Vom Kunstprojekt zur internationalen Kochstunde
Der Alexander-Haus e.V. hat sich zum Ziel gesetzt, das Alexander Haus in Groß Glienicke in einen Ort der Bildung und Versöhnung zu verwandeln. Mit seinen Kooperationen und Projekten ist es mittlerweile weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Ein Anliegen des Vereins ist es, den gesellschaftlichen Zusammenhalt vor Ort zu stärken. Dafür hat er 2017 das Programm „Gemeinschafts-Dialoge/Community Dialogue“ ins Leben gerufen. Programmleiterin Julia Haebler wandte sich an Vereine und Institutionen, darunter das Neue Atelierhaus Panzerhalle und Neopanterra, den Träger der Gemeinschaftsunterkunft in Groß Glienicke. Zunächst als Kunstprojekt angedacht, initiierte Haebler auf Wunsch von Bewohnerinnen der Unterkunft das gemeinsame Kochprojekt „Community Essen – Kunst und Kochen“ und gewann Birgit Cauer als Partnerin. „Nachdem das Essen zum zentralen Thema bei der Vorbereitung wurde und sich mehrere Frauen der Unterkunft gewünscht hatten, für die Groß Glienicker zu kochen, stand schnell fest, dass das Kochen wichtiger Bestandteil der Treffen würde, um den Austausch und das Kennenlernen untereinander zu fördern“, erzählt Haebler. Die künstlerischen Elemente dienen einem intensiven Kennenlernen und dazu, auch ohne Worte kommunizieren zu können.
Doch was viel Spaß verspricht, musste gut organisiert werden, denn Kochen läuft nicht bei allen nach den gleichen Regeln ab. Im Oktober 2017 fand der erste Workshop mit 10 Teilnehmerinnen statt. Er wandte sich dezidiert an alteingesessene und neu hinzugezogene Frauen. „Während der Workshops haben wir erst einmal erfragt, was Kochen für die Teilnehmerinnen bedeutet, wie sie kochen erlernt haben, wer in der Familie kocht und vieles mehr, um möglichst viel über die Situationen der Frauen, die verschiedenen Traditionen und den gesellschaftlichen Stellenwert des Essens zu erfahren“, so Haebler. „Dabei zeigte sich, dass Frauen ganz verschiedene Ansätze und Bezüge haben: Während einige Frauen das Kochen ablehnen, entspannen sich andere dabei. Für wieder andere bedeutet es sozialen Status, und einige betrachten es fast als Beruf oder als etwas, das sie der Gemeinschaft geben können. Einige lernten das Kochen von den Müttern, andere aus Youtube Videos.“
Der zweite Kurs fand im April dieses Jahres statt. Die Köchinnen entwarfen ein Menü und kochten füreinander. Sie hatten darüber hinaus den Wunsch, ihre Leibgerichte für die Groß Glienicker zuzubereiten. Der Tag der offenen Tür, der „Open Day“ des Alexander-Haus e.V., bot einen passenden Anlass und so bereiteten die Köchinnen den vielen Gästen ein buntes, internationales Buffet mit Speisen u.a. aus Nigeria, Kenia, Somalia, Syrien und Tschetschenien.
Es sollte ein besonderes Event in einem „geschützten“ Rahmen werden, bei dem die Liebe zum Kochen und das Miteinander im Vordergrund stehen. Niemand sollte das Gefühl haben, unter Druck arbeiten zu müssen oder gar als Caterer verstanden zu werden. Ganz im Gegenteil: Alles sollte ein Gemeinschaft stiftender Teil des Open Day werden.
Die Köchinnen aus der Gemeinschaftsunterkunft erstellten ihre Zutatenlisten und Mitarbeiter des Alexander-Haus e.V. kauften ein. Alle waren ein wenig aufgeregt und bedacht, den Nachbarn in Groß Glienicke Speisen auf hohem Niveau zuzubereiten. Wegen der z.T. sehr außergewöhnlichen Einkaufsliste fuhr eine Mitarbeiterin des Alexander-Hauses auch spezielle Geschäfte in Berlin an. Doch trotz größter Sorgfalt gab es viel zu lernen. So fuhr die in Nigeria geborene Gift schließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Berlin in einen African Shop, um einen ganz bestimmten Gombo-Basmatireis zu kaufen, der das afrikanische Rezept erst authentisch macht. Nach vier Stunden kam sie mit einem 5 kg-Beutel Reis und einem Lächeln im Gesicht zurück. Nun konnte es losgehen.
Diese Geschichte verdeutlicht, wie Kochen den Teilnehmerinnen ermöglicht, mit anderen Groß Glienickern in Kontakt zu kommen und sich öffentlich zu zeigen, wie sie sind. Denn welche Gewürze ein Mensch mag, welche Geschmacksrichtungen oder Zubereitungsweise er bevorzugt, ist ein wichtiger und sehr persönlicher Teil der Identität. Denen, die ihr Zuhause hinter sich lassen mussten, gibt es die Möglichkeit, Heimat zu vermitteln, die eigene Kultur und Tradition zu präsentieren und sich selbst auszudrücken. Auch für die eigene Wertschätzung und die Akzeptanz in einer neuen Gruppe kann Kochen ein wesentliches Element sein.
Weil unsicher war, wie viele Gäste zum Open Day kommen würden, beschloss das Team des Alexander-Hauses, den Köchinnen nur eine Vorgabe mit auf den Weg – oder besser in die Küche – zu geben: Es sollte Spaß machen. Alles andere würde sich ergeben. Und sie behielten Recht. Die vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer zauberten ein großes, umfangreiches und leckeres Buffet für über 200 Gäste, das Bekanntes und Unbekanntes präsentierte. Der Open Day konnte kommen.