Warum und wie ich ein Buch über das Leben meines Großvaters schrieb. Die Beweggründe des Autors Hans Groschupp

Historiker erobern sich die Deutungshoheit der Geschichte oft in einem politologischen Sinn. Das Zentrum für zeithistorische Forschung in Potsdam ist dafür ein Beispiel. Innerhalb vergangener Epochen war das ähnlich. Nur die Inhalte unterschieden sich, sowohl im Standpunkt als auch in der Bewertung der Fakten. Auf diese kommt es aber immer an. So gilt eine alte Erkenntnis noch heute. Der größte Feind des Historikers bleibt der Augenzeuge.
Dass wir in Deutschland zwei nicht vergleichbare Diktaturen überwunden haben, verdanken wir nicht Historikern. Mein Großvater Paul Martin Groschupp musste in seinem Leben mehrmals lernen, dass sein gelebtes Leben neu interpretiert wurde, wenigstens viermal.
Er lebte in fünf Systemen. Aufgewachsen im wilhelminischen Deutschland, erlebte er nach dem Ersten Weltkrieg die „Demokratie“ der Weimarer Republik, dann die Zeit des Nationalsozialismus, das so genannte „Dritte Reich“. Nach der Gefangenschaft wieder in Potsdam, musste er ein viertes System begreifen lernen. Er gehörte zeitlebens keiner politischen Partei an. Mitte der 1950er Jahre wechselte er in sein fünftes gesellschaftliches Umfeld, in die Bundesrepublik.

Paul Martin Groschupp, 1921. Fotos: privat

Den Plan, die Geschichte meiner Familie aufzuschreiben, hatte ich Mitte der 1980er Jahre. Ich arbeitete bei der DEFA und disponierte die Dreharbeiten des einzigen Karl-May-Filmes der DDR, „Das Buschgespenst“, dessen Handlung im Erzgebirge angesiedelt ist.
Mein Großvater wuchs in Neundorf auf, besuchte in Annaberg die Handelsschule, wurde Kaufmann und zog 1912 nach Nowawes, um hier in der Nähe der Reichshauptstadt mit Leder zu handeln. Dazu kam es nicht. Er durfte an die Front, hatte nach dem Weltkrieg keine Basis mehr, arbeitete im Betriebsbüro der Lokomotivenfabrik Orenstein & Koppel als Buchhalter bei der Norddeutschen Woll -und Kammgarnspinnerei und gründete eine Familie. Vier Kinder waren auf der Welt, als die Familie eine Wohnung in der Mammonstraße bezog, zwei Häuser von der Garnisonkirche entfernt, in welcher sein zweiter Sohn konfirmiert wurde.
Die Kinder bildeten das Zentrum seines Lebens. Ihre Mutter verstarb 1935 an einer Blutvergiftung. Er heiratete noch einmal vor dem Zweiten Weltkrieg, an dem teilzunehmen, er die „Ehre“ hatte, wie auch zwei seiner Söhne. Mein Großvater war Zeuge der Novemberrevolution, des Kapputsches und des „Tags von Potsdam“. Zeugen der „Nacht von Potsdam“, wie Hans Werner Mihan die Bombardierung in seinem Buch nannte, waren meine Eltern.
In Wiesenbad bei den benannten Dreharbeiten, traf ich Elfriede Nestler, die Tochter des Albin Groschupp, welcher der Bruder meines Urgroßvaters war.
Sie wohnte im denkmalgeschützten Groschuppschen Försterhaus an der Bastei über der Zschopau. Nach Drehschluss saß ich mit Kurt Böwe und Rolf Ludwig, mit Barbara Dittus und Marianne Wünscher bei ihr in der guten Stube. Kurt Böwe sagte: „Mensch Hans, schreib das alles auf, auch wie dich unser Film an deine Ursprünge brachte.
Das Aufschreiben nahm einen langen Weg. Vor der Wende war die Zeit knapp, danach auch, weil mein Arbeitgeber wegbrach und ich mir andere suchen musste.
Als ich bei den neuen Westbesuchen in den Besitz der Briefe meines Großvaters kam, nahm ich einen neuen Anlauf. Mein Onkel im Allgäu beschrieb mir dazu seine Jugend in Potsdam, die Familiensituation in der Kriegs -und Nachkriegszeit. Ich habe neben der Familiengeschichte dokumentarisch die sie umgebende Weltsituation umrissen, nicht aus meiner Sicht, sondern aus der Sicht mehrerer (nun doch) Historiker. Alle Bücher und Zeitungen werden ordentlich als Quellen aufgeführt. Die Hauptquelle aber waren die Familiengespräche, die auch in der geteilten Zeit beim Besuch der Westverwandtschaft die Höhepunkte der Jahre bildeten.

Hans Groschupp

Oswald Emil Groschupp mit Sohn Paul Martin, 1910.

„Die Auferstehung meines Großvaters“ – Ein deutsches Familienglück im Kontext der Geschichte – erscheint Anfasng April im Klaus Becker Verlag Potsdam, ISBN 978-3-88372-186-6. Für die Leser des „Potsdamer“ ist das Buch portofrei beim
Verlag zu bestellen, unter E-Mail:
info@verlag-becker.de