Folge 2-  Die deutsche Wandlung: von Eugen Diesel, erschienen 1929 in der J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger, Stuttgart und Berlin

Viele großartige Bücher sind in unserer Havelstadt geschrieben worden, in jeder Epoche mit einem anderen Zungenschlag. Ein wenig hatte sich die Lektüre für die Allgemeinheit durch die politischen Machtverhältnisse im 20. Jahrhundert kompliziert und verzögert. Bevor ein Kontrollratbeschluss der Alliierten alle Bücher, die in der Zeit des Nationalsozialismus erschienen waren, nach Kriegsende verbot, zudem auch ausgewählte Bücher des Ersten Weltkriegs, hatten die Nazis Bücher verbrennen lassen. Editionen Potsdamer Autoren gab es immer. Sie fielen nach Kriegsende allesamt unter den Tisch. Ein Potsdamer schrieb am Ende der Weimarer Republik ein Buch über das Wesen der Deutschen, zugleich eine Analyse der Zeit.

Hans Groschup

Gerade erleben wir, wie aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums des Beginns der Weimarer Republik eine Medienkampagne ins Land läuft. Das öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen hat mehrere Folgen über die Jahre bis zur Nazidiktatur realisiert, „Berlin Babylon“, eine Mischung aus Tatort, Politthriller, Ausstattungsfilm, Sittenkunde. Die Machart der Fersehserie ist dabei selbst noch komplizierter als die Zeit, die sie beschreibt.
Eugen Diesel beginnt sein Buch so:
„Das Nationale ist ein merkwürdiger Niederschlag aus der Wechselwirkung zwischen Land, Volk und Mensch. Ein `deutscher Glanz` schimmert in unserem Land über Antlitz und Wolke, Blume und Acker, Gespann und Maschine, Gasse und Fenster, Stadt und Dorf; über Beruf, Behörde, Sprache, Geist, Wissenschaft und schließlich über dem Schicksal…In diesem Buch ist versucht, den Hauch der Dinge…zur Rede zu zwingen.(…)“
Schon ein Jahr nach Erscheinen des Buches schreibt ein gewisser Ignaz Wrobel darüber in der Weltbühne Nr.39: „Jeder Leser kennt das Gefühl, mit dem man ein neues Buch in die Hand nimmt: man beriecht es erst einmal. Ich habe dieses hier aufgeschlagen, und entgegen sprang mir ein Kapitel über die deutsche Sprache: so klar, so humorvoll, so sicher in seinen Vergleichen, voll so feinen Gefühls für die Sprachmelodie, die an der Muttersprache zu hören besonders schwierig ist, dass ich das Buch mit größter Aufmerksamkeit zu lesen begann. Man wird nicht so bald damit fertig.(…) der Deutsche läßt sich immer noch gern fotografieren. Nicht, wie er ist, sondern wie er sich sieht und wie er gern sein möchte: waffenstarrend und martialisch vor einem Hintergrund von Lafetten, brennenden Kathedralen und kartothekstarrenden Etappenschauplätzen – oder bierig-friedlich, der Rhein säuselt sanft dahin, das Bier wallet und ein Gesangverein singt:`Ich weiß nicht, was soll es bedeuten – mir ist so sinnig zu Sinn`. Jetzt aber ist etwas erschienen, das mit diesen lächerlichen Familienfotos nichts zu tun hat… Dieses Buch ist der beste Baedeker (Karl Baedeker, Erfinder des Reiseführers) durch die deutsche Seele.“
Eugen Diesels Werk ist gut gegliedert. Es beschreibt „die fließende Hinterlassenschaft, die Gefüge von Land und Städten, die Menschen, ihren äußeren Lebensstil und das Gepräge der Arbeit, den zerfließenden Parteienstaat, Geist und Bildung und Behörden, Vaterland und Ideologie“.
Wie Wrobel charakterisiert auch Diesel den Typ des deutschen Abgeordneten:
„Es scheint sich um politisch und geschäftlich erfahrene Männer zu handeln, die oft zugleich in der Politik und der Wirtschaft tätig sind, das letztere in der gewinnbringenden und wenig anstrengenden Form des `Aufsichtsrats` (welcher Ausdruck etwas deckt, das mit den Prokuratorenämtern der alten Römer oder den Finanzpächtern des französischen Königtums Ähnlichkeit besitzt). Diese Männer bewegen sich unerschütterlich in der eigentümlichen Luft von Partei, Presse, Wahl, Rede. Am ehesten ähnelt Deutschland einem Zellenstaat, der den Beweis erbringt, dass man lediglich durch die zahme Haltung der Bewohner und durch behördliche Ordnung eine Art von Dasein zu führen vermag….“
Wrobel fasst zusammen: „An Schärfe läßt das Buch nichts zu wünschen übrig.
Wie das Land geworden ist und wie es noch ist; was an diesen Zuständen ewig und was zeitbedingt ist, das hat Diesel mit großem Wissen und in kristallner Klarheit herausgearbeitet.
Indessen sind doch die Deutschen und die Juden durch Geist, Begabung, Schicksal merkwürdig verwandt, ja, sie stehen in einem ähnlichen Sinne unter der kritischen Beobachtung der Welt. ‚Und wissen meist beide nicht, warum es so ist‘.

Eugen Diesel

Das sollte unsereiner mal sagen!

Nichts ist so bezeichnend für die völlige Instinktlosigkeit der Deutschland-Lober als die Art, wie die Kritik dieses Buch aufgenommen hat. Diesel ist kein Satiriker; seine erbarmungslosen Wahrheiten werden geruhig vorgetragen, und Kerle, die das Wort ›deutsch‹ gar nicht mehr aussprechen können, ohne die Bälge einer unsichtbaren Orgel zu treten, fallen brav auf den Ton des Buches herein; sie hören nur den Ton. Diesel wird nun besonders im zweiten Teil des Werkes mitunter leicht feierlich – das genügt den Hohepriestern des Fahnentuches, den Mann als einen Patrioten willkommen zu heißen.

Ignaz Wrobel war kein geringerer als Kurt Tucholski. Eugen Diesel (1889-1970) war der Sohn des Erfinders Rudolf Diesel. Er heiratete 1925 Anna Luise Gräfin von Waldersee und lebte mit ihr im Herrenhaus des Kronguts Bornstedt. Er verfasste u. a. auch: „Der Weg durch das Wirrsal. Das Erlebnis unserer Zeit“ 1926, „Zivilisatorischer Firlefanz. Verdinglichung mit Perspektiven“ 1927 „Diesel: Der Mensch, Das Werk, Das Schicksal“ 1937