Brandenburg sitzt zwischen zwei Stühlen – und sieht positiv in die Zukunft

Ein Interview mit Axel Steffen, Abteilungsleiter für Umwelt, Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Ministerium
für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK)

Seit Jahrzehnten wird das Thema Klima- und Umweltschutz stiefmütterlich behandelt. Die geäußerten Befürchtungen in den 1970er und 1980er Jahren als dystopische Verschwörungstheorien abgetan. Mittlerweile herrscht Gewissheit: Das Klima ändert sich im buchstäblichen Sinne zusehends und der Mensch ist unmittelbar daran beteiligt.
Nationale und internationale Klimagipfel mit schwammig formulierten Maßnahmen bestimmen den Kampf gegen die Erwärmung der Welt. Kaum ein Land, das es nicht versteht, seine wirtschaftlichen Interessen den ökologischen überzuordnen. Deutschland wollte es anders machen, mit gutem Beispiel vorangehen. Bundeskanzler Olaf Scholz war sich sicher, dass sich viele Länder am Beispiel Deutschlands orientieren und den gelebten Klimaschutz nachahmen würden. Doch dann kam die Energiekrise.
Der POTSDAMER sprach mit Axel Steffen, dem Abteilungsleiter für Umwelt, Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Brandenburger Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) über die Erarbeitung eines Klimaplans und den Spagat zwischen Klimaschutz, Umweltschutz und Energiewirtschaft, um zu erfahren, wie sich Brandenburg in der aktuellen Situation auf die kommenden 20 bis 30 Jahre vorbereitet.

Axel Steffen (rechts, stehend) spricht im Oktober 2022 auf der Delegiertenversammlung des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Foto: sts

Sie sind dabei, einen „Klimaplan“ zu erstellen und dabei viele andere Fachbereiche miteinzubeziehen, weil der Klimaschutz bisher in vielen Fachbereichen keine Berücksichtigung findet. Was macht die Erarbeitung eines Fachbereich übergreifenden Klimaplans so schwer?
Klimaschutz kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir alle mitmachen. Das gilt natürlich auch für die Erarbeitung des Klimaplans, der die grundlegenden Maßnahmen enthalten muss, die uns auf dem Weg in Richtung Klimaneutralität des Landes Brandenburg voranbringen. Dabei gilt es, sehr viele Interessen zu berücksichtigen. Wir benötigen Maßnahmen für unterschiedlichste treibhausgasrelevante Bereiche wie Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Landnutzung. Das macht die Arbeit am Klimaplan so komplex.

Der Begriff „Klimaplan“ suggeriert, dass Sie das Klima wirklich planen können? Ist das möglich?
Mit dem Klimaplan wollen wir natürlich nicht das Klima planen – wir wollen mit dem Plan das Klima schützen und den Klimawandel bekämpfen. Unsere Region ist innerhalb Mitteleuropas ein Hot-Spot, was den Grad der Veränderung durch den längst eingetretenen Klimawandel anbelangt – z.B. die langsam austrocknenden Seen sind ein schon jetzt für alle sichtbares Alarmsignal für die Folgen des Klimawandels. Brandenburg muss darum aus einem elementaren Eigeninteresse heraus für einen effizienten Klimaschutz Sorge tragen. Darum wird der Klimaplan konkrete Klimaschutzmaßnahmen enthalten.

Ist Klimaschutz für Sie gleich Umweltschutz und Artenschutz oder gibt es zwischen diesen Begriffen deutliche politische Unterschiede? Sie sprachen ja davon, dass ein Mehr an erneuerbaren Energien – z.B. mehr Windkrafträder – durchaus im Widerspruch zum Umwelt- und Artenschutz stehen kann. Wie schaffen Sie es, beide Belange zusammenzubringen?
Klimaschutz, (technischer) Umweltschutz (Boden, Wasser, Luft, Lärm) und Arten- bzw. Naturschutz haben als Begriffe unterschiedliche Inhalte. Global gesehen, sind der galoppierende Artenschwund und die menschengemachte Erderwärmung zwei gleichrangige Herausforderungen. Dabei ist der globale Klimaschutz der sicher übergreifendere Ansatz – denn der Klimawandel macht auch vor dem Schutz von Natur und Umwelt nicht halt. Wenn es uns nicht gelingt, den Klimawandel aufzuhalten bzw. zu begrenzen, dann werden wir massive Änderungen in der Naturraumausstattung haben. Bereits heute verlieren unsere Wälder deutlich an Stabilität und die sich verändernden Niederschläge wirken sich nachteilig auf den Bestand von Feuchtlebensräumen aus. Darum müssen wir Klimaschutz und Naturschutz zusammendenken und dürfen die beiden Bereiche nicht gegeneinander ausspielen. Im konkreten Einzelfall muss man dann gut abwägen, welcher Belang an welchem Standort Vorrang hat. Das gilt selbstverständlich auch für die von Ihnen angesprochenen Windkraftanlagen. Ein solches Windrad darf die Lebensräume insbesondere von besonders seltenen Arten nicht gefährden – aber andersherum darf auch nicht der Naturschutz den notwendigen Ausbau von erneuerbaren Energien unmöglich machen. Dies gilt es im Einzelfall abzuwägen.

Vor allem für Greif- und Zugvögel sind Windräder eine tödliche Gefahr
Foto: pixabay

Sie sprachen im Oktober auf einer Veranstaltung des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.), dass man seit über 30 Jahren an Konzepten für den Umwelt- und Klimaschutz arbeite, es jedoch noch nicht zur Umsetzung konkreter Maßnahmen gekommen sei. Erst jetzt gehe man mit dem aktiven Moorschutz in den praktischen, umsetzenden Teil der Konzepte über. Warum erst jetzt? Und wie soll es weitergehen?
Die Klimapolitik hat sich in den letzten 30 Jahren vielfach nur als isoliertes Politikfeld mit der Beschreibung von immer ambitionierteren Zielen begnügen müssen. Die Zeit ist jetzt vorbei. Weiter so wie bisher ist keine Option mehr. Beginnend mit dem Bundesklimaschutzgesetz müssen sich jetzt alle Bereiche intensiv mit der Umsetzung dieser Ziele beschäftigen. Ein Beispiel in Brandenburg ist der Landnutzungssektor mit dem Auftrag, aus unseren Wäldern und Mooren eine stabile CO2-Senke zu machen, also in der Bilanz einen positiven CO2-Speichereffekt zu erzielen. Neben dem Waldumbau mit mehr Laubholz und dem Aufbau zusätzlicher Wälder bedeutet diese Aufgabe vor allem eine Erhöhung des Wasserstandes in den Niedermoorflächen des Landes Brandenburg, um die erheblichen Treibhausgasemissionen von über sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jährlich erheblich zu reduzieren. Zum Vergleich: der gesamte Verkehrssektor war 2019 für 5,9 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente verantwortlich. Dies Aufgabe gehen wir jetzt konkret an, zunächst in einer Reihe von Modellprojekten.
[CO2-Äquivalente sind eine Maßeinheit zur Vereinheitlichung der Klimawirkung der unterschiedlichen Treibhausgase, Anm. d. Red.]

Axel Steffen legt dar, worin die Komplexität für die Erstellung eines Klimaplans lieg

Axel Steffen legt dar, worin die Komplexität für die Erstellung eines Klimaplans liegt.
Foto: sts

Wenn in den letzten 30 Jahren Konzepte entwickelt wurden, die jetzt umgesetzt werden sollen, sich die aktuelle Situation aber sehr schnell ändert bzw. verschlimmert, sind die Konzepte, die jetzt umgesetzt werden, nicht veraltet und führen an dem aktuellen Bedarf vorbei?
Wir sind in den letzten 30 Jahren vielfach bei der Definition von Zielen steckengeblieben. Umsetzungskonzepte, insbesondere Maßnahmenprogramme für die Umsetzung des künftigen Brandenburger Klimaplans, müssen natürlich ständig aktualisiert werden, schon allein wegen der sich ändernden maßgeblichen Bundesvorgaben. Dafür wird derzeit ein umfangreiches Klimaplangutachten erstellt. Der erste Zwischenbericht dieses Gutachtens ist auch auf unserer Homepage für jedermann einsehbar [https://mluk.brandenburg.de/mluk/de/klimaschutz/klimaschutz/klimaplan/] – und im nächsten Jahr soll dann das gesamte Gutachten einsehbar sein. Auf dieser Grundlage planen wir dann die konkreten Maßnahmen, die in den eigentlichen Klimaplan Eingang finden sollen. Des Weiteren werden wir auch einen sogenannten Nachsteuerungsmechanismus entwickeln, um sicherzustellen, dass die Zwischenschritte bzw. Meilensteine bis 2030 und 2040 auch erreicht werden.

Die Konzeption des Klimaplans liegt in der Verantwortung der Landesregierung. Für die Umsetzung haben vor allem die Städte und Kommunen zu sorgen. Müssen Sie diese erst von Ihren Plänen überzeugen, und welche Form der Unterstützung benötigen diese für die Umsetzung?
Die Kommunen sind in der Tat äußerst wichtige Akteure im Klimaschutz. Darum sind die Kommunen auch in den Prozess der Erarbeitung des Klimaplans für das Land Brandenburg eng eingebunden. Zum Glück haben auch viele Kommunen bereits sehr aktive Vertreterinnen und Vertreter in den gemeindlichen Gremien und sehr aktive Mitarbeiter, die bereits viele kommunale Klimaschutzkonzepte umsetzen. Dies möchten wir in den kommenden Jahren weiter ausbauen.

Der Kohleausstieg wurde wegen der Energiekrise in Brandenburg wieder nach hinten verschoben, Kohlekraftwerke werden wieder aktiviert, Atomkraftwerke dürfen doch länger laufen als vorher beschlossen. Hat der Krieg in der Ukraine das Thema Umwelt- und Klimaschutz in den Hintergrund gedrängt?
Natürlich ist die Aktivierung einiger Kohlekraftwerke in Deutschland ein Rückschlag für den Klimaschutz. Aber eine solch schlimme Krise wie der Krieg in der Ukraine erfordert schnelle und auch ungewöhnliche Entscheidungen zugunsten einer kurzfristigen Versorgungssicherheit. Aus heutiger Sicht kann ich trotzdem Ihrer Einschätzung widersprechen, dass z.B. der Kohleausstieg durch die Ukrainekrise zeitlich in die unabsehbare Zukunft verschoben wurde. Das Beispiel der politischen Einigung im Land Nordrhein-Westfalen mit dem Konzern RWE zeigt, dass trotz dieser Krise sogar ein vorgezogener Kohleausstieg weiter möglich ist. Ich bin außerdem optimistisch, dass sich nicht die Auffassung durchsetzen wird, wonach aktiver Klimaschutz und Transformationspolitik nur als Preistreiber angesehen werden, sondern vielmehr in der Gesellschaft gerade angesichts der derzeitigen Krisensituation die Erkenntnis reift, dass wir uns – nicht nur energiepolitisch – um deutlich mehr Unabhängigkeit bemühen müssen. Energiepolitisch geht das sinnvollerweise nur durch den weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Wie viel Geld gibt Brandenburg im Jahr für den Klimaschutz und den Umweltschutz aus? Reicht das aus, um unsere Natur zu retten und dem Klimawandel entgegenzuwirken?
Die Gesamtausgaben, die in Brandenburg für den Klimaschutz ausgegeben werden, lassen sich nicht konkret beziffern – denn es gibt keine genaue Abgrenzung, wann eine Finanzierung eine Klimaschutzausgabe ist. Vielleicht darf ich Ihnen als Beispiel die Finanzierung des Öffentlichen Personennahverkehres nennen. Ist die Finanzierung von Bussen und Bahnen eine Ausgabe für den Klimaschutz oder eine Ausgabe für ein zeitgemäßes Verkehrssystem? Sicherlich beides.

Die Landesregierung möchte aus Brandenburg einen attraktiven Ort für Unternehmen und Investitionen machen. Steht das – in Bezug zur Giga-Fabrik von Tesla und sich an dieser orientierenden Branchen – im Widerspruch zur ökologischen Ausrichtung und zum Umweltschutz und Klimaplan, den Sie aktuell erarbeiten?
Grundsätzlich wird die Ansiedlung von konkreten Unternehmen im Land Brandenburg natürlich nicht vom Klimaplan geregelt werden können. So detailliert kann dieser Plan gar nicht sein. Aber jede neue gewerbliche Ansiedlung benötigt Genehmigungen, für deren Erteilung wir klare Verfahren haben, die möglichst alle Belange betrachten. Ich halte das für einen wirklich hohen Wert, dass wir in Deutschland diese neutralen Verfahren haben. Allerdings muss der Klimaschutz noch in einer ganzen Reihe von Fachgesetzen eine größere Rolle als bisher spielen müssen. Daran werden wir noch intensiv arbeiten müssen.
Was müsste aus Ihrer Sicht verbessert werden, um einen nachhaltigen Klima- und Umweltschutz zu garantieren?
Das ist eine wirklich große Frage, die ich Ihnen hier nicht abschließend beantworten kann. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir all die Punkte, die wir für einen nachhaltigen Klimaschutz benötigen, im Klimaplan des Landes Brandenburg für den Zeithorizont bis 2045 aufschreiben wollen.

Wie möchten Sie ein Umdenken in der Bevölkerung erreichen, das auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz ausgerichtet ist?
Ich bin überzeugt, dass dieses Umdenken längst eingesetzt hat. Vielleicht noch nicht bei allen Bürgerinnen und Bürgern in unserem Lande – aber bei vielen, die über die Zukunft maßgeblich mitentscheiden sollten: den Jugendlichen und den jungen Erwachsenen. Mir machen die vielen aktiven jungen Mitstreiterinnen und Mitstreiter unglaublich viel Hoffnung, die sich in den Umweltverbänden, in den Parteien oder in den aktuellen bürgerschaftlichen Bewegungen engagieren.

Das Gespräch führte Steve Schulz