Sarah Zalfen erhält Helene-Weber-Preis 2020
Sie ist erst seit einem Jahr in der Stadtpolitik und schon wird sie mit dem Helene-Weber-Preis ausgezeichnet, die promovierte Politikwissenschaftlerin und Kulturmanagerin Sarah Zalfen. Wer sie näher kennt, ist von dieser Auszeichnung nicht überrascht, weil Zalfen eine Frau ist, die sich mit einer Energie für Frauen in der Gesellschaft stark macht, die ungewöhnlich energetisch und effizient zugleich ist.
Sarah Zalfen, Jahrgang 1979, arbeitet als Referentin für Digitalisierung im Kulturbereich im Kulturministerium und ist seit 2017 Vorsitzende des mitgliederstärksten ostdeutschen SPD-Ortsvereins Potsdam Mitte-Nord. Seit einem Jahr ist sie Mitglied der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung (SVV) und als solche Mitglied im Kulturausschuss, im Finanzausschuss und im Hauptausschuss. Seit August ist sie Co-Vorsitzende der SPD Stadtfraktion.
Ihr politisches Herzensthema ist die Kultur: „Ich möchte mich für mehr Räume für die Kultur und mehr Stabilität für Künstler und Kultureinrichtungen einsetzen“, sagt Zalfen, die unter den Initiatorinnen des überparteilichen Frauenwahllokals für Potsdam zum 100. Jahrestag der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland war.
Ein Preis mit Symbolwirkung
Der Helene-Weber-Preis ist ein Nachwuchspreis, der an Frauen für herausragende ehrenamtliche Leistungen in der Kommunalpolitik verliehen wird.
Helene Weber (1881 – 1962) war neben Elisabeth Selbert, Frida Nadig und Helene Wessel eine der vier „Mütter des Grundgesetzes“, die neben den 61 Männern des Parlamentarischen Rates 1948 das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland erstellten und darin – zum Teil gegen heftigen Widerstand – wesentliche Grundrechte der Frau für immer verankerten. So zum Beispiel den Artikel 3, Abs. 2 „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“.
Der Preis wurde aus Anlass des 60. Jahrestags des Grundgesetzes ausgeschrieben und bisher drei Mal (2009, 2011 und 2015) von der jeweils amtierenden Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend verliehen.
In der diesjährigen Begründung heißt es: Die 15 Preisträgerinnen haben folgende Kriterien in einem besonderem Maße erfüllt und werden damit für ihre herausragende Leistungen in der Kommunalpolitik geehrt:
• Umfang des politischen Engagements
• Umfang des zivilgesellschaftlichen Engagements
• besondere kommunalpolitische Leistungen
• Umfang und Qualität des Frauen- und gleichstellungspolitischen Engagements
• Beitrag zur Nachwuchsförderung und Förderung von Vielfalt in der Kommunalpolitik
• Vorbildfunktion und Beitrag zum Helene Weber Kolleg
Der POTSDAMER unterhielt sich mit Dr. Sarah Zalfen und wollte wissen, warum sie politisch so aktiv ist, welche Rolle dabei die Familie spielt und was der Preis für sie bedeutet.
Frau Zalfen, was bedeutet Ihnen der Helene-Weber-Preis, und wofür steht er?
Der Preis ist nicht nur für mich, sondern stellvertretend für alle Frauen, die sich aktiv politisch einsetzen, um eine bessere und eine gleichberechtigte Gesellschaft zu formen. Er ist kein Preis für ein Projekt, sondern für viele kleine, die ein Gesamtengagement beschreiben: neben dem Mandat in der Stadtverordnetenversammlung, die Arbeit im Ortsverein Mitte-Nord der Potsdamer SPD, die Betreuung von vielen hundert Info-Ständen, die Präsenz bei Potsdamer Einrichtungen und Initiativen, meine Arbeit in der Projektgruppe Frauenwahllokal und vieles andere.
Der Preis ist daher sowohl Anerkennung und Verantwortung gleichermaßen, aber auch ein Zeichen dafür, dass man nicht nur in der institutionalisierten Politik, sondern auch auf anderen gesellschaftlichen Feldern das städtische Miteinander gestalten kann.
Ebenso dient der Preis der Motivation. Sowohl der eigenen, als eine Form der Aufforderung, so weiter zu machen, mit seinem Engagement nicht aufzuhören, sondern es auszubauen. Aber auch der Motivation anderer Frauen, sich ebenfalls politisch oder anderen Orts zu engagieren und mitzugestalten.
Der Preis war auch Aufruf an mich selbst, mir selbst mehr zuzutrauen – etwa als es um die Übernahme des Fraktionsvorsitzes der SPD-Stadtfraktion ging. Mein Rat an Frauen ist: Sagt nicht, ich bin noch nicht so weit, wenn ihr Verantwortung übernehmen könnt. Es ist wichtig, sich etwas zuzutrauen und Verantwortung zu übernehmen, um Dinge wirklich anpacken zu können, um zu lernen und auch um die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Vom Zugucken allein verändert sich nichts, schon gar nicht man selbst.
Warum brauchen Frauen einen solchen Preis?
Der Preis ist auch eine Umsetzung von Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes, in dem eben nicht nur festgeschrieben ist, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind, sondern der Staat durch die Beseitigung bestehender Nachteile die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung aktiv fördert. De facto herrscht keine Gleichberechtigung, das wissen wir alle. Deshalb dürfen wir nicht aufhören, darauf hinzuwirken. Aus den bestehenden Strukturen heraus, entwickelt sich von allein kein neues Selbstverständnis.
Natürlich wünsche ich mir, dass es solche Preise nicht bräuchte. Bis es aber so weit ist, braucht es genau solche Preise und laute Stimmen, die die Rolle der Frau in der Gesellschaft, der
Kultur, der Politik und allen anderen Bereichen auf eine Ebene mit denen der Männer bringen.
Der Preis ist also eine Form der positiven Diskriminierung. Männer haben Zugang zu vielen anderen gesellschaftlichen Anerkennungsformen, daher brauchen Sie keine zusätzlichen Preise. Schauen wir uns Potsdam an: Unter den fast 50 Ehrenbürgern der Stadt ist nur eine einzige Frau, und das erst seit 2018. Was sagt das über die Wertschätzung weiblicher Leistungen für unsere Stadt aus?
In der gegenwärtigen Kulturlandschaft sind Frauen dagegen sehr stark vertreten. Die Museen in der Stadt sind mehrheitlich in weiblicher Hand, auch das Hans-Otto-Theater wird inzwischen von einer weiblichen Doppelspitze geleitet. In den Führungspositionen städtischer Unternehmen insgesamt finden wir immer noch viel zu wenige Frauen. Aber die Situation ändert sich. Der Beschluss, den Anteil von Frauen an der Spitze und in den Aufsichtsräten der kommunalen Unternehmen deutlich zu erhöhen wird zunehmend sichtbar umgesetzt. Wir sind also auf einem guten Weg, Strukturen zu schaffen, in denen Frauen und Männer selbstverständlicher miteinander interagieren, um gemeinsam zu gestalten.
Das ist enorm wichtig. Man kann Frauen nicht nur auffordern, politisch aktiver zu sein, man muss es ihnen ganz praktisch vorleben.
Sind Frauen weniger politisch als Männer?
Frauen sind nicht weniger politisch als Männer. Männer brauchen jedoch vermutlich mehr Anerkennung von außen und sind weniger selbstkritisch. Weil die Selbstüberprüfung und das Infragestellen – bis auf wenige Ausnahmen – ab bestimmten politischen Ebenen stark abnimmt, ist das sicher ein Grund, warum Männer häufiger Führungspositionen besetzen.
Die Frustration gegenüber der Politik wäre aber nicht so groß, wenn sie alles so toll machen würden. Es ist doch paradox, dass sich immer mehr Menschen von der Politik abwenden, aber gleichzeitig hergebrachte Karrieremechanismen als vermeintliche „Bestenauslese“ verteidigen. Lösungen, die Politik vielfältiger machen können, wie das Paritätsgesetz oder Quotierungen werden abgelehnt und die Politik lieber denen überlassen, die zugleich kritisiert werden.
Woraus speist sich Ihre Motivation, Politik zu machen?
Aus unterschiedlichen Richtungen. Ich war schon immer ein politischer Mensch – seit der Schulzeit. Das hohe Maß an ehrenamtlichem Aufwand, das Politik verlangt, kann man aber eigentlich nur mit der Überzeugung leisten, damit die Welt wenigstens ein bisschen besser zu machen. Politik bedeutet für mich immer auch etwas mit anderen gemeinsam zu bewegen oder zu erreichen, was der oder die Einzelne nie geschafft hätte.
Meine Arbeit im Frauenwahllokal war dabei eine sehr wichtige Erfahrung für mich. Hier habe ich erlebt, wie Transparenz, Zuverlässigkeit, Miteinander und Engagement, das frei von Konkurrenz ist, zu sehr guten Ergebnissen geführt hat. Eine positive Erfahrung, die ich gern mit in die Stadtverordnetenversammlung nehme.
Die Umsetzung in der SVV [Stadtverordnetenversammlung, Anm. d. Red.] ist dabei gar nicht so einfach. Hier treffen erfahrene alte Hasen auf Polit-Frischlinge, die ganz schnell etwas verändern wollen. Als ich anfing war erst einmal klar: „sitze, erkenne, durchschaue“. Nach etwas über einem Jahr verstehe ich erst, wie das System SVV funktioniert. Und da spielt das Verstehen von technischen Verfahren und rechtlichen Grundlagen eine genauso große Rolle wie die Kenntnis unterschiedlicher persönlicher Befindlichkeiten.
Mein Engagement und politisches Wirken werden auch stark von meinem privaten Umfeld geprägt. Meine Familie ist ein wichtiger Rückhalt. Vor einigen Jahren haben wir uns entschieden, in einem Mehrgenerationenhaus zu leben. Das war und ist nicht immer einfach, vor allem, weil wir alle viele Jahre lang sehr eigene Wege gegangen sind – doch es funktioniert. Lastenteilung, Rücken freihalten, Räume akzeptieren und schaffen sind wichtige Parameter, um erfolgreich im Beruf und im Privaten sein zu können. Eigentlich die perfekten Rahmenbedingungen für ein modernes Multitasking Leben! Themen wie die Tendenz zu einer Hyperindividualisierung, Arbeitsteilung, Rollenbesetzung, Co-Working, Co-Living, Work-Life-Balance und viele mehr sind ja nicht nur abstrakte Themen in der Berufswelt und der Politik, sondern lassen sich im Privaten selbst erleben.
Und in diesen Bereichen können wir deshalb auch nur erfolgreich sein, wenn wir gemeinsam in lebenspraktische Richtung denken und handeln.
Vielen Dank für das interessante Gespräch
Das Interview mit Sarah Zalfen führte Steve Schulz