Das Bornstedter Feld wird zum Reallabor

Viele Städte wachsen. Immer weniger Fläche steht dann für den einzelnen Menschen zur Verfügung. Das ist ein bekanntes Problem. Ein Bestandteil dieser vielschichtigen Herausforderung ist die Gestaltung des individuellen Autoverkehres auf unseren Straßen sowie die des öffentlichen Nahverkehres (ÖPNV). Wie wollen wir zukünftig von A nach B gelangen und wie können wir das im Sinne des Klimaschutzes und der Flächenverteilung umsetzen? Dieser Frage geht man nun auch auf dem Bornstedter Feld nach. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projektteam MaaS L.A.B.S. möchte dort mithilfe von wissenschaftlichen Studien und öffentlichen Veranstaltungen einen Mobilitätsdienst mit Zukunftspotential entwickeln.

Staus auf den Straßen, zu wenige und zu schmale Wege für Radfahrerinnen und ein ÖPVN, der allein nicht alle Bedürfnisse der Bewohner*innen einer Stadt abdecken kann, sind mehr als ein Ärgernis. Sie sind ein reales Problem für die Stadtentwicklung mit Wechselwirkungen in viele Bereiche: Arbeit, Wohnen, Freizeit, Konsum. MaaS L.A.B.S. (kurz für Mobilty as a Service) – ein Forschungs- und Entwicklungsprojekt von Fachhochschule Potsdam, Technischer Hochschule Wildau und Universität Siegen zusammen mit Praxispartnern wie dem Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum – versucht dafür nun Ideen zu erarbeiten und Innovationen zu testen. Ein ambitioniertes Projekt, welches in einem Dreiklang aus (1) der Analyse des Ist-Zustandes, (2) der Vermittlung innovativer Mobilitätsansätze und (3) der Gestaltung von Testumgebungen agiert.

Im Klartext bedeutet dies, dass erforscht werden soll, wie genau die Menschen momentan die Stadt im Zusammenhang mit dem vorhandenen ÖPVN, privaten Autos und Sharing-Angeboten nutzen. So sollen nachhaltige Mobilitäts-Potenziale gefunden, ausgebaut und verknüpft werden. Dabei gibt es große regionale Unterschiede. Eine Berlinerin hat andere Angebote, Möglichkeiten und Bedürfnisse beim Thema Mobilität als eine Potsdamerin oder Menschen, die auf dem Dorf leben. MaaS L.A.B.S. fokussiert auf die kleine Großstadt Potsdam und ihre lokalspezifischen Gegebenheiten.

Intelligente Mobilitätspakete und eine App

Für MaaS L.A.B.S. sei es ein langfristiges Ziel, die Frequenz gering besetzter, privater Autos auf den Straßen und die damit zusammenhängende Klimabelastung zu minimieren. Das bedeute aber nicht, dass die Mobilität verringert werden soll. Eher solle die Attraktivität des ÖPNV und die Verfügbarkeit alternativer Verkehrsangebote gesteigert werden. Um dies in den Alltag der Menschen zu integrieren, plant MaaS L.A.B.S. eine Mobilitäts-App, in der die lokalen Angebote des ÖPVN und von Sharing-Diensten vereint werden. Verschiedene Optionen (etwa nach Umfang der Nutzung) könnten dort dann in einem einfachen Paket (in einem von drei Tarifen) gebucht werden.
Gerade in einer Stadt, die jedes Jahr höhere Einwohnerzahlen verzeichnet, ist das eine Alternative, die dem Gemeinwohl helfen könnte. Natürlich könne dergleichen nicht in kurzer Zeit etabliert werden, denn es sei nicht nur eine technische Frage, sondern auch eine Frage von Gewohnheiten und Werten. „Diskussionen und Testversuche zu einer wünschenswerten Zukunft der Mobilität müssen in der Öffentlichkeit stattfinden“, sagt Christian Berkes, der von Seiten der FH Potsdam für MaaS L.A.B.S. tätig ist, dem POTSDAMER.
Eine klassische verkehrsplanerische Aufgabenstellung sei die „Letzte Meile“, also der Weg zwischen einer Haltestelle des ÖPVN und der eigenen Haustür oder dem Arbeitsplatz. Ein Beispiel von MaaS L.A.B.S. wäre dort der Einsatz von kleinen automatisierten Bussen mit intelligentem Routing.
Von Seiten der TH Wildau gibt es zum Beispiel die Überlegung, exemplarisch zwei Nachtbuslinien in Cottbus zu einem bedarfsorientierten Flächenbetrieb zu vereinen. Die Fahrgäste würden dann über eine App ihre Standorte mitteilen. Der Algorithmus des Busses errechnet daraufhin, welche die effizienteste Route wäre, um alle Fahrgäste zu ihrem Ziel zu bringen. Tatsächlich sei die technische und wirtschaftliche Umsetzung derartiger Vorhaben momentan aber zusätzlich erschwert. Verkehrsbetriebe stehen durch die Corona-Pandemie vor großen Herausforderungen.

Vorhandene Angebote sinnvoll verknüpfen und Nutzerdaten erheben

Grundsätzlich geht es MaaS L.A.B.S. darum, Innovationen intelligent und nutzenbringend in ein bestehendes Gesamtsystem einzufügen. „Die Digitalisierung und die Automatisierung bergen positive sowie negative Potenziale für das gesellschaftliche Zusammenleben. Wir müssen also darüber diskutieren, welche Ziele wir damit verfolgen“, ergänzt Christian Berkes. Die genauen Mobilitätsbedarfe müssten besser ermittelt und dargestellt werden, um die Frage von Funktion und Nutzen zu beantworten.
Es soll nicht einfach eine möglichst hohe Anzahl an Carsharing-Autos verteilt werden, in der Hoffnung, dass diese von den Anwohnerinnen angenommen würden. Stattdessen müsse man beispielsweise auch fragen: Brauche ich zum Wocheneinkauf wirklich immer mein Auto oder kann ich (vor allem im Sommer) auch das leihbare Lastenrad nutzen? Und wie können wir das gut organisieren? Als reales Testgebiet wurde das Bornstedter Feld auserkoren, wo im Mai 2020 das MaaS L.A.B.S.-Reallabor per Videobotschaft eröffnet wurde.

Im Dialog mit den AnwohnerInnen, der Politik, Praxispartnern und ExpertInnen sollen hier im kleinen Umfeld Ideen geplant, getestet und evaluiert werden. Ursprünglich wollte sich MaaS L.A.B.S. persönlich mit einer Veranstaltung vorstellen, doch die Situation rund um Corona hat dies verhindert. Alternativ wird zwischenzeitlich also im Internet informiert. Den Newsletter gibt es bald auch in gedruckter Form z.B. im Stadtteilladen Bornstedt. Wer noch Fragen hat oder Anregungen sucht, kann sich für den digitalen Newsletter „SHARE“ auf der Projekt-Webseite anmelden. Dort wird auch über alle folgenden Veranstaltungen informiert: www.maas4.de

kb

Das Gespräch wurde geführt mit Christian Berkes. Zum Team MaaS L.A.B.S. Potsdam gehören zu dem Prof. Dr. Antje Michel (Projektleitung) und Ronja Rohr.