Um die Barrierefreiheit und den Ausbau der Radwege zum Bahnhof Marquardt wird weiter gerungen
Der Juni hat begonnen und damit eine ganz besondere Zeit für alle, die wegen der Kosten für ein Ticket bisher lieber mit dem eigenen Auto gefahren sind. Für neun Euro im Monat kann man nun mit den Öffentlichen durch Potsdam, das Land Brandenburg und sogar noch viel weiter reisen. Oder einfach nur zur Arbeit und zurück.
Leider bleibt der Spaß vielen Menschen in den Ortsteilen rund um Marquardt verwehrt. Und zwar gerade denen, die auf die öffentlichen Verkehrsmittel besonders angewiesen sind, wie Mütter mit Kinderwagen, Schüler, die ihr Fahrrad in die Bahn mitnehmen wollen oder ältere Menschen mit einer Gehbehinderung. Denn der Bahnhof Marquardt ist nicht barrierefrei.
Der Zug fährt auf dem einen Gleis los und kommt auf dem anderen an. Der „Galgen“, eine steile Treppe, die beide Bahnsteige verbindet, ist für diese Menschen nur sehr schwer oder gar nicht überwindbar. Das heißt, die Bahn fällt als Verkehrsmittel aus.
Die Herstellung der Barrierefreiheit am Bahnhof Marquardt ist ein Anliegen, das die Einwohner und Ortsbeiräte der umliegenden Ortsteile schon seit Jahren fordern. Zuletzt bei einem Bürgergespräch, zu der die CDU Potsdam am 22.4.2022 auf den Bahnhofsvorplatz einlud.
Potsdams Baubeigeordneter, Bernd Rubelt, informierte über die Planungen zum Ausbau des Bahnhofs Marquardt zur „Mobilitätsdrehscheibe“: Seit Ende März wird dort intensiv gebuddelt. Es entstehen moderne Park+Ride- sowie Bike+Ride-Plätze und drei Bushaltestellen. Die erste Regionalbahn (RB 21) wird am 11.12.2022 von Potsdam Hauptbahnhof über Marquardt ohne Umstieg bis nach Berlin (Spandau und Gesundbrunnen) fahren.
Die anwesenden Ortsvorsteher Peter Roggenbuck (Marquardt), Dieter Spira (Satzkorn) und Eckhard Fuchs (Uetz-Paaren) waren sich einig: Wenn der Umstieg vom privaten Auto auf den ÖPNV gelingen soll, dann müssen die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden – jetzt und mit aller Konsequenz.
Nach einer Mitteilung der Stadt Potsdam liegt die Verantwortung zur Herstellung attraktiver und barrierefreier Bahnhöfe bei der Deutschen Bahn (DB AG) und dem Land Brandenburg. Das Land Brandenburg fördere den barrierefreien Ausbau ab einer Anzahl von 1.000 Reisenden pro Werktag. 2019 wurden am Bahnhof Marquardt rund 260 Reisende am Tag gezählt. Laut Prognosen, die unter anderem die Mobilitätsdrehscheibe sowie die Entwicklungen in Krampnitz und Fahrland berücksichtigen sollen, wird die Anzahl seitens des VBB auf bis zu 400 Reisende/Tag im Jahr 2030 geschätzt. Die Förderung eines barrierefreien Ausbaus durch das Land Brandenburg wäre daher bis auf Weiteres nicht absehbar, so die Stadt.
Wie der VBB auf die Zahl von 400 Reisenden pro Tag kommt, geht aus der Mitteilung nicht hervor. Auch nicht, von welchen Zahlen die Stadt Potsdam ausgeht. Dr. Anke-Britt Möhr, Vorsitzende der CDU Potsdam Nord-West, erklärte: „Bei der Ertüchtigung der Drehscheibe Marquardt die Ortsteile im Fokus zu haben, ist richtig. Ausschließlich auf die Ortsteile zu schauen, ist jedoch zu kurz gesprungen. Wenn wir einem – durch den weiteren Zuzug nach Bornstedt, Krampnitz, durch die Bebauung der Insel Nedlitz – absehbaren Verkehrs-Chaos im Potsdamer Norden präventiv begegnen wollen, müssen wir eine Drehscheibe errichten, die den ganz unterschiedlichen Bedürfnissen der Menschen, bis hin zu Barrierefreiheit und Radwegeanbindung, gerecht wird und PROAKTIV dafür sorgen, dass die Drehscheibe von den Potsdamern angenommen wird.“ Und sie resümiert: „Es kann nicht die Intention sein, allein auf 1.000 Fahrgäste oder eine vergleichbare Zielgröße zu warten. Das war Konsens aller Beteiligten unserer Veranstaltung am Bahnhof Marquardt.“
Ob nun eine Fußgängerbrücke mit Fahrstuhl wie in Wustermark, ein Tunnel oder die Wiedereröffnung des Bahnüberganges, wie es Marquardts Ortsvorsteher Peter Roggenbuck favorisiert – eine Lösung muss her. Immerhin baut die Stadt vor Ort jetzt so, dass der Übergang nachträglich eingefügt werden kann.
Josef Grütter, engagierter Marquardter und Sprecher der Bürgerinitiative „Freileitung raus“ schlägt Folgendes vor: „Wenn die Barrierefreiheit nicht schon in diesem Jahr im Zuge des Umbaus hergestellt werden kann, so muss sie doch spätestens 2023 erfolgen. Denn dann plant die DB AG die Anhebung der Bahnsteige, um einen barrierefreien Ein-/Ausstieg zu ermöglichen. Das nützt aber wenig, wenn man nicht von dem einen zu anderen Bahnsteig kommt. Beide Baumaßnahmen (Bahnsteige und Querung) könnten zeitgleich erfolgen. Wird Barrierefreiheit nicht komplett gedacht, wird der gewünschte und aus oben genannten Gründen dringend erforderliche maximale Umstieg auf den ÖPNV nur ein Wunsch bleiben. Und die Mobilitätsdrehscheibe ein Torso, weil unvollständig.“
Eine Gruppe Radfahrer aus Satzkorn machte mit selbstgemalten Schildern auf ein weiteres dringendes Problem aufmerksam: Die fehlende Radwegeanbindung an den Bahnhof.
Von Satzkorn aus sind es nur 1.000 Meter, die fehlen. Aber die haben es in sich. Über den Satzkorner Berg brausen die vollbeladenen LKW unentwegt zum Asphaltmischwerk und zum Güterumschlagbahnhof. Wenn sich die Laster auf dem Berg begegnen, wird es für Radfahrer auf der schmalen Straße mit eingeschränkter Sicht extrem gefährlich. Aus dem Radwegekonzept der Stadt Potsdam geht hervor, dass die Satzkorner Bergstraße die prozentual am stärksten mit LKW-Verkehr belastete Straße ganz Potsdams ist.
Satzkorns Ortsvorsteher, Dieter Spira (SPD), überreichte eine Petition mit der Forderung zum Lückenschluss des Radwegs zwischen Bolzplatz und Kreisverkehr an der B273. Unterschrieben vom Ortsbeirat, dem Dorf- und Kulturverein „Satzkorn Miteinander“ und dem Förderverein der Freiwilligen Feuerwehr Satzkorn.
Auch von Fahrland zum Bahnhof fehlt eine wichtige Radwegeverbindung. Ein Antrag der LINKEN-Stadtverordneten Tina Lange mit der Aufforderung, endlich mit den Planungen zu beginnen, wird gerade in den Ausschüssen diskutiert.
Hohe Spritpreise, soziale Teilhabe, Klimaschutz, andauernder Zuzug, ständige Staus, der Ausbau von Krampnitz –für den Radwegebau und die Barrierefreiheit sprechen zahlreiche gute Argumente. Vielleicht ist das unlängst bekannt gemachte Wohngebiet, das im Norden von Marquardt geplant werden soll, ja das Zünglein an der Waage, damit der Bahnhof Marquardt doch zu einer echten Drehscheibe wird.
sk