Grenadier Wordelmann – Roman von Georg Herrmann

„Der Name Potsdam ist ein Begriff“, schrieb 1924 Dorothee Goebeler in „Potsdamer Plaudereien“. „Es gibt wenige Städte, mit deren Namen man solch einen Begriff verbindet. Rom steht da an erster Stelle, daneben Wien, Paris, London, Berlin, Weimar, ein paar andere hier und da. Potsdam gehört mit dazu. Es stellt sich neben die bedeutendsten. Wo auch immer sein Name erklingt, horcht man auf, und ein Bild steigt vor der Seele empor: ‚Ach – Potsdam‘ (…)“
Nun ist Potsdam für nicht Wenige auch ein Symbol des preußischen Militarismus. Zu allen Zeiten sind Bücher über Potsdam geschrieben worden. Viele sind vergriffen und so vergessen. Man kann nur noch in Antiquariaten nach ihnen suchen. Sie wieder ins Bewusstsein holen, möchte der Neu Fahrländer Hans Groschupp.

Über das Potsdam zurzeit Friedrichs II. sind viele Bücher geschrieben worden, hauptsächlich über die barocken Schlösser und Kirchen und die Kriege des Königs, die ihm den Beinahmen der Große einbrachten. Über den Alltag der Garnisonstadt wissen wir auch viel. Wie aber war das einfache Leben? Wie gingen Bürger und Soldaten miteinander um? Georg Hermann schreibt 1930 einen kritischen Roman, der zugleich voller Romantik ist.

Er erfindet nicht, sondern erzählt meisterhaft eine wahre Begebenheit nach, die den Roman über die Ebene des Historischen erhebt, in auch für die heutige Zeit wertvollen Bezügen. Es geht um Liebe, Sex und Tod, um Neid und Verrat. Ein ausgedienter Soldat, im „brauchbaren“ Alter von fünfzig Jahren, lebt als Kossät mit seiner dreißig Jahre jüngeren Stieftochter in Wust, einem unbedeutenden Dorf nahe Brandenburg. Der Kossät Christian Friedrich Schmitzdorf begehrt seine Stieftochter. Das Mädchen erwidert diese Liebe. Schmitzdorf will sie heiraten und läuft zu Fuß nach Potsdam, um den König dafür um Erlaubnis zu bitten. Der ist nicht zu Hause. Schmitzdorf lernt so einen Kreis von Leibgrenadieren kennen, die wiederum nicht heiraten dürfen. Der Grenadier Wordelmann nimmt den sexsüchtigen Bauern aus. Er legt ihn herein. Noch ein paar Mal nimmt Schmitzdorf die Strecke zu Fuß. Die Ereignisse überschlagen sich und enden tragisch. Die Tochter bekommt ein Kind. Schmitzdorf stirbt im Gefängnis und Wordelmann beim Spießrutenlaufen, zu dem ihn Friedrich verdonnert hat. Man hat darüber gerätselt, warum Hermann die tragikomische Figur Wordelmann für den Titel wählt und nicht den eigentlichen Helden Schmitzdorf? „Für jede Zeit“, schreibt Hermann, „gibt es nur einen beschränkten Kreis von menschlichen Fragen, die sie mitempfinden kann. Alles sonst nimmt sie als Gegebenheit hin.“ Die Zeit um 1930 war geprägt vom Fridericuskult, durch Hugenbergs Presse und durch die Ufa-Filme.


Georg Hermann war Georg Hermann Borchardt. Er war einer der meistgelesenen Schriftsteller seiner Zeit. Die Romane „Kubinke“, „Jettchen Gebert“ und „Rosenemil“ wurden sogar mehrfach verfilmt. Untauglich war die Verfilmung „Grenadier Wordelmann“ des DDR-Fernsehens. Immer wieder einmal verlegt, wird der „Spaziergang in Potsdam“.
Georg Hermann Borchardt war Jude und wurde 1871 in Berlin geboren. Gleich nach dem Reichstagsbrand 1933 ging Borchardt mit seinen beiden jüngsten Töchtern und seiner geschiedenen Frau ins holländische Exil. Seine Bücher wurden von den Nazis im Mai 1933 verbrannt. Darüber schreibt er in „Eine Zeit stirbt“. Nach der Besetzung Hollands durch die Wehrmacht wird Borchardt mit der Tochter aus zweiter Ehe und deren Sohn im Durchgangslager Westerborg interniert. Der Transportzug der Juden aus Westerbork kommt am 17. November 1943 in Ausschwitz an. Ihre Insassen, darunter der „Jüdische Fontane“ mit Tochter und Enkel sterben am 19. November 1943 in der Gaskammer von Birkenau.

Hans Groschupp