Muss die Entwicklung des Areals neu gedacht werden?

Am Dienstag, dem 1. Oktober 2019, fand die 10. öffentliche Sitzung des Forum Krampnitz statt. Die Sitzung widmete sich schwerpunktmäßig der geplanten städtebaulichen Entwicklung des Quartiers, insbesondere der vorgesehenen Dichte, der Nutzungsmischung und der Höhe der Gebäude.

Uli Hellweg (Fa. Hellweg Urban Concept) referierte zum Thema „Warum das Quartier Krampnitz städtebauliche Dichte und Nutzungsvielfalt braucht“. Laut Hellweg kann eine Einwohnerzahl von 7.000 Einwohnern in Krampnitz nicht das gewünschte städtebauliche Ergebnis bringen, weil die Dichte von 60 Menschen (50 Einwohner + 10 Angestellte) pro ha Bruttobaufläche zu gering sei. Es muss nach seiner Auffassung also die Dichte erhöht werden (mehr Einwohner und mehr Arbeitnehmer pro ha Bruttobaufläche). Diese soll nach seinen Berechnungen 97 betragen (74 Einwohner plus 23 Arbeitsplätze). Nur durch diese Dichte könne Krampnitz den Planungen entsprechend funktionieren.

Profitabel erst ab 10.000

Hellweg beschreibt den Einfluss der städtebaulichen Dichte auf die private Infrastrukturversorgung. Nach Hellweg eröffnen Discounter eine Filiale erst bei einer Einwohnerzahl von 10.000, eine Apotheke bräuchte 6.000 – 8.000 Einwohner und auch ein Getränkemarkt oder ein Facharzt lässt sich erst an einem Ort nieder, der mindesten 10.000 Einwohner zählt.
Für seine Ausführen zog er Quellen des Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI), das Einzelhandelskonzept (EHK) der Stadt Potsdam (2013) sowie ein Modellvorhaben der Raumordnung (MORO) des Bayrischen Salzachtals heran. Und darin liegt das Problem: Die Zahlen des BMVI/MORO beziehen sich auf eine Region, die aus kleineren Dörfern besteht, die wiederum weit weg von einer größeren Stadt liegen.
Man kann diese Lage auch als Insellage bezeichnen, weil diese Dörfer in keinerlei Wechselwirkung mit anderen Kommunen stehen. Hierbei handelt es sich also um eine interkommunale Kooperation, die das Überleben aller Dörfer im Salzachtal wegen der sich verändernden demografischen Situation (Veralterung) sichern soll. Diese Situation mit der von Krampnitz zu vergleichen, das Teil der prosperierenden Landeshauptstadt Potsdam ist und direkt im Wirkungsfeld der größten Stadt Deutschlands (und fünftgrößten Europas) liegt, scheint nicht unbedingt nachvollziehbar.
Das neue Einzelhandelskonzept (EHK) der Stadt Potsdam (2019/20) bezieht sich laut Aussage der Stadt primär auf Passantenbefragungen, „die in der Innenstadt, in Babelsberg sowie in den Bahnhofspassagen und im Stern-Center“ an einem einzigen Wochenende stattfanden, um „die Qualität des Einkaufens in Potsdam“ zu erheben (Quelle: https://www.potsdam.de/stadtentwicklungskonzept-einzelhandel). Vielleicht wäre eine umfangreichere Erhebung sowie eine Befragung der Einwohner im Norden Potsdams auch sinnvoll?
Für Krampnitz treffen Hellwegs Zahlen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu. Am Beispiel von Groß Glienicke mit knapp 4.800 Einwohnern sieht man, wie sehr diese Angaben hinken. Hier gibt es eine Apotheke, einen Getränkemarkt, Fachärzte…
Auch der vorhandene Durchgangsverkehr, der gern als Grund für die Ansiedlung genannter Infrastrukturangebote herangezogen wird, verdoppelt in Groß Glienicke nicht gleich die Einwohnerzahlen, zumal die umliegenden Ortschaften wie Falkensee, Dallgow-Döberitz, Kladow/Gatow u.a. ebenfalls über die genannten Infrastrukturangebote verfügen.

Wo kein Ziel, da kein Weg

Tina Lange (Die Linke), Mitglied im Ortsbeirat Fahrland und Stadtverordnete, nennt den Grund für die falsche Sicht: „Man betrachtet Krampnitz immer als Insel, aber das ist es nicht.“ Krampnitz liegt inmitten sich gut entwickelnder Ortsteile, die auf Krampnitz eine ebenso starke Auswirkung haben werden, wie Krampnitz auf diese. Wieso diese Region nicht als Ganzes gedacht und geplant wird, verstehen die meisten Menschen in Potsdams Norden nicht.
Hellweg versäumte es leider, in seiner Vorstellung die städtebaulichen Ziele genauer darzustellen, die seiner Meinung nach mit 7.000 Einwohnern nicht zu erreichen seien. Dann hätte man diese Ziele mit denen umliegender Ortsteile vergleichen können. Spätestens hier wäre wahrscheinlich aufgefallen, dass bei der Planung eines neuen Stadtteils dieser nur integrativ gedacht und entwickelt werden kann. Denn eine isolierte Betrachtung von Krampnitz mit neuen Verkehrsphilosophien und Wohnkonzepten läuft Gefahr zu scheitern. Nicht der Potsdamer Norden sollte sich an Krampnitz anpassen müssen, sondern Krampnitz sollte die Chance nutzen, die Ortsteile zu verbinden und deren Angebote zu ergänzen. Dafür ist allerdings ein Blick über den Tellerrand in die entsprechenden Ortsteile und deren Anforderungen nötig.

Neue Zahlen braucht das Land

Weil nicht nur Marquardter, Fahrländer und Neu Fahrländer die zukünftige Infrastruktur von Krampnitz nutzen werden, sind die von Hellweg dargelegten Zahlen deutlich nach unten zu korrigieren. Genauso gut könnte man behaupten, dass Krampnitz keine Auswirkungen auf den Verkehr hätte, weil jeder Ortsteil ja seinen eigenen Verkehr hat.
Hellweg kommt zu dem Ergebnis, dass Dichte kein Selbstzweck sei, sondern der Lebensqualität in den Quartieren diene. Was er allerdings unter Lebensqualität versteht, verrät er nicht. Ebenso sei eine benötigte Dichte von mindestens 10.000 Einwohnern nicht primär ein baulich-physikalisches Thema, sondern eine Frage der Qualität des Städtebaus, der Freiräume und der Nutzungsmischung. Auch hier versäumt er darzustellen, was er mit „Qualität des Städtebaus“ und „Freiräume“ meint.
Hohe Gebäude bedeuten für Hellweg nicht automatisch hohe Dichten. Der „klassische Block“ vereine Urbanität mit Dichte am besten. Dies schließe städtebauliche Hochpunkte wie einen 14-Geschosser mit ein.
Hellwegs Leitspruch „Dichte ist nicht alles, aber alles ist nichts ohne Dichte!“ ist am Ende seiner Präsentation doch etwas ins Wanken geraten, wenngleich eine gewisse Anzahl an Einwohnern für ein prosperierendes Krampnitz sicherlich notwendig sein wird.

Hohe Mathematik

Einen Ausflug in die Mathematik der Logik bescherte den Anwesenden des Forums die zweite Präsentation. Ludger Baba von der empirica ag aus Berlin errechnete die „wirtschaftliche Bedeutung des neuen Stadtquartiers Krampnitz“ mit der Formel: je mehr Einwohner, desto höher die Einnahmen
1,6 Mrd. Euro Investitionsvolumen stehen einer Wertschöpfung von 1,7 Mrd. Euro bzw. 100 Mio. Euro pro Jahr (in der Zeit von 2021 – 2037) gegenüber. Zu den Einnahmequellen gehören nach Baba die über 10.000 Einwohner, ca. 3.000 direkte und 1.500 indirekte Beschäftigte sowie die vielen Unternehmen, die vor Ort ihre Produkte und Dienstleistungen anbieten. Deren Investitionen, Konsumverhalten und Steuerzahlungen (Lohnsteuer, Gewerbesteuer, Umsatzsteuer u.a.) führen zu Mehreinnahmen der Stadt.
Alles in allem die Darstellung eines bekannten Kreislaufes und nicht wirklich neu, zumal die Präsentation nicht verrät, wie Baba auf die präsentierten Zahlen in puncto Einnahmen, Ausgaben und Investitionen kommt, die vermutlich dem Finanzbeigeordneten der Landeshauptstadt ein kurzfristiges Lächeln ins Gesicht zaubern sollten.
Nachvollziehbare Informationen darüber, welche Art von Arbeitsplätzen entstehen, welcher Art die Unternehmen sein werden, die sich dort ansiedeln, wie hoch das Einkommensniveau der Menschen sein wird, die in Krampnitz ihr neues Zuhause finden sollen und viele andere Informationen, die sein Zahlenwerk untermauert und nachvollziehbarer gemacht hätten, fehlten.

Keine Zukunft ohne Krampnitz

Am Ende beantwortet Baba schwarzmalerisch die an sich selbst gestellte Frage: “Was passiert, wenn Krampnitz nicht gebaut wird?“: Die Wachstumschancen der Stadt Potsdam werden nicht genutzt, weil es an Alternativstandorten in der Stadt mangelt. Die Entlastungseffekte auf dem Wohnungsmarkt bleiben aus, die Mieten steigen … anschließend lässt die Attraktivität Potsdams als Wohn- und Arbeitsort nach. Besonders betroffen: Haushalte mit geringem Einkommen, ergo weichen Haushalte auf das Umland aus, die Pendlerzahl nimmt zu und die Steuerkraft Potsdams wird geschwächt.
Potsdam stirbt also aus, wenn Krampnitz nicht gebaut wird, könnte die Schlussthese lauten. Potsdam hat sich in den letzten Jahrzehnten aber gut entwickelt – auch ohne Krampnitz.
Potsdams Ortsteile beweisen seit Jahrzehnten, dass ein behutsames Wachstum möglich ist, wenn es aus sich selbst heraus entsteht. Die meisten Einwohner des Potsdamer Nordens sind gegen viele der geplanten Bauvorhaben im Norden, weil sie zu dicht, zu hoch und weil sie ein zu massiver Eingriff in die Natur sind, die zum großen Teil unwiederbringlich zerstört wird. Sei es auf der Nedlitzinsel, in Krampnitz, in Fahrland…

sts