Ein geplantes Bauprojekt der Firma Semmelhaack im Potsdamer Ortsteil Fahrland erregt schon seit Monaten die Gemüter. Der POTSDAMER sprach mit Stefan Matz (parteilos) als Mitglied des Ortsbeirates Fahrland über die Hintergründe des Projekts.
Was bisher geschah
Der Ortsbeirat Fahrland beschloss im Frühjahr 2017, dass ein städtebaulicher Vertrag mit dem Investor Semmelhack über ein Bauvorhaben in der Ketziner Straße 22 abgeschlossen werden könne, wenn sich dieser dazu verpflichte, ausschließlich Häuser zu bauen, die dem Energiestandard KfW-40 oder höher entsprechen. Ein energetischer Standard, der seit vielen Jahren in Fahrland bereits umgesetzt wird, wie ein Exposé der Firma Semmelhaack aus dem Jahr 2010 dokumentiert. Semmelhaack widersprach dieser Forderung, da diese Auflage das gesamte Bauprojekt unwirtschaftlich machen würde, nannte jedoch keinerlei Gründe oder genauere Zahlen. „Mindestens zwei Drittel der Fahrländer Haushalte werden mit Fernwärme aus Biogas versorgt. Der Verzicht auf fossile Energieträger ist in Fahrland also schon lange Standard. Warum sollten wir bei Neubauten jetzt einen schlechteren energetischen Standard zulassen?“, argumentiert Matz.
Nachdem Stadtplanungschef Götzmann die Verhandlungen mit der Firma Semmelhaack im April 2017 für gescheitert erklärte, verblieb als letzte Option nur die Aufstellung eines Bebauungsplanes mit ungewissem Ausgang, denn auch der Konflikt mit dem Landschaftsplan, der die Fläche als zu erhaltene Grünfläche im baurechtlichen Außenbereich ausweist, musste gelöst werden.
Im November 2017 unterschrieb Oberbürgermeister Jakobs (SPD) dann doch den städtebaulichen Vertrag, in dem die Forderung des Ortsbeirates einfach gestrichen wurde. Dabei übernahm Jakobs das Argument der Unwirtschaftlichkeit von Semmelhaack, ebenfalls ohne genaue Gründe oder Zahlen zu nennen und verwies auf das ebenfalls von Semmelhaack eingeforderte Gleichbehandlungsprinzip, nachdem er nur zu diesem energetischen Standard verpflichtet werden könne, wenn dies regelmäßig Bestandteil von städtebaulichen Verträgen sei.
Gegen dieses eigenmächtige Handeln hat nun der Ortsbeirat Fahrland am Verwaltungsgericht Klage wegen Nichtbeachtung seiner Anhörungsrechte laut Kommunalverfassung des Landes Brandenburg eingereicht.
Stadtverordnete ignorieren eigene Beschlüsse
Seit 2010 gibt es das Klimaschutzkonzept der Landeshauptstadt, in dem gefordert wird, Investoren keine Dumpingangebote zu machen und sie bei Neubauten zu höherwertigen energetischen Standards mittels städtebaulicher Verträge zu verpflichten. Leider steht ein solches Vorhaben nur auf dem Papier. Die Praxis sieht immer noch anders aus. „Hier muss man den Stadtverordneten den Vorwurf machen, dass sie nicht darauf geachtet haben, dass ihre eigenen Beschlüsse umgesetzt werden. Wieder ein Konzept, das nur Konzept bleibt“, kritisiert Matz. „Die Forderung des Ortsbeirates entsprach also lediglich den klimapolitischen Zielen der Stadt Potsdam. Daraus den Vorwurf zu erheben, dass der Ortsbeirat seine Kompetenzen überschritten hat, ist nicht nur fachlich eindeutig falsch, sondern auch hanebüchen. Dieser Vorwurf dient nur der bewussten Irreführung der Öffentlichkeit“, so Matz.
Ist Potsdam erpressbar?
Nun hat das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung Brandenburg den Weg der Schaffung von Baurecht über den so zustande gekommenen städtebaulichen Vertrag am 09. Mai 2018 für nicht zulässig bzw. rechtswidrig erklärt. Aus diesem Grund muss nun doch ein ordnungsgemäßes B-Planverfahren eingeleitet werden.
In dem dem POTSDAMER vorliegenden Schreiben der Stadtverwaltung vom 11. Januar 2018 hieß es noch: „Die erneut angefragte weitere Behandlung der Angelegenheit im Rahmen eines Bebauungsplanverfahrens hätte, wie bereits mehrfach erläutert, allenfalls eine langfristige Perspektive gehabt; bekanntermaßen unterliegen Bebauungsplanverfahren der Festlegung von Prioritäten in der Verbindlichen Bauleitplanung durch die Stadtverordnetenversammlung; Planverfahren mit einer sehr überschaubaren Anzahl an Wohneinheiten ausschließlich in Einfamilienhäusern sind mit Blick auf die Bewertungskriterien dabei eher nachrangig.“
Laut dem von Baudezernent Rubelt unterschriebenen Dokument bestand demnach noch im Januar 2018 keinerlei Hoffnung für Semmelhaack, in absehbarer Zeit wegen des durchzuführenden und „nachrangig“ zu behandelnden B-Planverfahrens Baurecht für das Grundstück zu erhalten.
„Anscheinend musste es nach der Feststellung der obersten Bauaufsicht am Ministeriums nun aber doch sehr schnell gehen, denn aus Äußerungen aus der Bauverwaltung lässt sich ableiten, dass die Firma Semmelhaack sonst Schadenersatzansprüche gegen die Stadt Potsdam angekündigt hat.“, kommentiert Matz.
Das Pikante an der Sache ist, dass der Bebauungsplan momentan bereits mit höchster Priorität erarbeitet wird, ohne dass es dafür je einen wie sonst üblichen Aufstellungsbeschluss der Stadtverordnetenversammlung oder die Einordnung in die Prioritätenliste gegeben hat, welche die Abarbeitung innerhalb der Verwaltung regelt. Die Stadtverordneten haben zu diesem Zeitpunkt also noch nicht einmal beschlossen, ob dort überhaupt gebaut werden soll.
Gleichzeitig stehen die Arbeiten an diesem Bebauungsplan in direkter Konkurrenz zu den Arbeiten am Bebauungsplan „Am Friedhof“ in Fahrland, der seit 6 Jahren die höchste Bearbeitungspriorität hat und über den ein sicherer Schulweg zur Grundschule geschaffen werden soll.
Die Frage darf gestellt werden, warum man bei Semmelhaack – der nachweislich seit Jahrzehnten in Potsdam nicht so behandelt wird wie andere Bauinvestoren – nicht auch hier auf das Gleichbehandlungsprinzip drängt und seine Wünsche der festgelegten Prioritätenliste in der verbindlichen Bauleitplanung unterordnet.
Manche sind gleicher als andere
Laut Matz konnte sich weder Semmelhaack noch Jakobs im Rahmen eines städtebaulichen Vertrags auf das Gleichbehandlungsprinzip berufen, weil derartige Verträge immer individuelle Absprachen zweier Vertragspartner sind. „Wenn mir der Vertragsinhalt nicht passt, unterschreibe ich den Vertrag einfach nicht.“, so Matz. „Würden Sie einen Vertrag unterschreiben, wenn ihnen der Vertragspartner, wie hier geschehen, schon vor der Unterschrift eine Schadensersatzforderung in Aussicht stellt, sollten sie seine Wünsche nicht erfüllen?“ Der Oberbürgermeister sei zu keinem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, den Vertrag zu unterschreiben und es bestünde kein Rechtsanspruch seitens Semmelhaack auf den Abschluss eines solchen Vertrages. Laut Baugesetzt schließe sich so etwas aus, argumentiert Matz. Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Wertung von Stadtplanungschef Götzmann in seinem Schreiben vom 27. September 2017 an den Oberbürgermeister. Es war also bekannt, dass es wohl keinen Rechtsanspruch und damit keine direkte Notwendigkeit für den Abschluss des Vertrages gab.
„Jakobs hat bewusst den Beschluss des Ortsbeirates ignoriert und den wirtschaftlichen Interessen des Investors den Vorrang vor den klimapolitischen Zielen der Landeshauptstadt Potsdam gegeben und damit den Beschlüssen der Stadtverordnetenversammlung widersprochen. Er hat der Firma Semmelhaack durch sein Handeln erst die Möglichkeit eröffnet, gegebenenfalls Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Dies geschah alles ohne Not und daher steht die Landeshauptstadt jetzt so, vorsichtig ausgedrückt, unter Druck“, so Matz. „Das Problem ist auch, dass die Stadtverordneten jetzt kaum noch frei entscheiden können, denn schließlich gibt es bereits einen gültigen Bauvorbescheid und es steht eine eskalierende rechtliche Auseinandersetzung im Raum. Die Stadtverordneten sollten dieses Handeln jetzt dringend stoppen, Transparenz schaffen und die Gründe nachdrücklichst hinterfragen“, fordert Matz.
Wird auch der Beigeordnete Schubert von Semmelhaack nur benutzt?
In der Sitzung des Ortsbeirates vom 11. April 2017 wurde von einer Mitarbeiterin der Firma Semmelhaack im Zusammenhang mit den Verhandlungen zum städtebaulichen Vertrag auf die „…von Seiten des Investors gemachten Zugeständnisse wie z. B. der Bau einer Kita“ verwiesen (Protokoll Ortsbeirat, 11.04.2017). „Nun muss man wissen, dass die Firma Semmelhaack Eigentümer eines Grundstückes in einem anderen Baugebiet in Fahrland ist, auf dem schon mehr als zehn Jahre Baurecht für eine Kita besteht“, so Matz.
„Allerdings wirft genau diese in der Ortsbeiratssitzung vorgebrachte Verknüpfung der Schaffung von Baurecht im Außenbereich an der Ketziner Straße auf der einen Seite und der Verpflichtung des Investors zum Bau einer Kita in einem anderen Wohngebiet auf der anderen Seite erhebliche Fragen auf“, meint Matz. „Man könnte ja mutmaßen, dass hier Baurecht käuflich ist, wenn vom Investor ein dringendes Problem der Stadt gelöst wird. Diesen Anschein sollte man tunlichst vermeiden.“ Der Gesetzgeber fordert, dass in derartigen Verträgen nur Sachen verknüpft werden dürfen, die sowieso in einem direkten und inneren Zusammenhang stehen. Da ist es kaum verwunderlich, dass die Stadt jüngst einen Zusammenhang zwischen der Schaffung von Baurecht und dem Bau der Kita leugnete, obwohl aus der Ortsbeiratssitzung und einem Schreiben Semmehaacks vom 27.04.2017 genau dieser Zusammenhang hergestellt werden kann.
Sozialdezernent Schubert erklärte gegenüber dem POTSDAMER, dass es schließlich seine Aufgabe sei, mit den Genannten auch über den Bau einer Kita zu sprechen und dass Semmelhaack diesen Bau bereits zugesagt habe.
Wie dem auch sei, unzweifelhaft ist, dass die Firma Semmelhaack wieder einmal von der Stadt unverhältnismäßig bevorzugt wird: Die Stadt zieht das B-Plan-Verfahren vor anderen vor, Semmelhaack soll von ursprünglich beantragten zweistöckigen Gebäuden dreistöckige in der Ketziner Straße bauen dürfen, das Unternehmen erhält die Genehmigung auf dem Gelände, das für einen Kindergarten vorgesehen ist, auch noch ein Seniorenheim zu bauen und zu guter Letzt werden Semmelhaacks haltlosen Behauptungen Glauben geschenkt, ohne diese zu überprüfen. Ein transparentes Handeln im Sinne von Bürgerinteressen sieht sicherlich anders aus.
Hängt also jetzt der Bau einer weiteren Kita durch die Firma Semmelhaack nur noch am Votum der Stadtverordneten zum Bebauungsplan an der Ketziner Straße 22?
Vielleicht gibt es ja unter den Stadtverordneten doch noch eine Interessensgemeinschaft, die die vielen offenen Verfahrensfragen erst einmal beantwortet haben möchte, bevor es zu einem unüberlegten Abnicken der Anträge kommt und Außenstehenden präsentiert wird, wie gefügig man sich die Stadtverwaltung machen kann.
sts