Das Museum Alexandrowka erweist sich einmal mehr als kultureller Anziehungspunkt
Sich der Schwere alltäglichen Einerleis entheben, dem ausgeglühten Urteil fliehen und Flügel spüren in einer Nacht der Poesie, im wunderbaren Ambiente des Museums Alexandrowka – etwa 130 Gäste nutzten die Gelegenheit. Im weiten Rund des Gartens folgten sie, in gelöster und zugleich erwartungsvoller Stimmung dem Vortrag von elf Autoren, die unter dem Motto „Auswege und Holzwege“ ihre schöpferischen Highlights zum Besten gaben. Veranstalter war das Literatur-Kollegium Brandenburg, ein Verein vornehmlich Brandenburger Schriftsteller und Freunde der Literatur.
Den Auftakt gab Sonja Puras mit „Ganz in der Nähe“: Eine unterschwellige Liebesepisode. Wie überhaupt Liebe in vielen Texten thematisiert wurde. Zu nächtlicher Stunde fährt eine Frau durch die Straßen. Soll sie abbiegen, um zu schauen, ob in der Wohnung des einstigen Partners Licht brennt? Nein, und doch – sie kann nicht widerstehen. Alte Erinnerungen, neue Ängste. Sie ist hin- und hergerissen. Sie ist noch ganz in seiner Nähe.
Jens Grandt, der an mehreren Polarexpeditionen teilgenommen hat, bezeugt, wie auch in Eiseskälte Gefühle nicht erkalten. Selbst wenn sich ein deutscher Ingenieur einer finnischen Emigrantin zu erwehren versucht. In „Kreise der Liebe“ bot er, das heißt eigentlich sie, eine Theorie an, wie Liebe funktionieren könnte.
Eine naiv aufkeimende Zuneigung kam in der so schlichten wie rührenden Geschichte von Manfred Richter aus dem Band „Dieser miese schöne Alltag“ zum Tragen. Richter, einst Bergmann bei der Wismut, später Hausautor am Nationaltheater Weimar und durch Kinderbücher, Spiel- und Fernsehfilme, Theaterstücke bekannt geworden, war der älteste Teilnehmer des Leseabends, 90 Jahre, und sein Vortrag ließ nichts an Eindringlichkeit vermissen. Vor seinem Haus wird eine Birke gefällt. Er muss an Annemarie denken. Als er und sie zwölf Jahre alt waren, haben sie in einem Loch des Stammes ein kleines Medizinfläschchen versteckt, wo hinein sie Zettelchen mit Nachrichten schoben. Einen Zettel konnte er nicht mehr lesen wegen des Bombenangriffs auf Potsdam, in dem das Mädchen umgekommen ist. Nun hält er die letzte Botschaft aus Kinderjahren in der Hand.
Mit dem Alter hadert auch der Protagonist Oskar in der Tangogeschichte, die Heinrich von der Haar las. Der Autor, dessen dritter Roman „Kapuzenjunge“ soeben auf verschiedenen Soirees vorgestellt wird, gab hier Einblick in sein neues Projekt. Natürlich wurden die Krimifans nicht enttäuscht. Heidi Ramlow, deren Komödie „Blutroter Waschtag“ am Berliner Kriminaltheater gespielt wird, beschreibt ein Mädchen, das von Angst getrieben über den Darß fährt, weil ihre Freundin verschwunden ist und am Strand eine Leiche gefunden wurde, die ihr ähnlich zu sein scheint. Als sie in das Boot eines Fischers gerät, glaubt sie: Der Mädchenmörder. Und erschlägt ihn. Am nächsten Tag die E-Mail aus Gallocanta: Liebste Freundin, ich bin glücklich.
Zum zweiten Mal wurde der Potsdamer Publikums-Literaturpreis ausgelobt, honoriert von der Stiftung Kremer. Die meisten Stimmen zogen die heiteren Gedichte von Elke Lipkau auf sich. Pointiert, geistreich, charmant vorgetragen, waren sie ein Höhepunkt des Abends. jg
Als der Wind die Wiese mähte
und den Wildkraut-Samen säte,
bogen sich verlogen weiche Wogen unterm Wind,
atmeten die grünen Flanken
unanständige Gedanken,
denen wir nicht folgen sollten,
doch im grünen Labyrinth
lag ich wie ein sanfter Schatten
in den windzerwühlten Matten,
weil nur flachgelegte Halme vor der Sense sicher sind.
Elke Lipkau