelle er als „anonym“ bezeichnet und der er so großen Glauben geschenkt hat.
Es könnte daher sein, dass das Verhalten des Oberbürgermeisters dazu führt, sich selbst einem weiterführenden Verfahren ausgesetzt zu sehen. Vielleicht ist das dann der Moment, in dem er darüber nachdenkt, wenigstens für den Rest seiner Amtszeit mit seinen Mitarbeitern anders umzugehen.
sts