Jutta Neumann schließt ihren Kiezladen

Im Jahre 1986 entschied sich Jutta Neumann dafür, im Keller ihres Hauses einen Schreibwarenladen einzurichten, denn so einen Laden brauchte Kladow dringend, wollte man nicht immer in die Spandauer Altstadt fahren, wenn man Schreibwaren, Schul- oder Bürobedarf benötigte. Nun schließt Neumanns Schreibwarenladen nach fast 33 Jahren für immer, und wir alle sind vielleicht nicht so ganz unschuldig dran.

Jutta und Joachim Neumann vor der Süßigkeitenecke. Fotos: sts

Die guten Jahre

Als Werbeaktion hatte sich Jutta Neumann etwas ganz Besonderes ausgedacht. Jutta Neumann nahm 1986 die Idee des Bauchladens auf und ging – bestückt mit einer kleinen Auswahl an Artikeln – über das jährlich stattfindende Imchenfest am Kladower Hafen. Mit ihrem bunten Bauchladen konnte man sie gar nicht übersehen. Weil sich der Bauchladen allerdings als zu schwer und wenig praktikabel erwies, entschied man sich im darauffolgenden Jahr für einen umgestalteten Bollerwagen, auf dem man Süßigkeiten anbot – was vor allem die Kinder anzog und damit den gewünschten Aufmerksamkeitseffekt bei den hinterherlaufenden Eltern erzielte.
Schnell sprach sich der neue Laden im Spandauer Süden rum und wurde begeistert von den Gatowern und Kladowern angenommen. Hier fanden sich in den beiden hervorragend ausgenutzten Räumen alle erdenklichen Schreib- und Büroartikel. Und wurde man hier wider Erwarten nicht fündig, wurde binnen kürzester Zeit von Jutta Neumann all das für ihre Kunden besorgt, was sie brauchten. Nicht nur, dass sich Jutta Neumann auf die Bedürfnisse der umliegenden Schulen und ihrer individuellen Wünsche mit ihrem Sortiment einstellte, man findet – oder fand – hier auch Artikel, die schon längst aus den Regalen anderer Läden verschwunden sind, so zum Beispiel unterschiedliche Schreibbänder für Schreibmaschinen. Auch Geschenk- und Scherzartikel erweiterten nach und nach das Sortiment.
Schon nach kurzer Zeit war Neumanns Schreibwarenladen in aller Munde und neben den vielen privaten Kunden kamen auch viele Institutionen und Firmen der Region hinzu, die in dem kleinen Laden ihren Bedarf an Büro- und Schreibwarenartikeln deckten.

Grußkarten waren früher ein begehrtes Mitbringsel, heute schreibt man lieber Nachrichten per Handy.

Der Kiezladen

Vor allem die Kladower Schülerinnen und Schüler waren von dem Angebot begeistert. Nicht nur, weil sich hier alle Schulhefte in den unterschiedlichsten Lineaturen, eine große Auswahl an Schreibgeräten und Papieren in allen Größen und Farben fanden, sondern, weil es neben der Kasse eine kleine Ecke gab, die noch etwas viel Interessanteres zu bieten hatte: Süßigkeiten! Hier konnte man sein Taschengeld in aus Kinderaugen Wichtigeres investieren – wenn überhaupt nötig, denn meistens erhielten die Kinder eine kleine Papiertüte mit Süßigkeiten geschenkt. „Als eine Art Wegzehrung“, bezeichnete Joachim Neumann, der Ehemann von Jutta Neumann, die kleine Geste, die wohl auch eine clevere Kundenbindungsmaßnahme war.
„Die Kladower kamen nicht nur zu uns, um Schreibwaren zu kaufen. Viel wichtiger war ihnen dabei, sich zu unterhalten. Man erzählte uns von dem letzten Urlaub, von den Problemen und den Freuden mit den heranwachsenden Kindern, oder wenn es dem Kanarienvogel mal wieder schlecht ging, erfuhren wir es als erste. Wir waren manchmal mehr ein Kommunikationstreff als ein Schreibwarenladen“, erzählt Jutta Neumann dem POTSDAMER.
Neumanns Schreibwarenladen wurde immer mehr zu einem Kieztreff. Als ein solcher wurde er sogar von den Berliner Kiezhelden ausgezeichnet.

Jutta Neumanns Kunden kamen nicht nur nur zum Kaufen, sondern auch zum Plauschen vorbei.

Der Fluch des Onlinehandels

„Die Online-Käufe sind das Schlimmste, was uns kleinen Läden passieren konnte. Heute kauft keiner mehr Glückwunschkarten zum Beispiel. Mit dem Handy schickt man sich heute kurze Nachrichten mit Bildern, ganz ohne zusätzliche Kosten. Neulich war eine Frau mit ihrem Sohn bei uns und informierte sich über Füller für Ihren Sohn. Nachdem sie dann einen gefunden hatte, fotografierte sie ihn, bedankte sich bei uns und bestellte ihn dann im Internet, weil er dort etwas preiswerter angeboten wurde. Das Internet ist gut für viele, für uns kleine Läden ist es das nicht“, konstatiert Jutta Neumann mit Bedauern.
„Jetzt müssen wir den Ausverkauf organisieren.“ Fast die Hälfte von den Lagerbeständen seien nicht mehr zeitnah zu verkaufen, vermutet Jutta Neumann. Weil sie die vielen Artikel jedoch nicht verwerfen möchte, startete vor Kurzem der Abverkauf. Viele Kunden kommen nun täglich in das Geschäft, erwerben noch, was sie gebrauchen könnten und sprechen mit Jutta Neumann über die gute alte Zeit und wie sehr sie es bedauern, dass der kleine Schreibwarenladen, der so viel mehr zu bieten hatte, schließen muss.
„Der Laden war auch mein Lebensinhalt“, fasst Jutta Neumann die letzten 33 Jahre in einem Satz zusammen, und dabei gelingt es ihr nicht ganz, die Wehmut zu unterdrücken, die in ihr aufsteigt. „In der heutige Zeit möchten die jungen Leute nicht mehr in die Läden gehen und sich beraten lassen. Alles muss schnell gehen. Alles muss bequem sein. Es ist daher die richtige Zeit für diesen schweren Entschluss“, so Jutta Neumann.

Positive Begleiterscheinungen

Doch sieht Neumann auch etwas Gutes in der Gesamtsituation: „Ich glaube, jetzt ist der richtige Moment, unseren Laden zu schließen. Wir wollen ihn doch auch in guter Erinnerung behalten. Jetzt haben wir viel mehr Zeit, unsere Kinder zu besuchen und Zeit mit unseren Enkeln zu verbringen. Außerdem werde ich jetzt 75, das reicht doch, oder?“, fragt Neumann mit fester und überzeugter Stimme.
33 Jahre stand Jutta Neumann nun in ihrem Schreibwarenladen und wurde zu einer Institution in Kladow. Bis zum Frühsommer wird der kleine Laden noch in den gewohnten Öffnungszeiten den Abverkauf vollziehen, bis die Türen geschlossen werden. Wer die Neumanns kennt, weiß allerdings auch, dass Ruhestand nicht wirklich ihrer Natur entspricht. Schon jetzt planen sie die Zeit danach und vertrauen dem POTSDAMER ein paar erste Gedanken dazu an, über die er zu gegebener Zeit berichten darf.
„Wir hatten wirklich tolle Jahre. Nur irgendwann muss auch mal Schluss sein. Ganz besonders bedanken möchten wir uns bei den vielen Menschen, die in den über drei Jahrzehnten bei uns waren, und bei den vielen Kunden, die über die Jahre für uns zu Freunden geworden sind.“

sts

Jutta Neumann 1989 mit ihrem Bauchladen. Foto: privat