Groß angelegte Aktion des Potsdamer Imkervereins für biologische Vielfalt nach historischem Vorbild
Die Bienen in Potsdams Wäldern werden überrascht sein. Falls es sie – hoffentlich – noch gibt. Schon lange wurde kein wildes Honigbienennest mehr gesichtet. Seit 22. Oktober 2019 hängen zwei leere Klotzbeuten im Königswald bei Krampnitz und warten darauf, dass die wilde Honigbiene oder andere Insekten wie Hornissen, Wespen oder solitär lebende Wildbienen dort einziehen. Weitere ausgehöhlte, leere Baumstämme sollen folgen u.a. auch im Wald am Stern.
Die Idee dazu hatte Claudia Brandis. Die Vorsitzende des Imkervereins Groß Potsdam e.V. erklärt: „Die Bienen sind für das Ökosystem Wald extrem wichtig. Gegenüber der Windbestäubung führt die Bestäubung durch Honigbienen zum Beispiel bei Wildkräutern zu kräftigeren Pflanzen und mehr Wachstum. Das liegt daran, dass die Bienen, wenn sie morgens einmal mit einer bestimmten Pflanzenart angefangen haben, den ganzen Tag lang nur Nektar von dieser Art sammeln (blütenständig). Untersuchungen haben gezeigt: Wird die Erdbeerblüte durch die Honigbienen bestäubt, werden Ertrag, Form, Geschmack und Haltbarkeit gesteigert.
Auch der Wald und damit die Brombeeren, Himbeeren, Wildkräuter und Baumblüten werden bestäubt. Von den Kräutern und Früchten wie Eicheln und Kastanien ernähren sich die Tiere des Waldes. Gibt es keine ausreichende Bestäubung der Wälder, entstehen weniger Ableger, weniger Waldfrüchte, für die wilden Tiere unseres Waldes ist weniger zu fressen da, die Tiere können sich keinen ausreichenden Wintervorrat anfressen. Insekten sind zudem ein wichtiger Eiweißlieferant für alle Jungvögel. Gibt es für sie nicht ausreichend Eiweiß, sterben die Jungtiere.
Wir wollen die Biodiversität im Wald wieder herstellen in dem wir die wilde Potsdamer Honigbiene und den solitär lebenden Insekten ein neues Zuhause bieten.“ Denn auch im Wald hat durch den starken Einfluss des Menschen die biologische Vielfalt stark abgenommen. Die wilde Honigbiene überwintert im Gegensatz zur Wildbiene als Volk. Honigbienen fliegen ab 10 Grad Außentemperatur.
Von unseren Vorfahren abgeschaut
Seit etwa 9000 Jahren bedient sich der Mensch der Produkte der Bienenvölker. Insbesondere Honig und Wachs wurden von den Menschen „geerntet“. Im frühen Mittelalter unterstützten die Menschen durch das Aushöhlen von Waldbäumen die Ansiedlung von Honigbienen. Es entwickelte sich der hoch angesehene Stand der Zeidler. Der Beruf war weit verbreitet. Im Mittelalter war Honig das einzige Mittel zum Süßen. Licht machte man abends, indem man eine Bienenwachskerze anzündete. Die Klöster verbrauchten Unmengen an Bienenwachskerzen. Folgerichtig war ein Bienenvolk so wertvoll wie eine Kuh.
Später kam es zu Konflikten mit den Waldbauern, die begannen, ihre Wälder wirtschaftlich zu nutzen. Daraufhin höhlte man Baumstämme aus und verlegte die Haltung der Honigbienen in die Dörfer. Erst durch die Säkularisierung (die Kirche verlor an Bedeutung) sowie durch die Einführung von Rübenzucker und Kunstwachs nahm der Wert eines Bienenvolkes ab.
Heute ist das Wissen um die Zeidlerei fast verloren gegangen. Die Baschkiren, aus Shulgan Tash, die westlich des Uralgebirges in Russland leben, pflegen diese alte Kultur noch heute. 2007 gaben sie ihr Wissen im Rahmen einer vom WWF initiierten Aktion, begleitet von dem Biologen Przemysław Nawrocki, an Ranger in polnischen Nationalparks weiter. Heute gibt es in Puszcza Augustowska Forest und Puszcza Pilicka Forest 45 Bienenbäume. Zeidler Piotr Piłasiewicz aus Augustow in Polen hat bei der Unseco die Zeidlerei als immatrielles Kulturerbe beantragt.
Heutige Wälder lassen in unseren Regionen die Haltung von Honigbienen in lebenden Bäumen kaum noch zu, da Bäume nicht mehr die Zeit bekommen, den notwendigen Stammumfang zu erreichen. An erster Stelle steht die wirtschaftliche Nutzung unserer Wälder. Um die mittlerweile domestizierten Honigbienen wieder in ihrem natürlichen Habitat anzusiedeln, werde sogenannte Klotzbeuten in geeigneten Wäldern aufgehängt. Sie werden nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen hergestellt. „Das Klima im Klotz ist wärmetechnisch gegenüber anderen Systemen das Beste. Durch die dicken Wände müssen die Bienen nicht so viel Körperwärme zum Heizen abgeben und verbrauchen dadurch weniger Futter. Die Verdauung ist reduziert.Weil es weniger Ausscheidungen gibt, ist es weniger feucht im Klotz. Weil die Bienen weniger Futter sammeln müssen, um über den Winter zu kommen, haben sie mehr Zeit zum Wegputzen der gefährlichen Varroamilbe.
Die Bienenhüterin Claudia Brandis war von der artgerechten Bienenhaltung in den dicken Klötzen fasziniert, sie ist überzeugt, dass die Bienen überhaupt nur ohne den ertragsorientierten Imker eine Überlebenschance hätten, und fasste diesen Plan: Solche Klotzbeuten muss es auch bei uns in Potsdam geben, um der wilden Potsdamer Honigbiene eine natürliche Behausung und damit eine Überlebenschance zu geben. Brandis: „Wir hängen die Klotzbeuten leer auf, um keine künstliche Nahrungskonkurrenz mit den im Wald lebenden solitäreren Insekten zu erzeugen oder auch keine Krankheiten in den Wald zu bringen. In dieser Form ist das Projekt einmalig in Deutschland.“
Hoher Aufwand und viel zu bedenken
Im Imkerverein konnte Claudia Brandis die Vereinsmitglieder für ihre Idee begeistern. Das Berliner Krankenhaus Havelhöhe in Kladow hilft dem Imkerverein durch den Gärtner und Baumpfleger Reinhard Vogel mit Team beim Hochziehen der Klötze. Der Schmied und Künstler Torsten Theel von der Dahlemer Hofschmiede hat dem Imkerverein die nötigen Zeidler-Spezialwerkzeuge für dieses einzigartige Naturschutzprojekt feuergeschweißt.
Um diese besondere Aktion auch der Öffentlichkeit bekannt zu machen, brachten die Bienenhüter zwei Douglasienstämme zum Apfelfest in die Russischen Kolonie. Auf dem Regionalmarkt während der 15. Erlebnisnacht am Luisenplatz kamen Potsdamer Bürger um eine Klotzbeute herum zu einem Gespräch über naturnahen Bienenhaltung zusammen. Zum Potsdamer Umweltfest konnten die Teilnehmer ebenfalls einen Beitrag für die Biodiversität leisten. Mit großer Begeisterung höhlten kleine und große Besucher unter Anleitung den Baumstamm von 1,50 m Länge und 50 cm Durchmesser aus.
Neben dem handwerklich anspruchsvollen Bau der Klotzbeuten gilt es, für die wilde Potsdamer Honigbiene optimale Lebensbedingungen zu schaffen, sie vor Krankheiten und Feinden zu schützen. Gefahr droht u.a. durch Futtermangel und zu viel Glyphosat. Hauptproblem aber ist die Varroamilbe. Ähnlich wie eine Zecke beim Menschen überträgt die Varroamilbe Krankheiten. Sie geht an die Brut der Bienen. In der konventionellen Bienenhaltung wird die Varroamilbe mit Ameisensäure und Oxalsäure bekämpft. Die Ameisensäure ist zwar eine organische Säure, wirkt aber verheerend auf alle anderen Organismen im Bienenstock.
In der Natur kann den Wildbienen die symbiotische Lebensweise u.a. mit dem Bücherskorpion helfen. Dieses Spinnentier erinnert nur optisch an einen Skorpion. Wenn der Bücherskorpion am Boden im Innern der Klotzbeute lebt, ernährt er sich gern von der Varroamilbe und dämmt sie so auf natürliche Wiese ein. Man findet ihn auch in alten Vogelnestern, Schuppen und in Wohnungen. Hier gehören beispielsweise lose Tapeten, verstaubte Bücher oder Akten zu seinen Aufenthaltsorten. Er macht dort Jagd auf noch kleinere Tiere, neben Milben auch Bücher- und Staubläuse, Springschwänze und Bettwanzen.
Bald wird der Bücherskorpion gemeinsam mit anderen Tieren in die Klotzbeute einziehen und in Symbiose mit den Bienen leben. Wissenschaftlich begleitet wird diese Symbiose durch die Imker AG des Helmholtz Gymnasiums. Die jungen Naturforscher werden gemeinsam mit ihrem Biologielehrer Dr. Ralf Deichsel und Bruno Kasper entsprechende Bodenproben auswerten und sehen, ob die Symbiose wie gedacht funktioniert. Dazu müssen noch fünf Mikroskope angeschafft werden, für die der Imkerverein Sponsoren sucht.
Unterstützung bekam der Imkerverein schon aus dem Förderprogramm „Aktion Nachhaltige Entwicklung – Lokale Agenda 21“. Mit knapp 5000 € (80% Anteil aus Lotto Mitteln) konnten die Zeidlerwerkzeuge, zwei Kletterkurse und Kletterausrüstungen bezahlt werden.
sk
BUCHTIPPS
Der Satzkorner Bienenhüter Eckardt Nikusch empfiehlt unseren Lesern für weitere Informationen diese Bücher: „Bienendemokratie, Auf der Spur der wilden Bienen“ von Thomas D. Seel, „Die Honigfabrik“ von Prof. Dr. Jürgen Tautz oder „Handlungsanleitung für artgerechte Bienenhaltung mit Pseudoskorpionen“ von Torben Schiffer, der das Potsdamer Projekt ebenfalls begleiten wird.