Nancy van der Meer fertigt Kleidung und Erinnerungen für Frühchen und Sternenkinder

Wenn ein Leben zu Ende geht, kaum dass es begonnen hat, beginnt für die zurückgebliebenen Eltern eine harte Zeit. Auf die allergrößte Vorfreude folgt abrupt die schwerste Verlusterfahrung. Trauer, Unverständnis, Verzweiflung – die Welt stürzt über einem zusammen. Hinzu kommt oft eine große Sprachlosigkeit im Umfeld der Trauernden. Niemand wagt es, den Verlust anzusprechen. Sei es aus vermeintlicher Rücksicht, um den Eltern nicht zu nahe zu treten, sei es aus Furcht, es könnte anstrengend sein, darüber zu reden. Oder aber im Glauben, verdrängen helfe zu vergessen.

Nancy van der Meer abends an ihrem zweiten Arbeitsplatz im Wohnzimmer. Fotos: sk

Nancy van der Meer sieht das anders. In Gesprächen mit vielen trauernden Eltern hat sie erfahren: Es gibt ein großes Bedürfnis, das Erlebte in Worte zu fassen, gemeinsam Tränen zu vergießen, den Gefühlen freien Lauf zu lassen. „Man ist ja Mutti geworden, auch wenn das Kind tot ist.“ Nahe Verwandte, gute Freunde, auch mitfühlende Fremde können in dieser schweren Zeit eine Stütze für die Trauernden sein: „Es gibt Menschen, die zerbrechen daran, wenn sie einen geliebten Menschen verlieren. Schaut nicht weg, sprecht sie an. Nehmt sie an die Hand und lasst sie nicht allein!“
Nancy van der Meer hat ihren ganz eigenen Weg gefunden, mit Trauer umzugehen. Das war im Jahre 2014, als ihr Vater Rudolf van der Meer nach schwerer Krankheit gestorben war. „Ich wollte etwas Gutes tun, etwas für andere Menschen bewirken.“ Und es sollte etwas mit dem Bergmann-Klinikum zu tun haben. Denn hier hat ihr Vater seine letzten Stunden verbracht und ihre Tochter kam hier zur Welt. Ihre Mutter arbeitet im Klinikum als Krankenschwester. „Ich bin dem Bergmann sehr dankbar für die tolle Hilfe und finde es schade, dass es oft so schlecht gemacht wird.“


Da van der Meer Handarbeiten schon immer sehr liebte, kam sie auf die Idee, etwas für die Babys in der Frühchenstation zu nähen, denn: „Für die ganz kleinen Größen gibt es nichts zu kaufen. Die jungen Eltern sind daher dankbar, wenn sie von der Klinik ein Entlassungsset für ihr Baby bekommen.“ Das Set, bestehend aus Body, Hose, Wickelshirt, Schuhen und Mützchen, kleidet die Babys, wenn sie endlich nach Hause dürfen. Doch schon während des Klinikaufenthalts gibt es einen großen Bedarf an Kleidung und nützlichen Sachen: „Muttitücher“ legen die Mütter für eine Weile an ihre Brust und später in den Inkubator, damit das Neugeborene den Duft der Mama kennen lernt. An kleinen gehäkelten Kraken können die Babys ziehen und werden damit abgelenkt von der Sonde am Kopf, an der sie sonst auch gern mal zerren.

Kraken für Frühchen, die gerne an Kabeln ziehen.

Wenn sich abzeichnet, dass ein Frühgeborenes es nicht schaffen wird und es ihm sehr schlecht geht, wünschen sich Eltern oft, dass ihr Kind sofort getauft wird. Dafür näht Nancy van der Meer zarte kleine Taufkleidchen. Diese sehen besonders edel aus, wenn sie aus Stoff von Brautkleidern gefertigt werden.
Um all diese Dinge anzufertigen, braucht Nancy van der Meer viel Zeit. Zeit, die sie als alleinerziehende Mutter mit einem anstrengenden Vollzeitjob, der um vier Uhr morgens beginnt, eigentlich nicht hat. Aber das fegt sie vom Tisch – das nächste Entlassungsset muss genäht werden. Fast jeden Abend sitzt Nancy van der Meer an der Nähmaschine, sodass aus dem Ehrenamt beinahe ein zweiter Vollzeitjob geworden ist. Sie ist voller Elan dabei, schöpft aus ihrer Begeisterung unglaublich viel Energie. Immer wieder hat sie tolle neue Ideen, die sie mit großer Kreativität umsetzt.


Um all die Arbeit bewältigen zu können, hat sich Nancy van der Meer recht bald ein Netzwerk aufgebaut: Zehn engagierte Frauen im Raum Potsdam unterstützen sie beim Nähen und Häkeln. Außerdem hat sie sich mit der „Organisation Sternschnuppen“ vernetzt, einer bundesweit agierenden Gruppe von mehr als 600 Frauen, die sich auf ähnliche Weise engagieren. „Wir können gar nicht so viel produzieren, wie gebraucht wird“, sagt Nancy van der Meer.
Wer Spaß an Handarbeiten und Lust zu helfen hat, kann sich gerne bei ihr melden. Es ist ihr aber wichtig festzustellen: „Jeder soll natürlich nur machen, worauf er Lust hat und nur so viel Zeit investieren, wie er selbst bereit ist zu geben.“
Inzwischen läuft alles über Bestelllisten, die sie vom Klinikum bekommt. Auch eine Seelsorgerin wird regelmäßig beliefert. Auch für Babys, die vor, während oder bald nach der Geburt verstorben sind gibt es Bedarf. Für diese „Sternenkinder“ fertigt van der Meer kleine Einschlagdecken, in denen sie beerdigt werden können. Die Sternenkinder heißen so, weil: „Sternenkinder erreichen den Himmel, noch bevor sie das Licht der Welt erblicken konnten.“

Die Friedhofsverwaltung von Potsdam hat im unteren Bereich des Neuen Friedhofs Potsdam einen Sternengarten eingerichtet, in dem sowohl Stillgeborene als auch verstorbene Kinder bis zum vollendeten 5. Lebensjahr ihre letzte Ruhestätte finden können.
Wenn das kleine Leben nur ganz kurz war, bleiben den Eltern nur sehr wenige Erinnerungen. Ein für viele Eltern ganz wertvoller Schatz ist der kleine gehäkelte Schmetterling, der meist in dreifacher Ausführung angefertigt wird. Einen bekommen die Eltern, einer geht an eine Person, die sich noch besonders auf das Kind gefreut hat (z.B. ein Geschwisterkind) und ein Schmetterling wird in das Grab zum dem toten Baby gelegt. So bleiben die drei in Verbindung. sk

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