Von der fast vergessenen Kunst des Briefeschreibens
Es liegt ein großer Unterschied darin, ob man schreiben kann oder ob man schreiben kann.
In der Schule lernen wir in der Regel das Lesen und Schreiben schon in den ersten Schuljahren. Während sich das Lesen irgendwann kaum noch wesentlich verbessert – was wohl auch an der wenigen Übung liegt –, kann sich der schriftliche Ausdruck noch viele Jahre erheblich weiterentwickeln. Auch das zählt zum Schreiben-können dazu, genauso wie die Grammatik und die Orthographie.
Kaum geschult wird jedoch die Fertigkeit, das eigene Schriftbild zu entwickeln. Während es früher noch das Fach Schönschreiben gab und die Sauberkeit bzw. Ordentlichkeit der eigenen Arbeitsergebnisse von den Lehrenden benotet wurden, trat dies immer mehr in den Hintergrund und wurde mehr und mehr durch das beobachtete Sozialverhalten und dessen Benotung ersetzt.
Das Resultat: Schönschreiben stirbt aus. Ein Grund dafür ist auch, dass die eigene Handschrift kaum noch benötigt wird. Während man sich früher viel Zeit nahm, um mit einem Brief seinen Adressaten zu erreichen, wird heut in Sekundenschnelle ins Handy getippt – oder gesprochen, um nicht wertvolle Zeit mit dem Schreiben zu verlieren. Die Digitalisierung beschleunigt also das Aussterben handschriftlich geschriebener Texte.
Nicht nur in der Arbeitswelt werden Briefe mit Textverarbeitungsprogrammen erstellt oder per E-Mail versendet. Die gleichen Kanäle finden sich mittlerweile auch im privaten Bereich.
Wann haben Sie das letzte Mal eine Postkarte verschickt? Oder eine Weihnachtskarte? Eine Geburtstagskarte? Oder einen Brief an jemanden geschrieben? Lange her, nicht wahr?
Und wann haben Sie das letzte Mal eine Karte oder einen Brief erhalten? Auch schon eine Weile her, stimmts? Und bekommt man welche, wie freut man sich doch über ein paar handgeschriebene Zeilen, seien sie auch noch so kurz. Warum das so ist? Ganz einfach: Es ist etwas Persönliches. Man weiß, dass sich der Absender Zeit für einen genommen hat. Zeit, um etwas selbst zu schreiben, Zeit, um darüber nachzudenken, was gesagt oder ausgedrückt werden soll, damit es eben nicht lieb- und formlos ins Handy getippt den Empfänger erreicht.
Genau hier setzt die Geschäftsidee von Andrea Rohleder an. Sie ist gelernte Kalligrafin, hat sich also mit der Wissenschaft der Handschrift beruflich auseinandergesetzt und das Schönschreiben perfektioniert.
Vom Beruf zur Berufung
Über 20 Jahre lang hat die aus dem Rheinland stammende Andrea Rohleder, Jahrgang 1964, als Sekretärin und Veranstaltungsmanagerin gearbeitet. Schon als Kind habe sie die alten Buchstaben aus der Bibel der Großmutter abgemalt, um damit Briefumschläge zu verschönern, erzählt Rohleder dem POTSDAMER in einem Gespräch. Neben der Arbeit ist sie bei professionellen Kalligraf*innen in die Schule gegangen, um die Kunst des Schönschreibens zu erlernen. „Seit 2009 beschäftigte ich mich intensiver mit der Kalligrafie. Lernen durfte ich bei hervorragenden Kalligrafinnen und Kalligrafen wie Ulrike Freier aus Korschenbroich, Alexandra Remmes aus Düsseldorf, Stefanie Weigele aus Potsdam sowie im Benediktinerkloster im Münsterschwarzachtal bei Werner Winkler. Auch in Seminaren und Onlinekursen habe ich mich fortgebildet.“
Doch aus dem Hobby sollte bald ein Beruf werden. „Irgendwann war die Arbeit im Büro nicht mehr meins“, erzählt die seit 2015 in Groß Glienicke wohnende und arbeitende Künstlerin. „Als mein Mann mir dann sagte, ich solle meinem Herzen folgen, habe ich mich entschieden, meine Berufung zum Beruf zu machen. Im August 2018 begann ich damit, meine Schreibdienste nebenberuflich anzubieten, seit Oktober 2020 mache ich das hauptberuflich.“
Mit Briefen aus der Anonymität
Inspiriert durch einen Vortrag über den Briefwechsel zwischen dem Komponisten Robert Schumann und seiner späteren Frau, der Pianistin Clara, initiierte Rohleder mit dem Projekt „Post für Dich“ eine Aktion für drei Potsdamer Seniorenheime, das sie über die Sozialen Medien bewarb. Sie rief Menschen auf, handschriftliche Briefe an Bewohner*innen in Seniorenheimen zu schreiben. 175 Briefe erhielt Rohleder, deren Absender die Empfänger nicht kannten – und umgekehrt. Die Briefe wurden personalisiert an die Senior*innen verteilt, die keine Angehörigen mehr haben. „Es war umwerfend zu sehen, welche Wirkung die per Hand geschriebenen Zeilen auf die älteren Menschen hatten, obwohl sie ihre Verfasser nicht kannten. Es stand viel Persönliches in den Briefen, manche wurden sogar mit Kinderzeichnungen illustriert. Mit nur wenigen Zeilen haben Unbekannte ein Lächeln in das Gesicht eines Menschen gezaubert. Das ist die Kraft handschriftlicher Zeilen. Das schafft ein mit der Maschine oder ein auf dem Computer geschriebener Text nicht“, ist Rohleder überzeugt.
Wer so schön schreiben können möchte, braucht viel Training und Sinn für Ästhetik
Hochwertig, individuell, persönlich
Neben sozialen Projekten, die Rohleder sehr wichtig sind, steht der Ausbau der Dienstleistungen im Vordergrund. Dabei ist Rohleders Angebot keineswegs auf das Schönschreiben von Texten begrenzt. Rohleder entwirft ganze Gestaltungskonzepte für besondere Anlässe wie Hochzeiten, Firmenfeiern, Jubiläen und viele mehr. Von der Einladungskarte über die Geschenkverpackung bis hin zu individuell verzierten Geschenkartikeln. Weihnachtskugeln, auf denen Gedichte stehen, individuell beschriftetes Porzellan, sogar das Verfassen von Briefen und Karten zum Valentinstag stehen auf der Wunschliste derer, die die Dienste Rohleders gerne in Anspruch nehmen.
„Die Nachfrage nach Persönlichem nimmt zu, weil die Menschen deutlich mehr Wert auf Individualität legen, auf das Besondere, das sie nicht überall finden. Es zählt nicht mehr die Größe eines Geschenkes, sondern dessen Gehalt. Der Wert zeigt sich darin, dass man sich Gedanken über den Beschenkten gemacht hat“, so Rohleder. Dabei seien die Auftraggeber laut Rohleder aus dem privaten Bereich noch etwas stärker vertreten als die aus dem unternehmerischen, was sich aber langsam angleicht. Für Unternehmen bietet Rohleder sogar an, „kreative Bürostrukturen“ zu schaffen. „Das ist eine Mischung aus Ordnung, Design und Effizienz“, erklärt Rohleder und könne den Arbeitsalltag erheblich verbessern und erleichtern.
Die umfangreichen Dienstleistungen sollen sich auch bald in einem Online-Shop wiederfinden, der im Laufe des Jahres entstehen und die Bandbreite der Möglichkeiten darstellen soll.
Für diejenigen, die ihre Handschrift selbst etwas verbessern oder sogar die Kalligrafie erlernen möchten, bietet Rohleder individuelle Kurse an – die zu Corona-Zeiten auch online durchgeführt werden können.
Durch die Schließung der Partnergeschäfte im 1. Lock-Down wurde die Idee des Vordach-Lädchens geboren. Hier findet man allerhand „à la hand“ – individuelle Geschenkideen und Grußkarten – unter dem Vordach jeden Mittwoch von 10 bis 18 Uhr, im Von-Oppen-Weg 22, 14476 Potsdam
sts
Mehr über die Angebote Rohleders erfahren Sie hier: www.a-la-hand.de