Bundeskanzler beantwortet Fragen zum Krieg in der Ukraine und vielen anderen Themen

Am 29. Mai dieses Jahres stellte sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) um 11 Uhr am Brandenburger Tor zum Thema „Der Krieg in der Ukraine und seine Folgen“ den Potsdamerinnen und Potsdamern.
In den vergangenen Wochen geriet Scholz wegen seines zurückhaltenden Kommunikationsverhaltens häufig in die Kritik.
Mit diesem Termin wollte der in Potsdam lebende Bundeskanzler sein Wahlversprechen aus dem Vorjahr einlösen und trotz seines nationalen und internationalen Aufgabengebietes mehr Präsenz in seinem Wahlkreis zeigen.
Der hohe Besuch wirkte und lockte trotz des regnerischen Wetters viele Interessierte an.
Scholz begann die Veranstaltung auf der kleinen überdachten Bühne stehend mit einer fast 15 minütigen Eingangsrede, bei der er seine Sicht auf den Krieg in der Ukraine, den russischen Präsidenten, notwendige Waffenlieferugen sowie Wirtschaftssaktionen und vieles mehr unmissverständlich skizzierte. Diese erhöhte Position und den Abstand hob er jedoch umgehend danach auf, als die Fragerunde begann, indem er sich unter das Publikum mischte, um Nähe, Vertrauen und Augenhöhe zu demonstrieren. Den vielen Sicherheitsbeauftragten und Polizisten wird dies nicht ganz so gut gefallen haben, wie den vielen Menschen im Publikum, hatten sie es doch nicht immer leicht Scholz zwischen den reihen folgen zu können.
Auch als die Veranstaltung von zwei länger anhaltenden Schauern begleitet wurde und das Publikum unter den mitgebrachten Schirmen Schutz fand, verzog der Bundeskanzler keine Miene. Es hatte schon fast etwas Sinnbildliches: Der Bundeskanzler steht im Regen und er scheint es nicht zu merken – zumindest aber zu ignorieren.
Nicht, dass er den Regen nicht bemerkte, er hat sich nur auf das Wesentliche konzentriert – und das war sein Publikum und die Fragen, die es an ihn stellte. Mit stoischer Ruhe lies er den Regen Regen sein und wandte sich einer Frage nach der anderen zu.

Bundeskanzler glaubt dem russischen Präsidenten nicht

Scholz macht keinen Hehl daraus, dass er der Argumentation Putins für den Krieg in der Ukraine keinen Glauben schenkt. Statt um die angebliche Befreiung einer Nation von regierungsnahen Nazis gehe es Putin um die Wiedererrichtung historischer Grenzen, um die willkürliche Erweiterung des eigenen Reiches und den damit einhergehenden Einflüssen. Dieser auf brutalste Weise durchgeführten Willkür könne man laut Scholz nicht untätig zusehen und müsse die unrechtmäßig angegriffene Ukraine mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Dazu gehöre auch die Lieferung von schweren Waffen und der notwendige Wissenstransfer, um diese Waffen optimal zu bedienen.
Putin habe ihm persönlich gesagt, dass die Menschen in der Ost-Ukraine von dem Regime befreit werden wollen.
Statt aber zu Zigtausenden Fähnchen schwenkend an den Straßen zu stehen und die Befreier willkommen zu heißen, halten die Ukrainer zusammen und kämpfen mit aller Kraft gegen den Angreifer, so Scholz. Putin habe gemerkt, so Scholz, dass er seine Gegner und die Wirkung der gegen Russland ausgesprochenen Saktionen unterschätzt habe. Aus diesem Grund könne es keinen anderen Weg für Putin geben, als sich militärisch aus der Ukraine zurückzuziehen und sich mit der Ukraine zu verständigen sowie mit ihr eine faire Vereinbarung zustande zu bringen. Putin könne keinen Krieg führen und anschließend die Regeln für einen Frieden diktieren. Das werde nach Meinung des Bundeskanzlers nicht klappen.
Scholz bezweifele auch, dass der Einmarsch in die Ukraine eine kurzfristige Entscheidung war. Er vermute, dass Putin die Entscheidung, gegen die Ukraine Krieg zu führen, bereits vor etwa zwei Jahren getroffen habe. Dafür sprächen die umfangreiche Mobilmachung an den Grenzen der Ukraine und die dafür notwendigen langfristigen logistischen Planungen im Voraus.


Nicht eingegangen ist Scholz jedoch auf die Kritik Putins an der Nato-Osterweiterung und der dadurch möglich werdenden militärischen Bedrohung Russlands durch den Westen. Auch hat Scholz nicht darüber gesprochen, wie häufig sich Putin in den vergangenen 20 Jahren um eine Annäherung zwischen Russland, Deutschland und Europa bemüht hat und dass Deutschland Putins ausgestreckte Hand stets ausgeschlagen hat.
Egal, wie man zu dem Bundeskanzler privat oder politisch stehen mag, eines musste man nach der über 90-minütigen Veranstaltung konstatieren: Olaf Scholz war souverän. Nicht nur, dass er zwischendurch immer mal wieder die ihm so oft abgesprochene persönliche Note – hier und da sogar gepaart mit situativ angemessenem Humor und Empathie – aufblitzen lies, er ging auf die vielfältigen und oft in der Sache herausfordernden Fragen sowie auf die Fragenstellenden ausgiebig ein. Wobei die ein oder andere Argumentation allerdings etwas konstruiert und auswendig gelernt wirkte.
Vielleicht gibt es derartige Auftritte in seinem Wahlkreis ja in Zukunft regelmäßig. An Interessierten fehlt es sicherlich nicht.

sts