Der Potsdamer im Gespräch mit dem alten und neuen Vorsitzenden des Wirtschaftsrats, Götz Friederich
Der Wirtschaftsrat setzt sich aus Potsdamer Unternehmen unterschiedlichster Branchen, Kammern, Verbänden und wissenschaftlichen Institutionen zusammen. Seit seiner Gründung 2015 greift er regelmäßig wirtschaftspolitische Fragestellungen auf, diskutiert sie kritisch und zugleich sachlich kompetent und gibt mit seinen Empfehlungen richtungsweisende Orientierung. Er bezieht zu wichtigen Themen Position, fördert die öffentliche Meinungsbildung und stößt damit wichtige Entwicklungen der Landeshauptstadt Potsdam an. Digitalisierung, Gewerbepolitik oder städtische Verkehrsinfrastruktur sind nur einige der Themenfelder, denen sich der Wirtschaftsrat intensiv widmet.
Der POTSDAMER sprach mit dem alten und neuen Vorsitzenden, Götz Friederich, über die wirtschaftlichen Herausforderungen der Stadt – nicht nur vor dem Corona-Hintergrund.
Wegen des Corona-bedingten Rückgangs an Steuereinnahmen ist die Stadtkasse leerer als sonst, auf der anderen Seite benötigen Unternehmen wegen Corona deutlich mehr Unterstützung. Was rät der Wirtschaftsrat der Stadt aktuell?
Friederich: Aktuell rät der Wirtschaftsrat der Stadt, nicht über die ohnehin bereits bestehenden Regelungen in das Kaufverhalten im Einzelhandel einzugreifen. Die Notwendigkeit, beim Besuch des Einzelhandels einen tagesaktuellen negativen Coronatest vorzeigen zu müssen, war weder für den Einzelhandel noch für die Kunden gewinnbringend. Weil Tankstellen, Bäcker und Supermärkte auch ohne Test besucht werden durften, hat das Verwaltungsgericht diese Regelung – auch wegen formaler Fehler – zu Recht gekippt.
In den vergangenen Jahren hat sich der Wirtschaftsrat unter anderem sehr stark für die Digitalisierung ausgesprochen und entsprechende Maßnahmen gefordert. Was hat die Stadt hier für die Wirtschaft erreicht? Wo besteht noch Nachholbedarf?
Friederich: Der Wirtschaftsrat fordert eine aktivere Digitalisierung in vielen Bereichen – das allerdings schon lange vor Corona. Am 25.04.2017 war das Thema des 2. Schinkelhallen-Talks „Potsdam digital!“. Damals wurde ähnlich dem Wirtschaftsrat ein Digitalisierungsrat gegründet. Leider ist diese Idee im Sande verlaufen. Die Digitalisierung der Verwaltung muss daher pro aktiver vorangetrieben werden. Dass die Verwaltung hier noch großen Nachholbedarf hat, hat sich nicht nur Ende 2019 gezeigt, als ein Computer-Virus die Verwaltung lahm legte. Dieser Vorfall zeigte, wie anfällig, unvorbereitet und ungeschützt die Verwaltung auf diesem Gebiet war und wohl auch noch ist.
Durch Corona ist es noch einmal deutlich geworden, wie unterentwickelt die Verwaltung im Bereich der digitalen Prozesse und Infrastrukturen ist. Trotz oder gerade wegen Corona muss die Verwaltung daher verstärkt in digitale Strukturen investieren. Ich denke, die Bewerbung Potsdams als Modelstadt „Smart City“ ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Mit den Modellprojekten „Smart Cities“ fördert das BMI gemeinsam mit der KfW einen strategischen Umgang mit den Möglichkeiten und Herausforderungen für die Stadtentwicklung durch Digitalisierung. Nötig wäre dieser Schritt aber auch in vielen anderen Bereichen. Das digitale Angebot der Verwaltung insgesamt hinkt dem anderer Städte weit hinterher. In Darmstadt gibt es zum Beispiel Ampelsysteme, die untereinander kommunizieren, um den Verkehrsfluss zu optimieren. So kann auch ein selbstlenkender Verkehr funktionieren. Dadurch ist Darmstadt zur staufreiesten Stadt in Deutschland geworden. Ideen gibt es viele, man muss sie nur übernehmen.
Um zu verstehen, warum sich Potsdam so weinig von anderen Städten abguckt, müssen wir uns eine Grundsatzfrage stellen: Existiert im Herzen der Verwaltung eine DNA, die nach Innovationen und Verbesserungen sucht? Es reicht nicht nur, Geräte anzuschaffen und ein paar Meter Glasfaserkabel zu verlegen. Wir müssen die Menschen mitnehmen, wenigstens alte Prozesse digital abbilden zu wollen. Digitalisierung darf nicht als Strafarbeit, sondern als Chance für Erleichterung wahrgenommen werden. Hier wünsche ich mir noch ein bisschen mehr Entwicklung in den Köpfen der Verantwortlichen.
[Mehr Infos zu dem Förderprojekt „Smart Cities“ erfahren Sie hier https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/12/smart-cities.html, Anm. d. Red.]
Der Wirtschaftsrat ist mit seinen Mitgliedern in Sachen Wirtschaftskompetenz hochgradig besetzt, das wird von allen Seiten bestätigt. Dennoch wünschen sich viele, dass das Gremium noch intensiver in politische und verwaltende Entscheidungen und Prozesse einbezogen wird. Wie sehen Sie das?
Friederich: Die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Fachbereich ist sehr gut. Die Kommunikationswege sind sehr kurz, weil der Leiter der Wirtschaftsförderung, Stefan Frerichs, kraft seines Amtes Mitglied des Wirtschaftsrats ist. Dennoch könnte der Wirtschaftsrat – so unpolitisch er auch sein muss – politische Entscheidungen mit seiner Expertise stärker begleiten. Hier sind allerdings auch die stadtpolitischen Gremien gefragt, diese Expertise abzuholen.
Als alter und neuer Vorsitzender des Wirtschaftsrates fordern Sie „eine Willkommenskultur für Unternehmen“, gleich ob Ansiedelung, Bestandserweiterung oder Neugründung. Hat sich in den letzten Jahren an dieser Forderung etwas geändert?
Da ist sicherlich noch viel Luft nach oben. Wenn Unternehmer und Unternehmerinnen vor unserer Tür stehen, müssen wir diese öffnen und fragen, was wir für sie tun dürfen. Diese Mentalität gilt es in der Verwaltung zu etablieren. Hierzu müssen auch die entsprechenden Fachbereiche miteinander interagieren, um die komplexen unternehmerischen Anforderungen besser erfüllen zu können. Diese Mentalität hat sich leider noch nicht ganz in der DNA der Verwaltung gefestigt. Aber auch in der Stadtpolitik gibt es immer wieder Energien zu beobachten, die sich gegen Investoren aussprechen bzw. Investitionen zu verhindern versuchen. Deshalb wünsche ich mir auf der politischen Ebene ein deutlicheres Verständnis dafür, dass wir Unternehmen brauchen, um gute Arbeitsplätze anzubieten und ein gutes soziales Klima zu entwickeln. Mit dem Mehr an Einnahmen von Gewerbesteuern können dann auch wieder Angebote der Kultur und des Sports weitergehend gefördert werden.
Als Vorsitzender des Wirtschaftsrates bin ich überparteilich unterwegs und tausche mich regelmäßig mit der HWK, IHK u.a. aus. Dabei wird immer wieder deutlich, wie überverwaltet wir sind. Unternehmer müssen oft eine regelrechte Odyssee zwischen zuständigen Ämtern hinter sich bringen, um so arbeiten zu können, wie sie es möchten. Wir brauchen vor allem für Unternehmen weniger Bürokratie und eine effizientere Verwaltung.
Eine Infrastruktur für kleine und mittelständische Unternehmen ist noch nicht ausreichend vorhanden. Ich bin froh, dass wir mittlerweile einen Beigeordneten haben, der sich auch um das Thema Wirtschaft kümmert. Das ist ein wichtiges Zeichen dafür, dass die Stadt das Thema ernst nimmt. Herr Rubelt muss sich unter anderem um eine stringente Gewerbeflächenentwicklung kümmern. Dabei geht es u.a. um die Frage, wie und wo wir gut erschlossene Ansiedlungsstandorte in Potsdam schaffen möchten. Das heißt aber auch, dass wir uns über die Wirtschaftsverkehre und die der Mitarbeitenden, Zulieferer und Kunden Gedanken machen müssen.
Will Potsdam als Stadt für Unternehmen attraktiv sein, muss sie auch andere Fragen beantworten: Wie geht sie mit den Pendlern um? Wie wird der ÖPNV ausgebaut? Wie werden Verkehrsströme gelenkt? Wo finden die Mitarbeitenden Wohnraum, Kitas und Schulen für ihre Kinder. Die Frage nach der Wirtschaftsförderung ist also eine sehr komplexe, die interdisziplinär gedacht, entwickelt und gesteuert werden muss.
Das Thema Wirtschaft ist ja kein rein kommunalpolitisches, sondern auch eines, das die Landesregierung in erheblicher Weise mitverantwortet. Ist Ihnen das Landesministerium im Bereich der Wirtschaftsförderung aktiv und kreativ genug?
Die Wirtschafsförderung des Landesministeriums ist gut aufgestellt, und das Ministerium für Infrastruktur hat wichtige Digitalisierungskonzepte auf den Weg gebracht. Das Entscheidende für die wirtschaftliche Entwicklung der Region ist meines Erachtens, dass sich Potsdam noch mehr mit anderen Städten, Gemeinden und Kommunen austauschen muss. Wir haben alle die gleichen Probleme: Wohnungsmangel, Verkehrsinfrastruktur, fehlende Investoren. Aus diesem Grund müssen wir diese auch gemeinsamer lösen als bisher. Hier ist Kommunikation gefragt. Als Wirtschaftsrat sehen wir daher die Notwendigkeit den Wirtschaftsraum nicht auf die Landeshauptstadt zu begrenzen, sondern weiter zu denken und die umliegenden Regionen einzubeziehen. Hier könnte man institutionalisierter gemeinsame Entwicklungen anstoßen und kooperativer umsetzen. Bis hin zur Vermarktung einer gemeinsamen Wirtschaftsregion, ähnlich dem Kooperationsprojekt „Mehr Zukunft“, bei dem Potsdam und Potsdam-Mittelmark die Region als „Life Science-Standort“ präsentieren. Wenn man Wirtschaft branchenübergreifender und komplexer denkt und anlegt, wird das Thema Wirtschaft auch nachhaltig ein erfolgreiches für Potsdam sein.
[Mehr Infos zu dem Projekt „Mehr Zukunft“ erfahren Sie hier: https://mehr-zukunft.info/, Anm. d. Red.]
Das Gespräch führte Steve Schulz