Die Händler fühlen sich von der Stadt Potsdam nicht mitgenommen

Jetzt geht es richtig los. Die Potsdamer Innenstadt soll autoreduziert werden, das ist bekannt. Nun hat die Stadtverwaltung ihre Pläne konkretisiert. Die Mittelstraße soll „die gleiche Aufenthaltsqualität erhalten, wie die bereits als Fußgängerzone genutzte Brandenburger Straße“. Anwohnerparkplätze werden
verlagert, Besucherparkplätze entfallen ersatzlos. Die Mittelstraße wird zukünftig zwischen der Benkert- und Friedrich-Ebert-Straße zur Fußgängerzone. Ehrgeizige Ziele setzt man sich im Rathaus, und tatsächlich sind viele Bürger damit auch einverstanden. Nur hat man die Rechnung ohne die Gewerbetreibenden in der City gemacht. 500 Händler gibt es dort, und viele von Ihnen fühlen sich „nicht mitgenommen“ von den Planern im Rathaus
Es brodelt in der Stadt, viele Kleinunternehmer sind echt sauer, dass die Kommunikation des Rathauses mit ihnen, sagen wir, bisher suboptimal
gewesen ist, auch wenn es am 8. Januar ein Treffen gab, wo nur wenige Dutzend Unternehmer eingeladen worden waren.

Bei der Recherche für diesen Artikel gab es viele Händler, die im Hintergrundgespräch offen redeten, dann aber kniffen, öffentlich zu sagen, was sie denken. Die mir im Detail schilderten, wie der Wegfall von Parkplätzen ihre wirtschaftliche Existenz bedroht, dann aber zu einem Interviewtermin
nicht erschienen oder nicht mehr ans Telefon gingen, weil sie es sich letztlich doch nicht mit der Stadtverwaltung verscherzen wollten.
Einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt, ist Jens Freiberg, Inhaber des Möbelgeschäfts „Famos liegen & sitzen“ in der Dortusstraße. Betten, Sofas
und Bürostühle. Seit 21 Jahren berät und beliefert er seine Kunden, beschäftigt mehrere Angestellte. Wenn man in Potsdam von rund 500 Händlern in
der Innenstadt ausgeht und jeder im Schnitt vier Arbeitnehmer hat, dann sind 2000 Potsdamer von den Maßnahmen hin zur autoreduzierten Stadt betroffen. Unternehmer, die Steuern zahlen, Mitarbeiter die Lohnsteuer zahlen. „Ich bin nicht gegen eine autoreduzierte Innenstadt“, sagt Freiberg, bekräftigt er im Gespräch mit dem POTSDAMER. Aber die Stadt mache „den zehnten Schritt vor dem ersten“.

Wo sollen die Kunden denn zukünftig parken?

Die Innenstadt-Parkhäuser sind überfüllt, Park & Ride sei total überlastet. Und seine Kunden aus dem Umland kämen halt nicht mit der Straßenbahn. Und das beträfe nicht nur Möbel-, sondern zum Beispiel auch Spielwaren- oder Musikgeschäfte: „Eine Gitarre holst Du nicht mit dem Fahrrad ab“, regt sich Freiberg zurecht auf. Da sei Einkaufen für die Leute im Stern Center oder in Berlin zukünftig viel einfacher. Im vergangenen Herbst hatte es ein Gespräch gegeben mit Vertretern der Stadt und Händlern. Der zuständige Planungschef im Rathaus, Beigeordneter Bernd Rubelt, zuständig für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Umwelt, habe damals eingeräumt: „Wir haben noch eine Menge Arbeit zu erledigen.“ Und er versprach, einen ständigen Austausch mit den Händlern. „Seitdem herrscht Funkstille“, so Freiberg, der jetzt wenigstens zu dem Gespräch am 8. Januar eingeladen wurde.

Das Geschäft „Famos liegen & sitzen“ hatte sich 20 Jahre lang um einen Stellplatz für den Liefer-Transporter bemüht, damit seine Leute Möbel in Ruhe
verpacken und ausliefern können. Den Stellplatz gibt es, die städtische Genehmigung dafür auch. Doch nun wurde die widerrufen – wegen der anstehenden Veränderungen in der Innenstadt. Planungssicherheit für Unternehmen sieht anders aus. Freiberg: „So eine Matratze kann bis zu 80 Kilo wiegen. Die können meine Leute doch nicht einen Kilometer durch die Stadt tragen.“

Autoreduzierte Innenstädte gab und gibt es übrigens auch anderswo. Überregional bekannt wurden die autofreien Straßen in Berlins Mitte, die jetzt vom neuen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) kassiert wurden, weil die Händler über massive Umsatzeinbußen klagten. Ähnliche Erfahrungen machten Händler im rheinischen Brühl, nachdem das Konzept einer autofreien Innenstadt gestartet wurde. Bis zu 90 Prozent Umsatzeinbruch soll es da bei einigen Läden gegeben haben, weil zu wenige Parkplätze verfügbar waren.

Es gäbe viele ähnliche Geschichten zu erzählen, von Dietmar Teickner zum Beispiel, ein bekannter Händler von Lakritz-Spezialitäten an der Jägerstraße („Lakritzkontor“). Wenn man sein Geschäft betritt, dann duftet es so wunderbar dort, dass man fast vergessen möchte, dass man ja eigentlich ein Interview führen wollte. Auch er ist kein Gegner, den Autoverkehr in der Potsdamer Innenstadt zu reduzieren, denn das mache die Stadt ja für Besucher insgesamt interessant und attraktiv. Aber ohne eine ausreichende Zahl an Parkplätzen – wie soll das gehen?

Oder Philipp Veigele, Betreiber des „Café Einstein“ an der Kurfürstenstraße im Holländischen Viertel. Direkt vor seinem Kaffeehaus mit wunderbaren Frühstücks-Kreationen hat die Stadt 24 Parkplätze für Autofahrer entfernt. Dort haben Radfahrer jetzt Vorrang. Unmöglich, findet Veigele, das behindere wirtschaftliches Arbeiten.

Es gäbe noch viele solche Geschichten zu erzählen. Fest steht: Das an sich begrüßenswerte Ziel einer autoreduzierten Innenstadt ist von der Stadtverwaltung unzureichend vorbereitet worden. Vor allem aber ist versäumt worden, die Händler in der City ausreichend bei der Planung einzubeziehen
Im März soll es beginnen mit einem Pilotprojekt in zwei Straßen. Bleibt zu hoffen, dass die Planer im Rathaus die Zeit nutzen, um Schäden für die Händler
abzuwenden. Denn der Einzelhandel ist ein Hauptgrund für die Attraktivität unserer Stadt.

Für Jens Freiberg steht fest, wenn sich die Stadt vor März nicht auf die Händler zubewege: „Dann mache ich den Laden zu!“ kk

Jens Freiberg verkauft in seinem Geschäft „Famos liegen & sitzen“ auch Matratzen.

Jens Freiberg in seinem Geschäft „Famos liegen & sitzen“

Dietmar Teickner vom „Lakritzkontor“ hätte sich mehr Abstimmung bei der Planung gewünscht.

Dietmar Teickner vom „Lakritzkontor“ hätte sich mehr Abstimmung bei der Planung gewünscht.

Dietmar Teickner bietet in seinem „Lakritzkontor“ an der Jägerstraße Lakritz-Spezialitäten an.

Dietmar Teickner in seinem „Lakritzkontor“ an der Jägerstraße