Was die Politik wirklich will – und was die Verwaltung erst einmal umsetzt

So schön Potsdam auch ist, der Verkehr in der Landeshauptstadt wird für viele immer unerträglicher. Immer mehr Autos drängen sich durch die vollen Straßen und verursachen regelmäßige Staus. Alternative Angebote, wie der Ausbau des ÖPNV und der Fahrradwege, sind noch weit von einer spürbaren Umsetzung entfernt.
Nun hat die Stadtverwaltung auf Geheiß der Politik in den vergangenen zwei Jahren ein Konzept für eine autoarme Innenstadt entwickelt, das dafür sorgen soll, dass weniger Platz für Autos, dafür aber mehr Räume für Aufenthaltsqualität, Gastronomie, Radfahrer und Fußgänger geschaffen wird. Doch obwohl das Konzept von den meisten Akteuren getragen wird, gibt es noch Nachbesserungsbedarf und unbeantwortete Fragen.
Der Konzeptentwicklung vorausgegangen sind zwei Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung aus dem Jahr 2020 (DS 2020/SVV/0858 und 202/SVV/1009), in denen die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen sowie Die Linke die Verwaltung beauftragt haben, den Anteil des ruhenden Verkehrs zu reduzieren sowie die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu erhöhen. Hierbei verwendeten die genannten Fraktionen den Begriff einer „autofreien“ Innenstadt. Gegen den sich nun viele Stimmen erheben.

Politik will keine Autos mehr

Saskia Hüneke (Bündnis 90/Die grünen)

Saskia Hüneke (Bündnis 90/Die grünen)

In einem Radiointerview bestätigten die beiden Fraktionsvorsitzenden Saskia Hüneke und Dr. Gert Zöller (Bündnis 90/Die Grünen), dass es der politische Wille sei, aus der Innenstadt langfristig eine autofreie Innenstadt zu machen. „Wir streben als Perspektive die autofreie Inennstadt an“, so Zöller im Interview bei ,Schulz reicht´s‘, einer neuen Sendung des Radiosenders BHeins. „Zahlreiche andere Städte haben gute Erfahrungen damit gemacht, auch in Bezug auf die Entwicklung des Handels.“ Die autoarme Innenstadt, die das vorliegende Konzept der Verwaltung beinhalte, sei „ein erster Schritt“. Schließlich wolle man die Entwicklung von einer stark autolastigen zu einer autofreien Innenstadt schrittweise vollziehen. Ebenso sei im Vorfeld die Entwicklung von Ersatzangeboten notwendig, um die Akzeptanz der Menschen für eine autofreie Innenstadt zu erhalten. An einer autofreien Innenstadt halte die Politik jedoch fest, so Zöller.
Auch der Beigeordnete für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Umwelt, Bernd Rubelt, bestätigte den politischen Auftrag. Eine autoarme Innenstadt sei allerdings, so Rubelt, „die Antwort der Verwaltung auf diese politische Absicht“, der eine zweijährige Konzeptentwicklung mit umfangreichen Beteiligungsverfahren vorausgegangen ist. Das vorgelegte Konzept sei laut Zöller ein ausgewogener Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Belangen.

Potsdams Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Umwelt, Bernd Rubelt

Potsdams Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Umwelt, Bernd Rubelt

Vorstandsvorsitzender der AG Innenstadt, Götz Friederich

Vorstandsvorsitzender der AG Innenstadt, Götz Friederich

Gert Zöller (Bündnis 90/Die Grünen)

Gert Zöller (Bündnis 90/Die Grünen)

Götz Friederich, Vorstandsvorsitzender von Potsdams einflussreicher Unternehmervereinigung, der AG Innenstadt, hält diese Absicht für eine Utopie. „Vielleicht fliegen wir irgendwann einmal mit selbstgesteuerten Drohnen durch die Luft oder können uns – wie bei Raumschiff Enterprise – irgendwo ,hinbeamen´ lassen. Aber bis dahin halte ich es für utopisch, von autofrei zu sprechen. Der Mensch ist individuell mobil. Er will es sein. Er muss es sein; ob zu Fuß, per Rad, mit dem ÖPNV oder individuell – Letzteres vor allem, wenn es in Zukunft nicht nur noch elektrisch, sondern auch per Car Sharing oder selbstfahrend geht.“ Vor allem für Lieferverkehre, Handwerksbetriebe, Menschen mit Behinderungen und Anwohner seien entsprechende Park- und Halteflächen zu berücksichtigen. Es gehe daher nicht darum, alle Autos aus der Innenstadt zu verbannen, sondern darum, wie man ruhende und fließende Verkehre auf den Bedarf anderer nichtmotorisierter Verkehrsteilnehmer abstimmen könne, so Friederich bei ,Schulz reicht´s‘.
Genau dieses Konzept, ein Nebeneinander von Anwohner-, Liefer-, Handwerks- und Besucherverkehren verfolgt die im Zusammenhang mit der Entwicklung innerstädtischer Verkehre immer wieder gern zitierte Hauptstadt Dänemarks, Kopenhagen. „Kopenhagen macht es vor. Für jeden der Verkehre ist jeweils ein Drittel möglicher Flächen für ruhende Verkehre vorgesehen. Die Haltemöglichkeiten für Handwerksverkehre werden sogar ausgeweitet“, zitiert Friederich aus einem Interview die Umweltbürgermeisterin Kopenhagens. „In Potsdam wird dagegen den Anwohnern, Einzelhändlern und Handwerkern vor allem in der Charlottenstraße der Garaus gemacht. Hier wird über die gesamte Länge der Charlottenstraße niemand mehr halten können, noch nicht einmal, um jemanden aussteigen zu lassen, z.B. für einen Besuch beim Arzt oder des Kabaretts Obelisk. Das ist Ausdruck einer politischen Borniertheit, insbesondere der Grünen“, meint Friederich weiter.

 

Initiative gegen das Konzept

Die Mittelstraße im Holländischen Viertel (oben) wird Fußgängerzone. Autos wird es hier bald nicht mehr geben.

Die Mittelstraße im Holländischen Viertel (oben) wird Fußgängerzone. Autos wird es hier bald nicht mehr geben.

Wenige Tage nachdem das Konzept zur Umnutzung von Straßenräumen öffentlich präsentiert wurde, formierten sich bereits die ersten Gegenstimmen, insbesondere die „Initiative Charlottenstraße“. Sie wandte sich an die Stadtverordneten und legte eine Liste von über 100 Anwohnern und Gewerbetreibenden vor, die sich gegen Teile des Konzeptes aussprachen. In dem Schreiben an die Stadtverordneten heißt es unter anderem: „… Grundsätzlich stehen wir einem Konzept für eine autoarme Innenstadt positiv gegenüber! In dem vorliegenden Konzept wurden jedoch leider Aspekte, welche für unser Leben und Überleben in diesem Stadtraum wichtig sind, bisher nicht erkannt und deshalb auch nicht berücksichtigt.
Für uns als Anwohner und Gewerbetreibende in der Charlottenstraße bringt das vorliegende Konzept keine Verbesserung, da kein Verkehr draußen gehalten wird oder eine Verkehrsberuhigung umgesetzt wird. Aber ein einfaches Halten (Be- und Entladung, Ein- und Aussteigen) oder eine Warenanlieferung, Baumaßnahmen oder Umzüge wären unmöglich!“
Dieser Meinung ist auch der Vorsitzende der AG Innenstadt und gibt ein sehr aktuelles Thema als Beispiel für den notwendigen Bedarf an Stellplätzen: „Wie sollen Handwerksbetriebe, die neue Heizungen in den Wohnungen und Häusern einbauen müssen, mit dem benötigten Werkzeug und Material zu den Wohnungen gelangen und die alten Anlagen abtransportieren? Wenn man noch nicht einmal für diese Form des täglichen Bedarfs Haltestellen einplant, ist das für mich an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigedacht“, äußert sich Friederich verärgert über die Ignoranz der Politik.
Fraktionsvorsitzender Zöller sieht das Konzept hingegen als einen ersten Entwurf, der ohnehin noch weiterentwickelt und konkretisiert werde. Er sehe aber auch Schwierigkeiten dabei, in das vorliegende Konzept einfach Haltezonen zu integrieren. „Der geplante und von uns befürwortete durchgehende Radfahrstreifen steht im Widerspruch zu Autoparkplätzen vor den Geschäften. Wir würden es begrüßen, lösungsorientiert Konzepte zu entwickeln, auch unter Einbeziehung der Seitenstraßen, so dass der Lieferverkehr durchgeführt werden kann.“ Es sei „selbstverständlich, dass die Geschäfte erreicht werden können“, so Zöller weiter. Zu prüfen seien hier vor allem die unterschiedlichen Interessenslagen. Aus diesem Grund sollen laut Zöller in einer noch zu beauftragenden verkehrstechnischen Untersuchung neue Lösungsansätze entwickelt werden, die möglichst die Bedürfnisse aller berücksichtigen.

Auch in der Gutenbergstraße (oben) werden nur noch vereinzelt Autos zugelassen (unten). Hier entstehen mehr Räume für eine höhere Aufenthaltsqualität.

Auch in der Gutenbergstraße (oben) werden nur noch vereinzelt Autos zugelassen (unten). Hier entstehen mehr Räume für eine höhere Aufenthaltsqualität.

Wohin mit dem Verkehr?

Aus politischer Sicht klingt es logisch: Die Menschen benötigen in Zukunft weniger Autos, gleichzeitig werden das ÖPNV-Angebot und Radfahrwege ausgebaut. Somit verringert sich der aufkommende motorisierte Individualverkehr von ganz allein. Laut Beigeordnetem Rubelt sei bereits schon jetzt ein „Umsteigen vom privaten PKW auf den ÖPNV und das Fahrrad“ zu beobachten. Für die restlichen Verkehre müsse man dann entsprechende Lösungen gefunden werden. Die Frage nach den dennoch benötigten Parkplätzen sein nach Ansicht Rubelts einfach zu beantworten. „Die umliegenden Parkhäuser bieten noch so viele freie Parkflächen, dass diejenigen, die noch mit dem Auto in die Innenstadt gelangen wollen, hier ausreichend viele und nahgelegene Parkplätze finden.“
Vorgesehen sei es auch, dass die Anwohnerparkplätze erhalten bleiben, so Hüneke. Dafür seien „bestimmte Straßenabschnitte und Grundstücke vorgesehen“.

In der Dortustraße (oben) sollen die Parkflächen weichen und mehr Raum für Gastronomien und Fußgänger entstehen (unten).

In der Dortustraße (oben) sollen die Parkflächen weichen und mehr Raum für Gastronomien und Fußgänger entstehen (unten).

Fußgängerzonen nicht wirklich barrierefrei?

Eine wesentliche Absicht in dem Konzept der neuen Straßennutzung soll es sein, die Straßen anliegenden Gewerbetreibenden und Fußgängern zur Verfügung zu stellen. Das zum Teil historische Natursteinpflaster soll dabei nach Angaben von Hüneke erhalten bleiben, da dies „zum besonderen Reiz des denkmalgeschützten Quartiers“ gehöre. Für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen sollen von den sanierten Gehwegen aus über das schwer begehbare Straßenpflaster barrierefreie Querungen verlaufen“, so Hüneke. Insbesondere in den Straßen mit alter Pflasterung und Baumbestand komme die flächige Regenwasserversickerung den Bäumen mit ihrer kühlenden Wirkung zugute, würde jede Maßnahme zu Bodenverdichtung und Verschlechterung führen.
Friederich hält das für diskriminierend, weil dadurch Menschen mit Mobilitätseinschränkungen von der Straßennutzung ausgegrenzt würden und verweist auf ein ähnliches und erfolgreich durchgeführtes Projekt in der „Allee nach Glienicke“ in Potsdam Babelsberg. Hier sei nach Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde der historische und holprige Straßenbelag aufgenommen und gegen ein abgeflachtes Pflaster ausgetauscht worden. Eine solche Regelung könne sich Friederich auch in der historischen Innenstadt vorstellen.

Ein Großteil der Charlottenstraße (oben) ist ohne Halteflächen geplant (unten). Dagegen wehren sich Anwohner und Gewerbetreibende.

Ein Großteil der Charlottenstraße (oben) ist ohne Halteflächen geplant (unten). Dagegen wehren sich Anwohner und Gewerbetreibende.

Das Holländische Viertel als Fußgängerzone

Das entwickelte Konzept „Innenstadt – Straßenräume neu denken!“ weist eine neue Fußgängerzone aus. Die sich im Holländischen Viertel befindende Mittelstraße soll zwischen der Benkert und Friedrich-Ebert-Straße frei von Autos und für die Fußgänger frei zugänglich werden. Die Fraktion der DIE aNDERE beantragte jedoch kurzfristig, das gesamte Holländische Viertel zu einer Fußgängerzone zu erklären. Dies wurde jedoch von den anderen Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung nicht mitgetragen – auch wenn es wohl doch bald dazu kommen soll.
„Das vorliegende Konzept mit der Erweiterung der Fußgängerzone ist das Ergebnis einer Abwägung unterschiedlicher Interessen, die in den Beteiligungsverfahren geäußert wurden. Wir finden den Gedanken einer um das gesamte Holländische Viertel erweiterten Fußgängerzone sympathisch“, bestätigt Hüneke. „Philosophie des vorliegenden Konzeptes ist es allerdings, dass es einen Entwicklungsprozess einleitet und die derzeitigen Belange der Bevölkerung berücksichtigt werden.“ Dazu gehöre auch, dass Anwohnerparklätze weiterhin erhalten bleiben.
Der aktuelle Ansatz, aus der Mittelstraße eine Fußgängerzone zu machen, sei gut, um dies erst einmal zu testen, so der Vorstandsvorsitzende der AG Innenstadt. Friederich sei aber überrascht gewesen, als die Fraktion der Die aNDERE kurzfristige Änderungen am Konzeptentwurf vornehmen wollte. „Das ist wieder einmal mit Brachialgewalt über beschlossene Dinge hinweggehen, statt diese erst einmal auszuprobieren.“ Er sei aber froh, dass man diesen Antrag zu einem Prüfauftrag geändert habe, und die Stadtverwaltung nun erst einmal überprüfen solle, ob das gesamte Holländische Viertel überhaupt zu einer Fußgängerzone umgestaltet werden könne.

Das Areal des neuen Innenstadtkonzeptes hat eine Fläche von 0,4 km2. Doch das ist erst der Anfang. Die Innenstadt soll noch viel weitläufiger geplant werden.

Das Areal des neuen Innenstadtkonzeptes hat eine Fläche von 0,4 km2. Doch das ist erst der Anfang. Die Innenstadt soll noch viel weitläufiger geplant werden.
Quellen: LHP

Bis wohin geht die Innenstadt?

Laut Friederich habe eine von der Verwaltung vor einigen Jahren durchgeführte Untersuchung gezeigt, dass „das wahrgenommene Raumgefühl der Innenstadt weit über den derzeit gedachten Straßenverlauf hinausgeht.“ Demnach soll die Innenstadt vom Alten Markt, über den Platz der Einheit, den Bassin Platz, das Holländische Viertel, bis zum Luisenplatz über die Plantage bis zum Landtag verstanden werden. Sowohl Hüneke als auch Friederich bestätigten auf Nachfrage, dass sich das Konzept einer autofreien oder erst einmal autoarmen Innenstadt über dieses Areal ausdehnen soll. Wie dann mit den Verkehren, den Anwohnern und den unzähligen Gewerbetreibenden umgegangen wird, muss die weitere Planung ergeben. Sicherlich wird es im Rahmen der weiterführenden Konzeptentwicklung noch zu erheblichen Interessenskonflikten kommen.
Nach zwei bis drei Jahren soll untersucht werden, inwiefern das Konzept der autoarmen Innenstadt von den Menschen angenommen wurde, um im Anschluss Anpassungen vornehmen zu können, so Rubelt im Interview der Radiosendung „Schulz reicht´s“.
Selbstverständlich informiert Sie der POTSDAMER über alle aktuellen Entwicklungen zeitnah.

sts