Die Stadt hat städtebauliche Fehler gemacht, jetzt muss sie Farbe bekennen
Im Potsdamer Norden fehlen wettkampftaugliche Sportplätze. Das ist seit Jahren auch der Stadt bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass dieses Problem hausgemacht ist, weil man bei der städtebaulichen Planung – vor allem in Bornstedt – diese genauso „vergessen“ hat einzuplanen wie Flächen und Räumlichkeiten für Gastronomie, Kultur und Freizeit.
Ende 2016 beschloss daher die Verwaltung, nach geeigneten Flächen für den Bau von Sportanlagen zu suchen und präsentierte etwa ein halbes Jahr später, im Juni 2017, drei mögliche von zehn untersuchten Alternativstandorten: Zwei im Lerchensteig, einen im Remisenpark des Volksparks.
„Im Ergebnis weist der bisher vorgesehene Standort „Lerchensteig/Schneiderweg (AWO-Grundstück) die höchste Standortgunst auf. Die beiden anderen geprüften Standorte sind aus rechtlichen und/oder faktischen Gründen nicht oder weniger gut geeignet … Der Standort Remisenpark wurde vom Beirat [Naturschutzbeirat, Anm. d. Red.] deutlich abgelehnt“, heißt es in dem Prüfungsbericht des Fachbereichs Stadtentwicklung der Stadt Potsdam.
Viel Lärm um Nichts
Aufgrund des Prüfungsergebnisses und der Zustimmung des Landesumweltamtes begann die Verwaltung, die Umsetzung des so dringend benötigten Sportplatzes am Lerchensteig voranzutreiben. 2020 sollte ein 90 mal 60 Meter großer Kunstrasenplatz, ein Parkplatz für dutzende Autos und ein Funktionsgebäude entstehen. Auch eine Flutlichtanlage mit bis zu 16 Metern hohen Masten sollte um die Sportfläche errichtet werden. Vier bis sechs Meter hohe Ballfangzäune und einige Lärmschutzplatten sollten die Nachbarn schützen. Der Sportplatz sollte primär von den Potsdamer Kickers als Vereinssportfläche genutzt werden.
Bekanntlich wurde aus dem Projekt nichts, das allein in der Planungsphase mehrere Hunderttausend Euro kostete. Die Gründe dafür waren Naturschutzverbände, die sich wegen der für den Sportflächenbau benötigten Baumfällungen erfolgreich eingeschaltet hatten, und eine Kostenexplosion von 2,1 auf 3,7 Mio. Euro.
Was nicht passt, wird passend gemacht?
Weil die Nachfrage nach geeigneten Sportflächen aber weiterhin hoch ist und die Stadt im Potsdamer Norden über keine entsprechenden Flächen mehr verfügt, favorisiert die Verwaltung nun wieder die zuvor als ungeeignet eingestufte Fläche des Remisenpark im Volkspark Bornstedter Feld. Die Stadt teilt demnach nicht mehr die Meinung der Prüfkommission, die den Standort als „ungeeignet“ eingestuft hat..
Aktuell heißt es auf Anfrage des POTSDAMERS zu dem Verfahren von Seiten der Stadt: „Im Rahmen der erneuten Alternativprüfung hat sich die Fläche „Westrand des Remisenparks zwischen Orville-Wright-Straße und Am Golfplatz“ als derzeit einzige Alternative zum Standort am Lerchensteig herausgestellt. Die Fläche bietet im folgenden genannte Vorzüge im direkten Vergleich zum Standort am Lerchensteig und wird von der Stadtverwaltung naturschutzrechtlich verträglicher eingeschätzt.
Mittelfristig ist eine Sportfreianlage bestehend aus zwei Großspielfeldern und eventuell kleineren Nebenspielfeldern am Westrand des „Remisenparks“ nördlich des Volksparkes im Bornstedter Feld vorgesehen. Für die Entwicklung der Fläche ist die Änderung des Bebauungsplanes notwendig. Das Änderungsverfahren kann frühestens im Laufe des Jahres beginnen und wird einige Jahre bis voraussichtlich Ende 2023 andauern. Im Verfahren wird der Standort einer vertieften Prüfung unterzogen. Belange von Natur- und Artenschutz, Denkmalschutz, Verkehr und Lärmimmissionen werden gutachterlich untersucht und bewertet werden.“
Wie verbindlich ist ein B-Plan?
Warum die Stadtverwaltung den Standort Remisenpark plötzlich als naturschutzrechtlich verträglicher einschätzt als den Lerchensteig ist für die Bürgerinitiative (BI) ‚Remisenpark erhalten‘ nicht nachvollziehbar. „Die Situation des Volksparks hat sich im Vergleich zu dem Gutachten aus 2017 aus ökologischer Sicht durch die massive Bebauung des Bornstedter Feldes sogar erheblich verschlechtert“, sagt die Sprecherin der BI, Josephine Reismann, im Gespräch mit dem POTSDAMER.
Mittlerweile habe sich laut Reismann auch der BUND Brandenburg öffentlich gegen eine Bebauung des Remisenparks ausgesprochen. „Es kann nicht sein, dass eine Stadt, die sich den Umweltschutz auf die Fahnen geschrieben und den Klimanotstand ausgerufen hat, ernsthaft darüber nachdenkt, eine gesetzlich geschützte Streuobstwiese zu bebauen, die zudem direkt neben dem europäischen FFH-Schutzgebiet „Heldbockeichen“ liegt“, so Reismann.
Hinzu kommt, dass der Remisenpark bereits ökologische Ausgleichsfläche für die Bebauung um den Volkspark ist. Der aktuell gültige Bebauungsplan 81 von 2006 verpflichtet die Verwaltung daher zur „dauerhaften Sicherung und Entwicklung“ dieses für den Natur- und Artenschutz besonders wertvollen Bereichs im Norden des Volksparks.
Diesen Bebauungsplan nun zu ändern und damit diesen Schutz auszuhebeln, ist nach Ansicht der BI ein umweltpolitischer Skandal. „Jahrelang hat man im Remisenpark mit viel Aufwand und Geld vorbildlich entwickelt. Es gibt heute keine blütenreichere Wiese in ganz Potsdam. Diesen Lebensraum vieler seltener und geschützter Arten nun zu zerstören, wäre exakt das Gegenteil von dem, was derzeit auf Landes- und Bundesebene unternommen wird, um endlich das dramatische Arten- und Insektensterben zu verlangsamen. Potsdam muss endlich Farbe bekennen beim Arten- und Klimaschutz“, fordert Reismann.
Zusätzlich liege der Remisenpark mit seiner Streuobstwiese eingebettet in die Lennésche Feldflur. Das potentielle Baufeld bedrohe nicht nur Flora und Fauna, sondern würde bei Umsetzung auch Familien und Freizeitsportler aus dem Areal vertreiben. „Faktisch wären die Sportanlagen nicht öffentlich zugänglich. Das käme einer weiteren Verkleinerung des Volksparks gleich. Dagegen haben bereits 2.000 Potsdamerinnen und Potsdamer unterschrieben. Und es ziehen ja monatlich mehr Menschen hierher, die den Volkspark in vollem Umfang nutzen möchten“, so Reismann. Auch die hohe schall- und lichtbezogene Belastungen der geplanten Sportanlage seien weitere Gründe, von dem Vorhaben Abstand zu nehmen.
Das Versprechen der Verwaltung
Die Stadt möchte nach eigener Aussage den Standort Remisenpark nicht nur prüfen, sondern plant bereits weiter, indem sie eine Änderung des gültigen Bebauungsplant in diesem Jahr vorsieht. Die B-Plan-Änderung ist für den Bau einer großen Sportanlage an dem Standort rechtlich notwendig, weil sich die Stadt zuvor im Rahmen von acht bereits realisierten B-Plänen (Großbauprojekten) im und um das Bornstedter Feld dazu verpflichtet hat, diese als dauerhafte ökologische Kompensationsfläche für den Natur- und Artenschutz zu sichern. Im B-Plan Nr. 81 „Park im Bornstedter Feld“ von 2006 heißt es dazu: „Im rechtskräftigen Flächennutzungsplan der Stadt Potsdam ist das Plangebiet als öffentliche Grünfläche, die vorhandenen Waldbestände des Schragens und der Viereckremise sind als Grünflächen mit Waldcharakter dargestellt. Darüber hinaus ist das gesamte Plangebiet als Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Natur und Landschaft ausgewiesen …
Im Rahmen der naturschutzfachlichen Beurteilung wurden die Aufwertungen von Natur und Landschaft im Park im Bornstedter Feld und im Nedlitzer Holz (Öko-Plus) sowie die Ausgleichserfordernisse (Öko-Minus) aus den Siedlungsgebieten des Entwicklungsbereiches, aus den Planfeststellungsverfahren zur Straßenbahn und aus dem städtebaulichen Vertrag des Projektes Euro-Medien ermittelt, die durch das Öko-Plus des Parks kompensiert werden sollen.
Aus folgenden Planverfahren innerhalb des Entwicklungsbereiches entstehen Ausgleichserfordernisse, die innerhalb des jeweiligen Geltungsbereiches des Bebauungsplans selbst nicht ausgeglichen werden können (Öko-Minus):
B-Plan Nr. 40 „Kaserne Kirschallee“, B-Plan Nr. 42-1 „Kaserne Pappelallee/Johannes-Lepsius-Straße“, B-Plan Nr. 42.2 „Kaserne Pappelallee“, B-Plan Nr. 42.3 „Kaserne Pappelallee/Fachhochschule“, B-Plan Nr. 55 „Angermannsiedlung/Nedlitzer Straße“, B-Plan Nr. 66 A „Südliche Gartenstadt“, B-Plan Nr. 66 B „Nördliche Gartenstadt“, B-Plan Nr. 80.1 „Rote Kaserne West/Biosphäre“.
Das heißt, dass bereits realisierte Bauprojekte im Bornstedter Feld nur umgesetzt werden konnten, weil sich die Stadt dazu verpflichtet hat, im Volkspark eine große Grünfläche für den Naturschutz als sogenannte Kompensationsfläche freizuhalten und die oben genannten Bauprojekten keine entsprechenden Grünflächen nachweisen konnten.
Schon beschlossene Sache?
Trotz der fortgeschrittenen Planungen zeigt sich die Verwaltung gesprächsbereit. Gegenüber dem POTSDAMER sagt eine Sprecherin der Stadt: „Die Landeshauptstadt Potsdam ist mit der Bürgerinitiative ,Remisenpark erhalten‘ in Kontakt. Der letzte Austausch fand am 11.01.2021 bei einem Vorort-Termin im Remisenpark statt. Aufgrund der Corona Pandemie konnte der Bürgerdialog in digitaler/schriftlicher Form stattfinden. Bislang liegen der Verwaltung 33 Beiträge vor. Sobald die Eindämmungsverordnung zur Corona Pandemie dies zulässt, ist ein Bürgerdialog auch in persönlicher Form vorgesehen.“
Den Argumenten der BI hält die Stadt eigene entgegen, mit der sie die Bebauung des Remisenpark legitimiert. So besitze der Remisenpark einen Standortvorteil der Erreichbarkeit und Anreisezeit für die Zielgruppen und Vereine und sei sehr gut zu Fuß oder mit dem Rad aus dem Bornstedter Feld zu erreichen. Ebenso sei die Verkehrssicherheit der Ortslage insbesondere für Kinder und Jugendliche gegeben. „Naturschutzrechtlich wird der Eingriff in die Natur am Standort Remisenpark im Vergleich zum Lerchensteig zunächst als weniger schwerwiegend eingeschätzt. Eine verbindliche Prüfung des Eingriffs und der nötigen Ausgleichsmaßnahmen kann allerdings in diesem frühen Projektstadium noch nicht vorliegen“, so die Stadtsprecherin gegenüber dem POTSDAMER.
Wie konkret bereits die Planungen der Stadtverwaltung im Remisenpark sind, wird in einer Antwort der Stadt auf eine Anfrage des POTSDAMER deutlich: „… Insofern erforderlich, werden bauliche Maßnahmen vorgesehen, um die rechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich Licht- und Lärmimmissionen einzuhalten …“.
Ist alternativer Standort keine Alternative?
In den letzten Wochen wurde immer wieder die große freie Grünfläche gegenüber der Haltestelle Campus Jungfernsee als Alternativstandort ins Spiel gebracht. Hierbei handelt es sich allerdings um ein wertvolles Bodendenkmal, der Lennéschen (Bornimer) Feldflur, das zusätzlich zur Grundwassergewinnung genutzt wird und das auch zahlreichen Wildtieren als Lebensraum dient.
Im Vorfeld haben sich bereits die Fraktionen der CDU, der SPD und der DIE LIKEN für den Standort Campus Jungfernsee ausgesprochen und über einen Mehrheitsbeschuss in der Stadtverordnetenversammlung die Verwaltung damit beauftragt zu prüfen, ob der Standort für eine Vereinssportanlage infrage kommt. Die Verwaltung erklärt diesen Antrag als bereits „durch Verwaltungshandeln erledigt“. Andreas Goetzmann, Leiter des Bereichs Stadtplanung, sagte dazu, dass die Fläche aufgrund ihres Denkmalstatus als Teil der Bornimer Feldflur nicht für eine Sportfläche geeignet sei. Der Grund dafür sei, dass die Bebauung der Fläche mit einer Schule 2015 bereits abgelehnt wurde und sich seit der letzten Prüfung durch die Denkmalschutzbehörde nichts geändert habe. Für Matthias Finken (CDU) sei genau das der Grund, die Machbarkeit noch einmal zu prüfen, weil die damalige Untersuchung für eine Schule und nicht für einen Sportplatz erfolgt sei. „Wir können es uns nicht leisten, Flächen, die möglicherweise für Sportstätten infrage kommen, nicht ausreichend zu prüfen“, so Finken.
Inzwischen bestätigt eine Sprecherin der Stadt auf Anfrage des POTSDAMER die aktuelle interne Untersuchung, unter welchen Umständen dieses Areal aus dem Denkmalschutz herausgelöst werden kann: „Im Dezember 2020 hat die Stadtverordnetenversammlung der Landeshauptstadt Potsdam die Verwaltung beauftragt, an die Oberste Denkmalschutzbehörde sowie das Landesamt für Denkmalpflege heranzutreten, um gemeinsam zu prüfen, unter welchen Bedingungen die Nutzung der Flächen gegenüber der Haltestelle Campus Jungfernsee für eine Schul- und Sportnutzung doch möglich ist. Rückmeldungen zu entsprechenden Anfragen liegen bislang noch nicht vor.“
Nach Ansicht einiger Involvierten sei der Bau einer Sportstätte auf dieser Fläche in unmittelbarer Näher der Bus- und Straßenbahnhaltestelle Campus Jungfernsee geeigneter, da dieser auch aus Sicht der Infrastruktur günstiger liege und der aufkommende Bringe- und Abholverkehr stark reduziert werden könne.
Wie das Landesamt für Denkmalpflege (BLDAM) entscheidet und ob diese Fläche aus der Perspektive des Naturschutzes weniger schützenswert ist, werden die kommenden Wochen zeigen.
sts
Mehr über die Bürgerinitiative Remisenpark erfahren Sie hier: www.remisenpark-erhalten.de
Die B-Pläne 42.4 und 66B und 81 und andere finden Sie hier: www.potsdam.de/rechtsgueltige-bebauungsplaene