Fast 580 Bewerber buhlen in diesen Wochen um ihre Stimmen für einen der 56 Plätze in der Stadtverordnetenversammlung (SVV). Diese Männer und Frauen werden dann in den kommenden fünf Jahren Entscheidungen treffen – hoffentlich gute – um Potsdam Entwicklung in eine gute Richtung zu lenken. Die Straßenlaternen hängen voller Plakaten mit fremden Gesichtern. Und jeder Bewerber versucht, die Wähler durch einen markanten Gesichtsausdruck davon zu überzeugen, wie gewünscht abzustimmen.
Doch wofür stehen die einzelnen Bewerber?
Der POTSDAMER hat nachgefragt und die Positionen fast aller Parteien zusammengefasst. In den Wahlprogrammen der Parteien findet man auf den ersten Blick kaum Unterschiede, zumindest in den großen Fragen. Dazu gehören: der angespannte Wohnungsmarkt, das wachsende Verkehrsproblem, die Sicherung sozialer Infrastrukturen wie Kitas und Schulen sowie die Sicherung der Energieversorgung und der Natur- und Klimaschutz. Die SPD möchte in ihrem Wahlprogramm mit umfassender Programmatik Potsdams Weg in die Zukunft zu lenken. Dabei vergisst sie nicht, darauf hinzuweisen, Potsdam seit 30 Jahren zu regieren. Und alles, was sich positiv entwickelt hat – na klar – war irgendwie die SPD, auch wenn Entscheidungen nicht mit den Genossen zusammenhängen. Negative Themen, wie die wachsende Verschuldung der Stadt, zu wenige Gymnasien, ein drohender Verkehrskollaps und vieles mehr werden von der SPD im Wahlkampf eher unter den Teppich gekehrt.
Wahlkampf ist auch nicht die Zeit der Selbstkritik.
Die kommt oft hinterher, wenn die Wahlergebnisse den eigenen Erwartungen nicht entsprechen. Wahlkampf ist die Zeit der Selbstbeweihräucherung, der selbstbewussten Darstellung der Dinge, die man erreichen will oder die bereits erreicht wurden. Darin ist die SPD hervorragend. Eine Fertigkeit, die natürlich in der DNA anderer Parteien zu finden ist.
Ob sich die SPD damit einen Gefallen tut, den amtierenden Oberbürgermeister Mike Schubert in Ihren Wahlkampf einzubinden, ist eher fragwürdig.Zum einen steht er im Juni nicht zur Wahl. Zum anderen sind die strafrechtlichen Ermittlungen wegen Vorteilsnahme im Amt und Korruptionsvorwürfe nicht sondern werbewirksam bei den Wählern. „Potsdam ist stabil“, sagt die SPD. Wenn ein Arzt über einen Patienten sagt, er sei „stabil“, heißt das nicht, dass er voller Vitalität und Freude Purzelbäume im Hof schlägt und dabei lustige Lieder trillert. Es heißt, dass der Patient mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Gefahr heraus ist, zu versterben, dass die lebenswichtigen Funktionen in Takt sind und man hofft, dass er bald wieder zu Kräften kommt.
Lesen Sie nun, worin sich die einzelnen Parteien in den großen Fragen für Potsdam unterscheiden und was sie sonst noch so in ihr Wahlprogramm geschrieben haben.
Verkehr
Der Verkehr wird in Potsdam zunehmend problematisch. Verstopfte Straßen, fehlende und sehr teure Parkplätze, fragwürdige Ampelschaltung, fehlende Umgehungsstraße, lückenhafter ÖPNV (öffentlicher Personennahverkehr). Themen, die alle Parteien im Visier haben, und natürlich möchten fast alle den ÖPNV und das Radwegenetz ausbauen.
Bündnis 90 / Die Grünen und DIE aNDERE setzen bei der Lösung des Verkehrsproblems auf die Verringerung des motorisierten Individualverkehrs. „Das Verkehrsproblem kann nicht durch weitere Straßen gelöst werden, sondern nur durch weniger Autos … Die Nutzung des Autos muss auch etwas unbequemer werden“, sagt DIE aNDERE.
Gegen den zunehmenden Verkehr möchten die Freien Wähler, die FDP und die AfD eine Ortsumgehung bauen und die dritte Havelquerung angehen. Der Straßenbahn als Fortbewegungsmittel der Zukunft stehen die Freien Wähler (FW) kritisch gegenüber, weil „jahrelange Planungs- und Baumaßnahmen sowie hohen Kosten der aktuellen Situation nicht dienlich“ seien.
Um das Verkehrsproblem in den Griff zu bekommen, möchten CDU und FDP die Führung und Steuerung aller Verkehrsarten optimaler und digital steuern, wobei die Vorteile jeder Verkehrsart bestmöglich gefördert und eine ideologiegetriebene Verkehrspolitik abgelehnt wird. Auch die AfD ist „für ein Ende der grünen Verkehrsideologie zum Nachteil von Potsdam und seinen Gästen“.
Wohnen
Potsdam fehlt es an Wohnungen und Baulandflächen. Dieses Problem ist allen Parteien bekannt. Ein nahezu einstimmiger Ruf nach bezahlbarem Wohnraum ist zu hören. Doch kleine Unterschiede gibt es.
Die AfD will das wohnungspolitische „Baulandkonzept“ der Landeshauptstadt überprüfen und dann anpassen. Kommunale Flächen nur in Erbbaupacht zu vergeben, hält sie nicht für geeignet, da es private Investoren abschrecke. Auch spricht sich die Partei gegen eine Verschärfung von Bauauflagen durch Klimaschutzauflagen aus. Eine Mietpreisbremse lehnt die AfD ab. Die AfD greift als einzige Partei das Thema der „irregulären Migration“ auf und beschreibt, wie nach ihrer Meinung die Themen Wohnen und Migration ineinandergreifen.
DIE aNDERE, die Freien Wähler und die SPD setzen sich gegen den Ausverkauf der Stadt und für mehr städtische Wohnungen ein. Unter der Potsdam regierenden SPD werden allerdings aktuell städtische Wohnungen verkauft, was im Widerspruch zu ihrem Wahlprogramm steht.
Statt preiswerte Wohnungen abzureißen, wie den Staudenhof, solle man laut DIE aNDERE diese günstig sanieren und vermieten. Dabei soll der Mietendeckel im städtischen Wohnungsbestand für geringere Mieten sorgen.
Die Grünen sprechen sich für die Schaffung zusätzlichen Wohnraums in die Höhe aus, um nicht noch mehr Naturflächen zu versiegeln.
Die CDU möchte „die unerträglichen Bearbeitungszeiten im gesamten Baubereich verkürzen, ein aktives Flächenmanagement betreiben und dabei attraktive Angebote bereithalten“. Die Stadt solle dabei weiterhin sozialen Wohnraum schaffen. Für die Senkung der Mieten sei dann die Politik und die Verwaltung gemeinsam gefragt.
Auch die jüngste Fraktion im Potsdamer Stadtparlament, Mitten in Potsdam, sieht im angespannten Wohnungsmarkt dringenden Handlungsbedarf. „Aber hier muss sich Potsdam vor allem gegenüber der Bundesregierung hörbar zu Wort melden“, so die Fraktion. Hohe Auflagen für Neubauvorhaben müssten „entschlackt und vereinfacht werden“.
Energie und Umweltschutz
Die Energieversorgung Potsdams steht nicht nur wegen politischer Vorgaben auf Landes- und Bundesebene im direkten Zusammenhang mit dem Klimaschutz, sondern auch, weil es sich die Stadt selbst zur Aufgabe gemacht hat, 2050 klimaneutral zu sein. Aus diesem Grund setzen DIE aNDERE sowie Grüne auf den Schutz von Grünflächen.
Beim Klimaschutz möchten die CDU und die AfD mehr auf Fakten und somit auf einen „ideologiefreien Klimaschutz“ setzen, was wohl weniger linksorientierte Wähler anspricht. Die Berücksichtigung des Natur- und Klimaschutzes sowie die Sicherung der Energienachfrage möchte die CDU mit den Auswirkungen auf die Themen Mieten, Wohnungsbau, Verkehr und Immobilienmanagement realisieren. Bei der Bewältigung des Klimawandels sollen die nördlichen Ortsteile eine besondere Rolle übernehmen und den Raum für erneuerbare Energien zur Verfügung stellen. Die dadurch entstehenden Nachteile möchte die CDU durch ausreichend finanzielle Anreize kompensieren. Dabei sollen die Naherholungsflächen und Naturerlebnisse der Ortsteile mit ihren eigenen Charakteren behalten werden.
Dem Klimaschutz steht die AfD offen gegenüber und befürwortet den Erhalt von Kaltluftschneisen, sofern diese nicht dem notwendigen Wohnungsbau entgegenstehen. Auch die Wiedererrichtung des Stadtkanals zur Kühlung der Innenstadt sowie eine stärkere Begrünung soll dem Klima laut AfD in der Stadt zugutekommen.
Die FDP fordert ein nachhaltiges Energiemanagement.
Die FW haben als einzige Partei das „Freie Ufer“ im Fokus und möchten damit Erholungsräume sichern. Widersprüche stellen die FW beim Natur- und Klimaschutz fest und möchten, dass der Umweltschutz nicht länger der Abteilung Stadtentwicklung untergeordnet ist und die Untere Naturschutzbehörde unabhängig werden soll. „Dann gibt es auch weniger Gerichtsurteile gegen die zahlreichen Fehlentscheidungen der Verwaltung“, so die FW. Die Sicherung der Energienachfrage möchten die FW mit einem Netz- und Trafoausbau stärken sowie Anträge auf eine Dach-Photovoltaik entbürokratisieren. Zusätzlich solle die Stadt auf das wetterbedingt stark schwankende Energieangebot aus Windkraft und Photovoltaik mit entsprechenden Wärmespeichern vorbereitet werden.
Soziale Infrastruktur
Wenig Überraschung zeigen die Antworten der Parteien bei dem Thema der sozialen Infrastruktur. Der Ruf nach gleichen Bildungschancen für alle, wohnortnahen Kitas und Grundschulen ist groß, ebenso die Forderung nach ausreichend weiterführenden Gesamtschulen und Gymnasien einigt die meisten. Auch der Bedarf dringend benötigter Sportflächen wird von allen Parteien genannt. Es gibt daher zu diesem Thema nur kleine Unterschiede: Die FW fordern kostenfreie Kitas für alle, und die CDU fordert ein aktives Flächenmanagement im Rahmen der Stadtplanung, vor allem für die Schaffung neuer Sportflächen in Potsdam.
Haushalt
Potsdams Schulden sind in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen. Dabei ist die Kritik vieler Stadtverordneter an die Verwaltung, dass sie mit dem Geld der Bürger nicht verantwortungsvoll umgehe. Aus diesem Grund haben sich die CDU, FDP, Mitten in Potsdam, BfW und Freie Wähler dafür ausgesprochen, den Potsdamer Haushalt wieder fester im Blick zu haben, zu konsolidieren sowie sparsamer und effizienter mit den Steuergeldern der Potsdamer umzugehen. Da sich die SPD damit rühmt, seit 30 Jahren Potsdam zu regieren, ist es schwer vorstellbar, dass sie die von ihr selbstverursachte Entwicklung nun plötzlich ändert. Ebenso fragwürdig könnte das derzeitige Interesse der Grünen an einem stabilen Haushalt sein, da das Durchfechten von Ideologien oft auch bedeutet, mehr Geld auszugeben und weniger einnehmen zu können.
Weitere Positionen
Neben den großen Themen für Potsdam gibt es noch weitere, die die Geschicke und die Lebensqualität der Stadt betreffen. Die CDU möchte mehr für den „Zusammenhalt der Stadtgesellschaft“ tun und legt dabei „großen Wert auf die Sicherheit für alle sowie die wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeit“. Mit dem Thema der Sicherheit steht die CDU relativ allein da. Nachdem die vor wenigen Wochen veröffentlichten Kriminalstatistiken eine besorgniserregende Entwicklung abbilden, verwundert es, dass die CDU hier als Solist entsprechende Töne anschlägt.
Das BfW möchte nach eigenen Angaben „die Politik aus den Klüngelrunden herausholen“. Weil in Potsdam Politik und Verwaltung weniger die Interessen der Bürger als die eigenen verfolgen, möchte das BfW auch mit der Transparenz von Entscheidungsprozessen zeigen, dass die Bürger mit ihren sehr unterschiedlichen Ideen und Bedürfnissen ernst genommen werden.
Die FW setzen sich für eine Verringerung der hohen Wasser-, Abwasser- und Fernwärmekosten der EWP (Energie, Wasser Potsdam GmbH) ein sowie für mehr Bürgerbeteiligungen.
Im Potsdamer Norden wollen die Grünen ein naturgerechtes Hallenbad mit Naturfreibad bauen.
DIE aNDERE möchten eine Modernisierung der Verwaltung. Ein Thema, das die Verwaltung in den vergangenen 30 Jahren völlig verschlafen hat.
Die Freien Demokraten lehnen die Einführung einer Tourismusabgabe ab. „Zu ungerecht, zu bürokratisch und zu aufwendig“ sei sie. Die Stadt müsse endlich ihre Ausgaben in den Griff bekommen und nicht mit weiteren Einnahmequellen die Bürger belasten, fordert die FDP.
Mitten in Potsdam setzt sich für die Vollendung des Wiederaufbaus der historischen Innenstadt ein.
Und nun haben Sie die Wahl …