Noch ist es still in der historischen Villa. Nur die Sonne hat sich durch die Fenster hineingeschlichen und setzt die dunkelblaue Tapete mit den weißen Elefanten durch das Lichtspiel besonders in Szene. Der Elefantensalon ist einer der drei Salons im Erdgeschoss der Villa Kellermann. Und genau hier bin ich mit Christopher Wecker verabredet. Der 31-jährige Chefkoch zaubert tagtäglich mit seinem achtköpfigen Team ganz besondere Geschmackserlebnisse auf die Teller seiner Gäste. Doch das ist bald vorbei: Der Restaurantbetrieb in der Villa wird am 21. Juni beendet.
Im Jahr 2016 hatte der Fernsehmoderator Günther Jauch („Wer wird Millionär?“) das verfallende Haus am Heiligen See gekauft und sanieren lassen. 2019 eröffnete er das „Restaurant Villa Kellermann“ zusammen mit dem ebenfalls bundesweit bekannten Sterne-Koch Tim Raue. Die Idee: Deutsche Speisen zu erschwinglichen Preisen. Das Konzept wurde ein großer Erfolg. Der Restaurant-Führer „Gault & Millau“ ehrte Jauch als „Gastronomen des Jahres“, die Nachfrage von Freunden gehobener deutscher Küche war enorm, Tische mussten Wochen im Voraus reserviert werden.
Wie es nun weitergehen soll, bleibt vage.
Dass die 1914 erbaute Villa Kellermann in der Potsdamer Vorstadt an der Mangerstraße 34 eine über 100-jährige bewegte Geschichte hat, spürt man, sobald man die Stufen zur Eingangstür emporgeht. Hat man im großen Foyer wichtige Persönlichkeiten begrüßt und später mit ihnen geschichtsträchtige Entscheidungen im Salon getroffen? Bekannt ist, dass das Gebäude von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und später vom DDR-Kulturbund bezogen wurde. Dann wurde es bis zum Jahr 2009 schon einmal als Restaurant genutzt – und stand dann leer.
Günther Jauch, der am Heiligen See in Potsdam wohnt, erwarb die Villa vor acht Jahren, sanierte sie und hauchte ihr mit seinem Restaurant neues Leben ein.
Im vergangenen Jahr dann der Wechsel im Herzstück des Restaurants. Der junge, engagierte Christopher Wecker löste Tim Raue als Küchenchef ab. „Mich verbindet eine jahrelange Geschichte mit Tim Raue“, erzählt er.
Aber seine Leidenschaft fürs Kochen begann schon sehr viel früher – allerdings nicht, weil seine Familie ein Gasthaus führen und er die Tradition fortsetzen wollte. Angefangen hat er tatsächlich in der neunten Klasse bei einem Schülerpraktikum. „Da stand die Frage im Raum: Was machst Du in diesen zwei Wochen?“, erinnert er sich. Und da er „bei weitem kein guter Schüler war und nicht alle Tore offenstanden, was die Berufswahl betraf“, hatte Wecker die Möglichkeit, ein Praktikum als Landschaftsgärtner bei seinem Vater zu absolvieren oder als Koch im Dorfrestaurant in seinem Heimatort, dem ostwestfälischen Hövelriege. „Ich war damals stinkefaul, und jeder Arbeitsschritt war einer zu viel“, sagt Wecker über seine Jugend. Das Praktikum als Koch stellte dann die Weichen für die Zukunft: „Schon am zweiten Tag war mir klar: Mein Berufsweg wird der Weg in die Küche sein.“ Es habe „unfassbar viel Spaß gemacht.“ Bei manchen Praktika erhalte man Aufgaben, die keinen Sinn ergeben, erzählt er. „Doch hier in der Küche war meine Aufgabe wichtig. Wenn ich die Zwiebeln nicht geschnitten hätte, dann hätten sie gefehlt. Und was großartig war: Man hat mir sofort ganz viel zugetraut.“
Und so startete Wecker 2009 als 16-Jähriger seine Ausbildung. „Als im zweiten Lehrjahr zwei neue Kollegen aus der Sterne-Gastronomie zu uns kamen, erlebte ich ein komplett anderes Kochen. Das hat mich fasziniert, von ihnen habe ich viel gelernt.“
Der Ehrgeiz in Richtung Sterne-Koch war geweckt. Zum 18. Geburtstag schenkten ihm seine Kollegen ein Praktikum bei Tim Raue in Berlin. „Da hatte ich ganz schön Muffensausen, denn es hieß, bei Tim Raue sei es wie beim Militär, man werde gebrochen und es sei unglaublich hart. Und es war hart. Doch am Ende sagte Raue, ich könne gern noch einmal wiederkommen. Und das tat ich dann – zu einem zweiten Praktikum.“
So suchte Wecker im Januar 2012 als 19-Jähriger mit seiner Freundin eine Wohnung in Berlin und begann seinen Job im Restaurant von Raue. Siebeneinhalb Jahre blieb er dort und arbeitete sich vom Jungkoch bis zum stellvertretenden Küchenchef hoch. Dann kam die Villa Kellermann ins Spiel: Anfang 2019 bot Raue Christopher Wecker den Posten des Küchenchefs in der neuen Villa Kellermann an. „Das war genau das, was ich machen wollte“, sagt er heute.
In Berlin ist er mit seiner Familie, die mittlerweile aus seiner Frau und zwei Kindern besteht, vollständig angekommen. Die Planung des gastronomischen Angebots übernahm Wecker mit Raue gemeinsam. Die Gerichte haben meist einen klassischen Ursprung: Ob Saibling oder Kabeljau, Rindertartar oder Kürbiscremesuppe. Die Kreation bodenständiger Gerichte, die von Potsdam als auch Brandenburg inspiriert sind und modern interpretiert werden, stand im Mittelpunkt. „Die Frage war, wie wir die altdeutsche Küche von Pichelsteiner Eintopf bis zur Makrele nach Hausfrauen-Art in die heutige Zeit transferieren können. Aber das ist uns – glaube ich – gut gelungen.“ Die Zutaten sind grundsätzlich aus der Region und die Gerichte wechseln auch je nach Jahreszeit, um saisonal zu kochen. „Einzig und allein die Königsberger Klopse bleiben immer auf der Karte, denn das ist das Leibgericht von Günther Jauch.“
Seit einem Dreivierteljahr ist Wecker für die Küche eigenverantwortlich – gemeinsam mit sechs Ausgelernten und zwei Azubis. Auf die Frage: „Wenn Sie Ihre Küche mit einer Farbe beschreiben würden, welche würde das sein?“, antwortet er: „Ich versuche generell bei Gerichten, in Farbnuancen zu denken. Das wäre dann wohl ein bräunlicher Rot-Ton, das das Wohlige ausmacht. Braune Soße, durch die man mit dem Löffel durchgeht. Vorspeisen und Speisen im Sommer sind vor allem grün und spiegeln die Frische wider. Und sobald die Terrassensaison beginnt, gibt es keine schweren, dicken Hauptgänge, sondern der Schwerpunkt liegt bei Grün und Gelb.“
Das leckerste Gericht für ihn persönlich? „Da muss ich nicht lange überlegen: Das ist für mich immer noch der Pfannkuchen mit Erdbeeren und Quark von meiner Oma.“
Und wie geht es weiter?
Wecker wurde von der bevorstehenden Schließung wohl ebenso überrascht, wie die Öffentlichkeit. Beim Gespräch mit dem POTSDAMER sagte er darüber nichts. Fest steht: Die Betreiber bedauern das Betriebsende nach fast fünf Jahren sehr. „Wir hätten gerne weiter gemacht. Aber Corona, stark gestiegene Betriebskosten und eine angespannte Personalsituation ließen keine andere Entscheidung zu“, sagt Geschäftsführer Manfred Dengel. Man könne sich aber durchaus vorstellen, „das Restaurant eventuell in Zukunft zu verpachten oder als Eventlocation anzubieten.“
Die Vermietung der möblierten „Wohnungen auf Zeit“ in der Villa Kellermann ist von der Schließung des Restaurants nicht betroffen. Die Wohnungen mit Zugang zum See sind weiterhin begehrt und waren in der Vergangenheit meist komplett ausgebucht.