Warum die Politik mehr junge Menschen braucht
Wenn man von Politikern redet, hat man in der Regel betagte Männer vor Augen, denen es schon lange nicht mehr um die Sache geht, sondern sich in den letzten Jahrzehnten darauf spezialisiert haben, ihre eigenen Bedürfnisse in den Fokus ihres politischen Engagements zu stellen. Kein Wunder, wenn es da zu der oft erwähnten Politikverdrossenheit der Bürger und einer geringen Wahlbeteiligung kommt.
Was braucht es also, um „gute“ Politik zu machen? Sind junge Politiker mit Ideologien und Ideen per se besser als die mit Erfahrung und Routine? Warum gibt es so wenige junge Politikerinnen und Politiker?
Der POTSDAMER sprach mit Potsdams jüngster Politikern, der Stadtverordneten Antonia Heigl (21, DIE aNDERE) über den Grund und die Ziele ihres politischen Engagements, denen sie seit der Kommunalwahl 2019 nachgeht.
Sehr geehrte Frau Heigl, Sie sind als Stadtverordnete in der Stadtpolitik tätig. Wann und warum haben Sie sich dafür entschieden, Politik zu machen?
Für Politik habe ich mich schon länger interessiert, nicht zuletzt durch meine Familie, die mich politisch geprägt und mir beigebracht hat, kritisch zu denken und offen für andere Meinungen zu bleiben. Auch in der Schule hat mir Politik viel Spaß gemacht. Im Endeffekt hat mich die aNDERE vor der letzten Kommunalwahl gefragt, ob ich mich nicht auch mal auf die Kandidatur-Liste für meinen Wahlkreis setzen möchte. Mit dem Gedanken, das einfach auszuprobieren, wurde ich auf Platz drei gewählt. Damit hatte ich nicht gerechnet, zumal ich auf Werbung für mich im Vorhinein verzichtet hatte. Mir wurde später von ein paar meiner Wähler*innen zurückgemeldet, dass sie mich aufgrund meines jungen Alters gewählt hatten, was mir noch einmal mehr gezeigt hat, dass junge Menschen in der Politik fehlen. Das hat mir auch den nötigen Anstoß und Mut gegeben, das Amt im dritten Jahr der Legislaturperiode anzunehmen.
Welche Dinge möchten Sie in Potsdam ändern?
Ich denke, in Potsdam gibt es einiges an Veränderungspotenzial. Bei klimapolitischen Fragen kann Potsdam noch einiges aufholen, und da bin ich gerne mit dabei.
Als Mitglied im Ausschuss für Klima, Umwelt und Mobilität ist mir schon öfter aufgefallen, dass zwar bei den meisten (Mitgliedern der SVV) der Wille da ist, sich für Klima und Umwelt einzusetzen, es dann aber an der richtigen Gestaltung und Umsetzung hakt. Z.B. der im Mai in der SVV beschlossene Antrag zur „Treibhausgasneutralität 2035“ ist meiner Meinung nach noch nicht abgeschlossen.
Erst wenn sichergestellt ist, dass der Antrag nicht nur ein Ziel bleibt, sondern auch Handlungen unter Empfehlung des Klimarats passieren, die realistisch zur Treibhausgasneutralität bis 2035 führen, hat der Antrag seine Wirkung gezeigt. Dafür müssen aber weiterhin Gespräche und Workshops zwischen Vertretern der Klimaforschung, Verwaltung und Ausschuss stattfinden. Ich versuche immer gerne, diese Gespräche am Leben zu erhalten und bin gespannt auf deren Ergebnisse.
Auch gegen Gentrifizierung und fehlende Freiräume setze ich mich gerne ein. Für das Bürgerbegehren zu einem möglichen Mietendeckel auf die Mieten der ProPotsdam habe ich Unterschriften mitgesammelt.
Ob der Mietendeckel nun das effektivste Mittel gegen mangelnden (sozial verträglichen) Wohnraum ist oder nicht, er hat mit seinen mehr als 17.000 Unterschriften gezeigt, dass die SVV deutlich an der jetzigen Wohnpolitik arbeiten muss und Verdrängung keine Option ist. Das trifft natürlich nicht nur auf Wohn-, sondern auch auf öffentlichen Freiraum zu. Potsdam muss eine (bezahlbare) Stadt für alle bleiben.
Warum haben Sie sich für Ihr politisches Engagement die „Partei“ DIE aNDERE ausgesucht?
Die politische Richtung der Wählergruppe „DIE aNDERE“ überschneidet sich am stärksten mit meiner Eigenen, weshalb sie für mich schon immer ganz vorne stand. Ein großer Vorzug gegenüber den anderen Fraktionen ist für mich sicherlich auch, dass „DIE aNDERE“ keine Partei ist. In einer Wählergruppe besteht für Interessierte mehr Freiraum aktiv zu werden, ohne gleich Mitglied zu sein. Gerade für Menschen wie mich, denen ausgeführte Politik manchmal etwas steif und fern von der Realität erscheint, kann eine Gruppierung wie „DIE aNDERE“ eine willkommene Möglichkeit sein, in der Politik aktiv zu werden. Ich erlebe „DIE aNDERE“ vor allem als Bürgerinitiative und dadurch realitätsnäher als die meisten Parteien.
DIE aNDERE versucht durch ein Rotationsprinzip möglichst viele ihrer Mitstreiter an dem politischen Geschehen zu beteiligen. Dadurch erhält jedoch jeder einzelne nur eine sehr kurze Wirkungszeit. Sehen Sie in dem Rotationsprinzip eher einen Vorteil oder einen Nachteil?
Auch das Rotationsprinzip war mir von Anfang an sympathisch. Ich denke, dass die Rotation einen besseren „Blick von außen“ ermöglicht. Man gewöhnt sich ja doch schnell an die Abläufe, was nach mehreren Jahren dazu führen kann, sich an Geschäftsordnungsanträgen oder eigenen Themen aufzuhalten. Das kann die Arbeit verlangsamen. Bei der aNDEREN versuchen wir das etwas zu durchbrechen. Wenn man nur ein Jahr Zeit hat, seinen Beitrag zur Stadtpolitik zu leisten, kann das mit mehr Energie passieren. Es ist außerdem demokratischer, als ganze fünf Jahre einen Sitz zu beanspruchen, da deutlich mehr Menschen zum Zug kommen. Und es ist natürlich viel flexibler, sich nur für ein Jahr festzulegen.
Trotzdem hatte ich auch Momente während meiner Amtszeit, in denen ich mir etwas mehr Zeit zum Kennenlernen der kommunalpolitischen Strukturen gewünscht hätte. Vielleicht werde ich ja aber noch einmal für einen Sitz in der SVV kandidieren, dann wäre das auch kein Problem mehr.
Für welche Themen steht Antonia Heigl in Potsdam?
Ich habe ja schon angerissen, wofür ich mich in Potsdam interessiere und einsetzen möchte.
Für klimapolitische Themen, die mich interessieren ist der Ausschuss für Klima, Umwelt und Mobilität, in dem ich Mitglied bin, natürlich der beste Ausgangspunkt, um Anträge mitzugestalten. Egal, ob Treibhausgasneutralität, Radverkehrssicherheit, Ausbau des Radverkehrs oder die Neubewässerung Potsdamer Moore.
Auch der Ausschuss für Partizipation, Transparenz und Digitalisierung (PTD) ist für mich, mit Schwerpunkt auf Partizipation und Beteiligung, wichtig. Demokratie ist ein hohes Gut und sollte sich nicht nur auf Wahlen beschränken. Dafür steht auch die Arbeit im PTD. Für eine Zeit war ich als Stadtverordnete außerdem im Redaktionsteam des Bürgerhaushaltes 2023/24 mit dabei.
Soziale Themen, wie günstiger Wohnraum, Freiräume für alle und die Gleichstellung aller Menschen im Gesundheitssystem haben bei mir einen hohen Stellenwert.
Wie ist Ihr Verhältnis zu anderen jüngeren Politikern?
Ich muss zugeben, dass die SVV nicht besonders viel Raum für Kontakte unter jungen Politikern lässt, schon allein dadurch, dass wir nicht sehr viele sind. Dennoch habe ich mit meiner Fraktion einen guten Draht zu der jungen Stadtverordneten der Partei „Die Partei“, da wir uns gelegentlich im Zuge unserer Fraktionssitzung miteinander absprechen.
Welche politischen Errungenschaften konnten Sie bereits für sich verbuchen – soweit das in der Opposition möglich ist?
Tatsächlich habe ich mit meiner Fraktion unseren Antrag, kostenfreie Periodenprodukte in öffentlichen Gebäuden Potsdams bereitzustellen, mit großer Stimmenmehrheit durchbringen können. Das Thema Periodenarmut und wie man ihr entgegenwirken kann, hatte schon lange davor einen Nerv bei mir getroffen, weshalb mir der Anstoß der Inklusionsinitiative Babelsberg besonders gut gefallen hat. Der Antrag hilft nicht nur Menschen in Periodenarmut, sondern enttabuisiert zudem die Menstruation. Mich freut außerdem zu sehen, dass der Großteil der SVV somit Periodenarmut als ein die Gesellschaft betreffendes, soziales Problem anerkennt.
Nach der Steuersenkung für Menstruationsartikel in Deutschland und der kostenlosen Bereitstellung derselben in ganz Schottland ist dieser Antrag eine große Errungenschaft für Potsdam, auf die ich sehr stolz bin.
Welche weiteren politischen Ziele haben Sie?
Bis jetzt habe ich noch keine weiteren politischen Ziele. Natürlich möchte ich gerne auch nach meiner Amtszeit aktiv bleiben. Ob ich aber wieder zurück in die SVV gehe oder etwas anderes ausprobiere, ist für mich noch offen.
Wie wichtig sind für Sie junge Menschen, die sich politisch engagieren? Haben wir genug oder brauchen wir mehr?
Ich denke, es ist enorm wichtig, dass wir mehr junge Menschen in die Politik holen, bisher sind wir noch viel zu wenig. Viele junge Leute engagieren sich ja schon in diversen NGOs und Gruppierungen, möchten aber nicht in die ausführende Politik, was ich gut nachvollziehen kann. Meistens ist Parlamentsarbeit doch sehr trocken – man bekommt oft das Gefühl, die Geschäftsordnung sei wichtiger als der Inhalt der Anträge – und die Fraktionen bestehen hauptsächlich aus älteren Menschen, meistens Männern. Ich als junge Frau fühle mich in diesem Kreis auch nicht immer wohl.
Um das zu ändern ist es aber gerade wichtig, mehr junge Leute in die Parlamente zu bringen. Zudem soll Politik repräsentieren, was sie nur richtig tun kann, wenn wir auf den Sitzen Menschen jedes Alters haben. Auch im Hinblick darauf, dass es die jungen Menschen sind, die Entscheidungen von heute, morgen tragen müssen.
Wir bedanken uns für das
interessante Gespräch.
Das Interview führte
Steve Schulz