Ein Selbstversuch
Es ist 10.49 Uhr an einem Mittwoch im November. Wollmütze und Winterjacke schützen vor der Kälte. Ich habe mich gut vorbereitet. Denn heute will ich es wissen: Wie lange wird es wohl dauern, bis mich ein Auto mitnimmt? Mein Plan: Ich will die Mitfahrbank in Priort testen.
Es fängt schon mal gut an – die Bank ist klitschnass. Ein Taschentuch habe ich nicht dabei. Jetzt ist mein Ärmel nass. Bevor ich mich hinsetze, muss ich noch das Richtungsschild über der Bank ausklappen, damit die vorbei fahrenden Autofahrer sehen, wo ich hin will. Sieben Schilder gibt es zur Auswahl: Potsdam, Marquardt, Wustermark, Falkensee, Elstal, Nauen und der Havelpark. Ich wähle Elstal und gebe zu: Am Abend vorher habe ich schon mal gecheckt, ob ich von da mit dem Bus wieder nach Priort zurück kommen kann. Er fährt stündlich. Mit einem Überbrückungskaffee im Outletcenter (notfalls) müsste es also klappen.
Viele Autos sind um diese Zeit nicht unterwegs. Manche Autofahrer schauen mich etwas irritiert an. Vielleicht wissen sie gar nicht, dass ich auf der Bank sitze, weil ich mit ihnen mitfahren will. Ich zücke meinen Block und mache mir eine Notiz, blicke hoch und – upps! Da bremst ein rotes Auto! Eine freundliche Frau winkt mir zu. „Ja, Outlet-Center, steigen Sie ein. Das passt. Ich muss nach Elstal zur Kita Sonnenschein.“
Ich bin völlig von den Socken! Wahnsinn! Ganze acht Minuten, bis das erste Auto hielt. Damit habe ich nicht gerechnet. Meine Autofahrerin freut sich auch. Normalerweise fährt sie die elf Kilometer von Potsdam bis zur Arbeit in Elstal mit dem Rad, erzählt sie. Nur heute war sie etwas spät dran. Die Mitfahrbank findet sie klasse: „Ich bin für alles, was dazu führt, dass es weniger PKW gibt. Meistens sitzen nur ein oder zwei Leute in einem Auto. Diese Blechlawine brauchen wir nicht!“
Wie es dazu kam
Ähnliche Gedanken hatten die Mitglieder des Heimatvereins Memoria Priort e.V., als sie die Idee der Priorterin Dagmar Dominiak für eine Mitfahrbank in Priort aufgriffen. Die Rechnung ist einfach. Gemeinsam fahren ist um 100 Prozent klimaschonender, als wenn zwei Personen allein fahren.
Der Vorstandsvorsitzende des Heimatvereins, Sven Mylo, war sofort Feuer und Flamme und setzte das Projekt gemeinsam mit Vereinsmitglied René Schreiter, der Schlosserfirma Kösling aus Berlin und mit enger Unterstützung durch Mitarbeiter der Gemeinde Wustermark innerhalb von zweieinhalb Monaten um. Die Kosten von insgesamt 1.600 EUR übernahm die Gemeinde Wustermark. Am 22. Mai 2019 wurde die Bank gegenüber dem Gemeindezentrum eingeweiht.
Gerade in den Abendstunden und am Wochenende kann die Mitfahrbank helfen, aus Priort wegzukommen, da der Bus nur noch selten oder gar nicht kommt. Ortsvorsteher Reiner Kühn kennt das aus eigener Erfahrung. Nicht nur einmal musste er vom Bahnhof Elstal mit seinem Rollkoffer nachts im Dunkeln nach Hause laufen, weil ab dem späten Abend kein Bus mehr fuhr. „Zu Fuß braucht man rund eine Stunde. Deshalb befürworte ich als Ortsvorsteher dieses Vorhaben. Zusammen mit dem Priorter Ortsbeirat trage ich dazu bei, dass weitere Bänke im Gemeindegebiet und darüber hinaus zur besseren Vernetzung errichtet werden.“
Logische Schlussfolgerung
Auch am Bahnhof Elstal müsste eine Mitfahrbank stehen. Und überall an zentralen Punkten in den Ortsteilen. Ende Oktober 2019 schmiedeten Vertreter der fünf Ortsbeiräte der Gemeinde Wustermark auf Initiative des Heimatvereins im Priorter Gemeindezentrum genau diesen Plan. Vorbild ist die Region Flensburg in Schleswig-Holstein. Dort hat der Verein BobenOp schon über 50 Mitfahrbänke aufgestellt.
In den kommenden Ortsbeiratssitzungen wird das Konzept jetzt diskutiert und gemeinsam überlegt, wo die besten Standorte für Mitfahrbänke wären. Offensichtlich verfügen die Ortsbeiräte in Wustermark über genug Mittel, um die Bänke aus ihren Sachaufwendungen bezahlen zu können.
In den Potsdamer Ortsteilen ist die Situation vergleichbar. Auch hier wären Mitfahrbänke eine tolle Ergänzung zum Busverkehr. Allerdings müsste die Finanzierung anders laufen, denn die meisten Ortsteile dürften bei weitem nicht über entsprechende Mittel verfügen. Auf Nachfrage bestätigt Sven Mylo: „Wir fänden es super, wenn überall im Havelland und in Potsdam Mitfahrbänke stünden. Wir sind gern bereit, unsere Erfahrungen zu teilen.“ Zum Beispiel hat sich gezeigt: Die Mitfahrbank steht günstig in einer 30er Zone. Autofahrer sind dann langsam genug, um das ausgeklappte Richtungsschild lesen zu können. Und ein Dach über der Bank würde die wartenden Mitfahrer vor Regen oder zu viel Sonne schützen.
Meine Fahrerin macht mich auf ein weiteres Problem aufmerksam: Zwischen Fahrland und Elstal gibt es gar keinen direkten Bus. Die VBB-App bietet eine Verbindung über Spandau. Dauer im besten Fall: 1,5 Stunden. Für einen Weg, für den man mit dem Auto eine Viertelstunde braucht! Kein Wunder also, dass viele Menschen aus dem Potsdamer Norden, die bei den großen Wustermarker Unternehmen wie Karls Erlebnishof, beim Outletcenter und Güterverladezentrum angestellt sind, mit dem Auto zur Arbeit fahren. Bleibt zu hoffen, dass die Initiative des Ortsbeirats Fahrland und der Bürgerinitiative mit Unterstützung der Stadtverordneten Tina Lange zur Verlängerung des 609er Busses in Richtung Priort bald umgesetzt wird.
Meine Testfahrt zum Outletcenter mit Hilfe der Priorter Mitfahrbank bekommt 100 Punkte. Schade nur, dass sie so kurz ausfiel. Ich hätte gern noch etwas länger gequatscht.
Einfache Regeln
Mitfahren ist komplett kostenlos.
Alle Teilnehmenden entscheiden freiwillig über Mitnehmen oder Mitfahren. Kinder unter 14 Jahren können ohne Begleitung Erwachsener nicht mitgenommen werden.
Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren können nur mit Einwilligung der Eltern mitfahren (Elternzettel).
Gut zu Wissen
Über die Haftpflichtversicherung sind alle Insassen mitversichert. Eine zusätzliche Insassenunfallversicherung ist nicht nötig.
sk
http://mitfahrbank.memoria-priort.de
www.bobenop.de/projekte