Potsdam kündigt Gartenpächtern ohne Grund fristlos

Was ist nur in die Stadtverwaltung gefahren, mögen sich viele denken, wenn sie von ihrem neuesten Coup hören: Kleingartenpächter in Fahrland, die ihre Gärten zum Teil seit den 1970er Jahren gepachtet haben, sollen diese bis zum 31. Juli dieses Jahres räumen – und das grundlos.
Hintergrund dieser fristlosen Kündigung der Pachtverträge ist der Bau einer weniger als 200 Meter langen Verbindungsstraße zwischen zwei Baugrundstücken, die dem Immobilienunternehmen Leonwert gehören. Nur ein geringer Teil des Straßenverlaufes befindet sich jedoch auf den angrenzenden Gartenflächen.
Für die Pächter und deren Anwälte stellt die fristlose Kündigung eine widerrechtliche Handlung dar. Widerspruch wurde bereits eingelegt.

Hier soll die Straße gebaut werden. Platz genug scheint jetzt schon zu sein.

Keule statt Gespräche

Ohne vorab mit den Pächtern und Anwohnern ein Gespräch zu den Planungen des Straßenbaus zu führen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden, erhielten die Pächter am 20. Juni 2020 die fristlose Kündigung vom Kommunalen Immobilien Service (KIS), mit der Auflage, die Gärten bis zum 31. Juli 2020 zu räumen.
Nicht nur die Pächterfamilien sind entsetzt über die Vorgehensweise der Stadt. In einem Schreiben der Pächter an den Oberbürgermeister Mike Schubert, in der der Sachverhalt detailliert dargestellt wird, wird u.a auf einen Auszug aus der Begründung zum B-Plan Bezug genommen, in dem heißt es: „…Die aktuelle und auch kürzlich erst begonnene Nutzung von Pachtgärten wird somit weiterhin auf unbestimmte Zeit noch möglich sein.“
Oberbürgermeister Schubert kommentierte das Schreiben lediglich mit dem Hinweis, dass er es „zuständigkeitshalber an den Geschäftsbereich 4“ weitergeleitet habe. Die ebenfalls im Antwortschreiben von Schubert zugesagte „umgehende Antwort“ des Baubeigeordneten Rubelt erhielten die Gartenpächter bis zum Redaktionsschluss nicht.

Ortsbeirat stellt Dringlichkeitsantrag

Der Ortsbeirat Fahrland stellte daraufhin einen Dringlichkeitsantrag, in dem der Oberbürgermeister gebeten wird, einen Vor-Ort-Termin zu veranlassen, bei dem die involvierten Parteien anwesend zu sein haben. „Ziel ist es, eine einvernehmliche Lösung für beide Seiten zu finden, die sowohl die Erschließungsarbeiten als auch die befristete Weiternutzung der restlichen Pachtflächen bis zur endgültigen Bebauung ermöglicht…“, heißt es in dem einstimmig beschlossenen Antrag.
In der Begründung nimmt der Ortsbeirat u.a. Bezug auf den Beschluss der Stadtverordneten vom 06. Mai 2020, in dem es heißt es: „Bis zur Konkretisierung der Umsetzung ist eine Weiternutzung der Flächen als Garten möglich.“
In der Begründung des erwähnten B-Plans heißt es zusätzlich:
„Bis zur Umsetzung der Planungen des Bebauungsplans kann die aktuelle Gartennutzung, welche auf den privatrechtlichen Vereinbarungen basiert, weiterhin in Anspruch genommen werden … Die Dauer des Fortbestehens der privatrechtlichen Vereinbarungen wird dann im Einzelfall geprüft.“
Eine Einzelfallprüfung habe es aber nach Angaben der Pächter nie gegeben.
Abgesehen von dem ethisch fragwürdigen Verhalten des KIS, steht die Frage im Raum, wieso die Pacht in ihrer bestehenden Gesamtheit gekündigt werden muss, wenn nur wenige Meter der Grundstücke für den Straßenbau benötigt werden.

Einige der Pächter, die sich wehren wollen: Enrico Gleisberg, Andreas Gleisberg, Angelika Beutler, Danilo Fiedler (v.l.) Fotos: sts

Pächter fordern Klärung

Einer der Gartenpächter äußert sich im Gespräch mit dem POTSDAMER sehr verärgert über die Vorgehensweise der Stadtverwaltung: „Wir fühlen uns betrogen und getäuscht. Die Stadt schlägt mit einer Keule auf uns Einwohner ein, ohne jemals in Erwägung gezogen zu haben, erst einmal mit uns ein Gespräch zu führen. Wir haben überhaupt nichts gegen den Straßenbau. Gerne geben wir die benötigten zwei, drei Meter von unseren Gärten ab, wenn sie wirklich benötigt werden. Wieso wir aber alle Gärten vollständig räumen sollen, versteht niemand.“

Danilo Fiedler, der den Garten erst im Jahr 2016 von dem KIS gepachtet hat und vor dessen Nutzbarkeit mehrere Container voll mit sich darauf befindlichem Müll, alten Kleintierställen, Unmengen an Tierkadavern, alten Möbeln und vielem mehr eigenhändig entsorgt hat, versteht die Welt nicht mehr: „Man hat mir gesagt, ich brauche mir keine Sorgen zu machen. Den Garten könnte ich ewig nutzen, wenn ich mich um die fachgerechte Entsorgung des zum Teil in großen Mengen vorhandenen Sondermülls kümmere. Also habe ich das gemacht. Der Garten ist jetzt wieder schön. Sogar Zauneidechsen leben wieder auf unseren Grundstücken in größeren Mengen.“

Zauneidechsen? Bauvorhaben? Ein Thema, das den Natur- und Umweltschutz auf den Plan rufen sollte. Weil die Zauneidechse eine geschützte Art ist, muss bei einem Bauvorhaben auf entsprechenden Flächen dafür gesorgt werden, dass alle Individuen dieser Art art- und fachgerecht eingesammelt und umgesiedelt werden, bevor nach einem ordentlichen Umweltgutachten mit bauvorbereitenden Maßnahmen begonnen werden darf.
Davon, dass sich schon mehrmals Bauherren über Umweltschutzauflagen hinweggesetzt haben, ohne dass die Stadt Potsdam dieses rechtswidrige Verhalten geahndet haben soll, ist bekannt. Böse Zungen behaupten sogar, es gebe in der Stadtverwaltung Mitarbeiter in leitenden Positionen, die „eben ihre eigene Rechtsauffassung“ hätten und sie durchzusetzen wüssten.

sts