Interview mit Jakob Falk, dem neuen Pfarrer des Pfarrsprengels Fahrlands (Fahrland, Neu Fahrland,
Kartzow, Satzkorn, Paaren und Falkenrehde)

Herr Pfarrer, Sie sind jetzt seit zwei Monaten neuer Pfarrer im Pfarrsprengel Fahrland. Wie kam es denn dazu?

Ich bin hier seit dem 01. Januar 2020 im Entsendungsdienst. Der Entsendungsdienst ist grundsätzlich ein Dienst, den man sich nicht aussuchen kann. Das ist die erste Stufe von Pfarrerinnen und Pfarrern nach dem zweiten Examen, nach Abschluss des Vikariates. Jedes Jahr läuft es ein bisschen anders ab. In diesem Jahr mussten möglichst viele Leute aufs Land, weil die Städte gut besetzt waren, die ländlichen Regionen nicht so. In der schlesischen Oberlausitz gibt es landstrichweise keine Pfarrer mehr sind.
Dass wir jetzt hier sind, meine Verlobte und ich, hängt vor allem damit zusammen, dass ich sie pflege. Und die Stelle hier in Fahrland ist nicht so weit weg von ihrer Familie, so dass wir ein bisschen Unterstützung haben. Und so hat uns diese Stelle hier am ehesten helfen können. Das Konsistorium hat diesen Wunsch auch gehört. Das war der Hauptgrund, um nach Fahrland zu kommen. Dass insbesondere ich gern aufs Land wollte, stand schon lange fest.

Warum?

Ich bin auf dem Land groß geworden, in Lehnin und Berkenbrück bei Luckenwalde und bin zum Studium nach Berlin gegangen. Aber ich habe immer davon geträumt, irgendwann wieder aufs Land zurückzukehren.

Fahrland ist da ja eine gute Kombination aus beidem.

Total verrückt: Es sind nur 12 Kilometer und dann ist man wieder im Stadtgebiet. Aber wenn man hier draußen ist, dann hat man trotzdem den Eindruck, wir sind auf dem Land. Feuerwehr gleich gegenüber – so wie man sich das vorstellt auf dem Dorf.

Sie kommen aus Berlin?

Aus der Paul-Gerhard Gemeinde Lichtenberg. Die ist ziemlich groß und umfasst Friedrichsfelde, Karlshorst und Rummelsburg. Im Vergleich zu der Gemeinde hier ein ganz großer Unterschied.
Da sind knappe 10.000 Gemeindemitglieder und drei volle Pfarrstellen plus Vikar, plus Ruhestandspfarrer, plus Diakon. Eine ganz andere Aufstellung als hier. Hier haben wir zum Konfirmandenunterricht im Moment knapp 10 Jugendliche. Was für hier eine sehr gute Zahl ist. In Lichtenberg hatten wir über 50 Konfis. Da mussten wir an mindestens zwei Tagen in der Woche Unterricht anbieten. Das war alles ganz anders. Zum Beispiel, was das Büro angeht. Wir haben hier eine Bürokraft eingestellt, für einen Tag in der Woche. Und dort hatte man eine dauerhafte Kraft, die jeden Tag in der Woche da war und einem auch ganz viel Verwaltungsarbeit abgenommen hat, die hier eher noch auf der Schulter des Pfarrers liegt. Hier in Fahrland, ohne Kollegen, ist es schon eine ganz andere Herausforderung, doch mit der Unterstützung des Gemeindekirchenrats – der eine sehr wichtige Einrichtung ist – bin ich nicht alleine.

Also eine Pfarrerstelle wie im Bilderbuch? Nur, dass es hier statt einer gleich fünf Gemeinden gibt?

Eigentlich sind es sogar sechs Gemeinden. Wir haben ja noch Neu Fahrland. Neu Fahrland hat keine Kirche, aber ein Krankenhaus, die Heinrich-Heine-Klinik. Da findet alle zwei Wochen ein Gottesdienst statt.

Wie war Ihr erster Eindruck als Sie hierher kamen?

Zum einen ist ja die Stelle hier schon seit ein paar Monaten vakant gewesen. Das heißt, der Vorgängerpfarrer ist im September letzten Jahres gegangen. Die Gemeinde brauchte nun dringlich jemand Neuen. Und als ich zum ersten Mal hier war, da fielen mir gleich alle um den Hals. „Der neue Pfarrer! Und auch noch so ein junger!“ Ich war ein bisschen überrascht. Und mir wurde dann erst klar: Der Ruhestandspfarrer, Pfarrer Beneke, hatte das für einige Monate notdürftig übernommen. Aber die Gemeinde brauchte trotzdem wieder eine feste Person. Und die Sehnsucht nach dieser Person, die wurde mir gleich im ersten Moment deutlich. Mir ist es erst nach und nach klar geworden, dass viele Aufgaben in der Zwischenzeit liegengeblieben sind und Stück für Stück wieder aufgearbeitet werden müssen.
Ich war angetan vom Pfarrhaus, ein altes Pfarrhaus aus dem 19. Jahrhundert. Ein geschichtsträchtiger Ort. Gleichzeitig war auch klar, dass ich nur hierher ziehen konnte – und das war ja der ausdrückliche Wunsch der Gemeinden –, wenn das Haus umgebaut würde. Denn meine Verlobte benötigt eine barrierefreie Wohnung. Das bedeutete für die Gemeinden hier im Pfarrsprengel einen enormen Kraftakt. Sie mussten in kürzester Zeit diverse Baumaßnahmen durchführen.
Im Grunde genommen hatten sie nur Zeit zwischen Ende Oktober bis Dezember. Und wenn wir nicht einen Mann gehabt hätten, der seit vielen Jahren als Bauleiter gearbeitet und der sich hier richtig reingekniet hat, um diese Dinge möglichst schnell voranzubringen, dann könnten wir hier noch nicht wohnen.

Wer war der Bauleiter?

Das war Dietmar Schmidt, hier aus der Gemeinde. Das war wirklich allerhand von der fachlichen Seite her, aber auch was die Schnelligkeit der Aufträge anging.

Als neuer Pfarrer, was ist Ihnen am Gemeindeleben besonders wichtig?

Wo fange ich an? Sehen Sie, mir ist ziemlich schnell klar geworden: Es gibt an allen Stellen, die ich hier so entdecke und auf die ich gestoßen werde, die Möglichkeit, etwas zu tun. Ich war vor kurzem bei der Ordinatenrüste. Das ist eine Art Dienstreise zur Vorbereitung meiner Ordination, meiner Amtseinführung. Und da wurde viel diskutiert. Wie geht man mit verschiedenen Arbeiten und Aufgabenfeldern in der Gemeinde erst mal um?
Lässt man alles, wie es ist? Verändert man gleich Dinge? Führt man neue Dinge ein? Mir war klar, man kann nur einen Mittelweg gehen. Viele haben noch davor gewarnt, zu viel neu zu machen. Aber in manchen Bereichen ist mir das einfach wichtig. Und ich rede in den ersten Wochen ziemlich viel vom Gottesdienst, zum Beispiel. Mein Gottesdienstverständnis ist nicht so, dass der Pfarrer da vorn so eine „One-Man-Show“ abzieht und die Gemeinde sitzt hinten und konsumiert das mal mehr, mal weniger aufmerksam und geht dann wieder nach Hause.
Wenn es nach mir geht, soll es möglichst viel Beteiligung geben. Zum Beispiel so etwas wie den Lektorendienst. Das heißt, wer übernimmt im Gottesdienst auch Lesungen aus den Evangelien et cetera? Das ist bei manchen Gemeinden hier schon bekannt. Da machen das auch Ehrenamtliche. An anderen Standorten macht das niemand und sie sind es nicht gewohnt.
Es gibt ja viele Diskussionen darüber, wie die Kirche sich gibt und wie sie auch in der Zukunft sein sollte. Es gibt einen Unterschied zwischen einer Versorgungskirche und einer Beteiligungskirche. Eine Versorgungskirche ist eine, die die Punkte, bei denen Kirche heute noch relevant ist, erfüllt. Wo ist Kirche relevant? Bei den Amtshandlungen. Vor allem bei bestimmten Lebensübergängen: Taufe, Konfirmation, Hochzeit und Beerdigung.
Nicht wenige Leute sind in der Kirche, damit sie später ein kirchliches Begräbnis haben. Ich will das nicht abschätzig bewerten, weil ich der Meinung bin, dann liegt ihnen ja noch etwas an der Kirche und am Glauben. Wenn das nicht wichtig wäre, würden sie eher austreten.
Und trotzdem: wenn mein Amt nur darin besteht, von Amtshandlungen zu Amtshandlungen zu gehen, damit das alles erfüllt wird, was sie erwarten, also die Feste des Lebens stattfinden, dann funktioniert da etwas nicht mehr. So stelle ich mir Kirche jedenfalls nicht vor.
Was die Zukunft der Kirche angeht: mit weniger Personal, mit weniger Mitteln – da muss eine Gemeinde im Grunde genommen fast auch ohne Pfarrer funktionieren können. Ich will nicht, dass eine Gemeinde ohne Pfarrer ist. Ich möchte sie gern anleiten und ihr helfen. Und ich möchte sie in erster Linie beteiligen.

Dadurch wird es ja auch lebendig.

Ich habe zum Beispiel vor, zwei Gruppen, die in der letzten Zeit ein bisschen zu kurz gekommen sind, wiederzubeleben. Die Junge Gemeinde und der Männerkreis. Ich bin ganz ehrlich, ich verstehe nicht, warum Frauen- und Männerkreise hier getrennt sind. Das muss man vielleicht nicht gleich klären oder auflösen. Aber Fakt ist, der Männerkreis hat in letzter Zeit nicht mehr stattgefunden. Den würde ich gern wieder einberufen wollen. Ansonsten habe ich den Eindruck, die Männer kommen außerhalb von Gottesdienst und Gemeindekirchenratssitzungen gar nicht so richtig vor. Jedenfalls nicht in den Gruppen, die hier so innerhalb der Woche präsent sind.
Eine dritte Sache, die ich beleben möchte – was mich schon in meiner Vikariatszeit sehr beschäftigt hat – ist eine Arbeitsgruppe zum Thema Pogromgedenken. Also eine Gedenk-Arbeitsgruppe.

Was ist die Idee dahinter?

Das ist ein Thema, was mir schon sehr lange wichtig ist. Ich bin so groß geworden. Ich bin schon als Kind bei Pogrom-Gedenkveranstaltungen gewesen, zum 9. November. Und ja, ich sehe die Verantwortung, die wir in diesem Land, in Deutschland haben, in allen Bereichen der Gesellschaft. Und das heißt die dringlich notwendige Erinnerungsarbeit und Gedenkarbeit. Die kann nicht nur bei der Politik liegen und irgendwelchen offiziellen Anlässen des Bundestages oder ähnlichen, sondern es muss insbesondere in der Zivilgesellschaft stattfinden.
Und ich sehe die Kirche unbedingt als einen Teil der Zivilgesellschaft und insofern auch mit einem bestimmten politischen Auftrag. Vielleicht nicht im Sinne eines parteipolitischen Verständnisses. Aber schon in einer Verantwortung für die Gesellschaft, in der wir jetzt leben und in Bezug auf das Erbe, das wir tragen. Und insofern ist mir das total wichtig. Wir haben es in Berlin-Lichtenberg geschafft, zwei Jahre lang während meines Vikariats tolle Veranstaltungen zu haben. Jetzt ist die letzte Möglichkeit Zeitzeugen zu befragen.
Der letzte, den wir hatten, war Jahrgang 1928, Horst Selbiger heißt er. Der war damals zum Pogromgedenken zehn Jahre alt. Menschen, die damals zehn Jahre alt waren, die gibt es kaum noch. Und dass sie auch noch wache Erinnerungen daran haben und das Glück, dass sie die Shoah überlebt haben. Das ist ein seltener Fall! Insofern ist es mir wichtig, das zu machen. Und gerade an der Schwelle zu einer Zeit, in der wir keine primären Zeitzeugen mehr haben, das Ganze weiterlaufen zu lassen und dafür einzustehen, dass man diese Erinnerung hochhält, ist mir ein total wichtiges Anliegen. Es ist uns gelungen, auch in Lichtenberg nicht nur diese Gruppe aus Gemeindemitgliedern zu haben, sondern auch nichtkirchliche Leute, die im Bezirk politisch aktiv waren, und sie mit einzubinden in unsere Arbeit.
Ich bin der Meinung, hier sind wir alle dringlich darauf angewiesen, dass wir alle zusammenarbeiten. Das Thema betrifft uns alle. Wir Christen haben noch mal einen ganz anderen Zugang und eine ganz andere Begründung, weshalb wir so etwas machen. Gerade das Verhältnis zu den Juden ist für uns Christen historisch gesehen ein ganz wichtiges Thema. Also die Art und Weise, wie sich Christen gegenüber Juden seit fast 2000 Jahren verhalten.
Der Antisemitismus ist keine Erfindung der Hitlerzeit, sondern das hat seine Wurzeln. Und wir sind gewissermaßen dem ersten Volk Gottes auch einiges schuldig – an Dingen, die wir ihm angetan haben. Insofern sind das andere Aspekte, wie Schuld und Sühne, die man einfach aus christlicher Sicht mit reinbringen kann. Der Auftrag in der Gesellschaft betrifft uns alle! In Berlin haben auch Leute mitgemacht, die in Stolperstein-Initiativen aktiv waren. Das haben wir hier nicht so, aber in der Stadt spielte das schon eine große Rolle. Dann kommt auch eine gewisse Vernetzung zustande.
Wir haben von dem Input auch sehr profitiert. Beispielsweise bei unserer ersten Veranstaltung zum Pogromgedenken, hatten wir eine Lesung von Jugendlichen, die Namen und kurze biografische Notizen vorgelesen haben, zu Jüdinnen und Juden aus unserem Gemeindebereich. Das hatte etwas sehr Bedrückendes, aber auch gleichzeitig etwas Kraftvolles. Wie diese jungen Menschen das ausgesprochen haben. Aber an solche Daten und Fakten wären wir natürlich ohne unsere Kontakte gar nicht gekommen. Das war toll. Mal sehen, wie es hier möglich wird. Und mal schauen, wer da kommt, wer da mitmacht.

Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie in unsere Aprilausgabe.
Das Interview führte Susanna Krüger.