In der AG Innenstadt organisieren sich viele Unternehmen, um von der Politik gehört zu werden
Im Jahre 2003 fusionierte die Werbegemeinschaft Potsdam mit der 1995 gegründeten AG City zur AG Innenstadt, die seitdem die politische Stimme von mehr als 100 Mitgliedern ist, die sich aus den Branchen Handel, Gastronomie, Kunst und Kultur zusammensetzen. Der POTSDAMER sprach mit der 1. Vorsitzenden der AG Innenstadt, Bärbel Schälicke, über die aktuellen und zukünftigen Entwicklungen der Gewerbetreibenden zwischen Charlottenstraße und Hegelallee und zwischen Bassin- und Luisenplatz, inklusive ihrer Nebenstraßen.
Bis 2013 war Bärbel Schälicke für die AG als Innenstadtkoordinatorin tätig, im Juli 2018 wurde sie zur 1. Vorsitzenden gewählt, nachdem der damalige Vorsitzende sein Amt niedergelegt hatte. Seitdem hat Schälicke für und mit der AG Innenstadt viel erreicht.
Schälicke ist eine Vorsitzende, deren Führungsstil auf Zuhören und Offenheit basiert. Dabei fordert sie auch den offenen Dialog und Ideen von allen Mitgliedern ein.
Das vorrangige Ziel der AG Innenstadt ist es, die Innenstadt als Erlebnis- und Einkaufsmeile sowie als Aufenthaltsort für alle wieder attraktiver zu machen. Dazu gehören laut Schälicke die Einführung von Sonntagsöffnungszeiten, ein neues Pflaster für die Brandenburger Straße und mehr Sauberkeit. Auch die steigende Entwicklung der Gewerbemieten betrachte man mit Sorge, weil man eine stabile und gut durchmischte Gewerbevielfalt etablieren möchte. Niemand habe etwas von ständig wechselnden Mietern oder leeren Ladenflächen. „Und schließlich lebt die Innenstadt Potsdams von der Attraktivität und dem großen Angebot kleiner inhabergeführter Geschäfte, die sich sehr gut neben den wenigen Filialisten behaupten“, so Schälicke. Kritisch steht die AG Innenstadt hingegen dem Thema autofreie Innenstadt gegenüber. Hier fordert Schälicke realisierbare Konzepte und einen transparenten Dialog mit den ansässigen Händlern. „Schließlich wohnen nicht alle an eine Bus- oder Straßenbahnhaltestelle oder können mit dem Fahrrad die Innenstadt erreichen.“ Die großen Einkaufscenter sehe sie weniger als Konkurrenz denn mehr als Partner, mit denen man intensiver zusammenarbeiten solle.
Online-Handel ein Problem
„Die eigentliche Herausforderung des stationären Einzelhandels ist der Online-Handel“, betont Schälicke. „Und dieses Problem wird durch Corona nur erheblich verstärkt. Da helfen auch nicht kreative Ad-hoc-Aktionen unserer Mitglieder, mit denen sie schon in der ersten Welle ums Überleben kämpften. Die Politik muss schneller Konzepte entwickeln, um die Geschäfte wieder zu öffnen, da können finanzielle Hilfsprogramme nur ein Teil des Gesamtkonzeptes sein“, fordert Schälicke.
Dem Online-Handel könne nur begegnet werden, „wenn man den Kunden etwas bietet, das es eben so nicht im Internet zu finden gibt, und das ist das Kauferlebnis selbst. Das Schlendern, das Stehenbleiben, das Ausprobieren, das Sich-beraten-lassen, das Beobachten und Spüren von Menschen, von Atmosphäre und das Verweilen bei einem Kaffee.“
Über 500 Laden- und Gastronomie-Einrichtungen finden sich in der barocken Innenstadt Potsdams, die mit ihrem einmaligen Charme besonders attraktiv für unterschiedlichste Events und Feste ist, die die AG Innenstadt mitorganisiert oder unterstützt, wie z.B. die Potsdamer Erlebnisnacht, das SchauSpielFenster, die Antik-Meile und den Weihnachtsmarkt auf der Brandenburger Straße. „Insbesondere durch das große Engagement der umliegenden Gewerbetreibenden werden diese Veranstaltungen zu besonderen Erlebnissen für die Bürgerinnen und Bürger sowie für Besucherinnen und Besucher Potsdams“, so Schälicke, die hofft, die früher häufig durchgeführte Kunst- und Genusstour wiederbeleben zu können. „Bei dieser Tour waren die Händler, die Gastronomen sowie die Kunst- und Kulturschaffenden gleichermaßen beteiligt. Diese Tour war immer ein ganz besonderes Erlebnis, weil man die Stadt in einer einmaligen Ganzheitlichkeit erleben und genießen konnte“, schwärmt Schälicke.
Der Austausch ist die Grundlage des Erfolgs
Regelmäßig tauscht sich die AG Innenstadt mit ihren Mitgliedern zu aktuellen Themen rund um die Wirtschaft, den Einzelhandel sowie städtebaulichen Konzepten aus, in denen die Gestaltung der Innenstadt im Fokus steht. Ebenso stehen Gespräche mit der Stadtpolitik und der Verwaltung regelmäßig auf dem Programm. Dabei bestehe die große Herausforderung und die Aufgabe der AG Innenstadt darin, die vielen unterschiedlichen Anforderungen der Unternehmen zu bündeln und einen gemeinsamen Nenner zu finden. „Wir haben schließlich alle das eine Ziel. Nämlich, dass man sich in unserer Innenstadt wohlfühlt und gerne aufhält. Aus diesem Grund gibt es gar keine anderen Weg als den eines konstruktiven Miteinanders“, bringt es Schälicke auf den Punkt.
Bestens vernetzt
Wie wichtig ein gutes Netzwerk ist, zeigt sich nicht nur in dem, was die AG Innenstadt alleine für Ihre Mitglieder erreicht hat. Vor allem in der Netzwerkarbeit mit anderen Verbänden und Organisationen, wie zum Beispiel dem Handelsverband Berlin-Brandenburg e.V. (HBB), wird das Erreichen gemeinsamer Ziele wahrscheinlicher.
So fand am 15. Januar dieses Jahres eine Kooperationsveranstaltung der AG Innenstadt und des HBB in Form eines Arbeitsgespräches mit Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) zur aktuellen Situation im Einzelhandel statt. Die Potsdamer Innenstadt, konkret die Brandenburger Straße, wurde ganz bewusst als Ort gewählt.
Schälicke suchte bei dieser Veranstaltung gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung, Pete Heuer (SPD), HBB-Regionalbereichsleiter Wolfgang Kampmeier und Olaf Scholz drei Einzelhändler auf.
Der kleine Rundgang begann in der Modeboutique „Herrenzimmer“, am Brandenburger Tor. Auf dem Weg durch die menschenleere Fußgängerzone, vorbei an geschlossenen Geschäften, waren die Themen steigende Mieten und fortlaufende Betriebskosten schnell gefunden. Der Minister war erstaunt über die Höhe der Mieten in der Brandenburger Straße.
Eine ausführliche Gesprächsrunde gab es bei HBB- und AG Innenstadt-Mitglied Guido Baar, in dessen Geschäft „Schuh Baar“. Baar erklärte eindringlich, wie kritisch die Situation aufgrund der angeordneten Schließung sei. „Saisonware wurde geliefert, dann kam die Schließung. Das Weihnachtsgeschäft ist fast vollständig weggefallen“, so Baar. Die gelieferte Ware musste bezahlt werden und nun stehe die Frühjahrskollektion an. Die Lager seien voll, der Warendruck enorm.
Olaf Scholz hörte ruhig und ausgiebig die Belange der Kaufleute an und räumte anschließend ein, dass der Einzelhandel offenbar mehr Unterstützung benötigte als angedacht.
Es bleibt also noch viel zu tun – für die AG Innenstadt und die Politik.
Steve Schulz