Ein Streifzug durch die Geschichte – 1. Teil

Ein Tag Anfang Juli. Tagsüber war es trübe, grau, der Wind wehte mit Windstärke 6. Gegen Abend beschlossen wir, einen Spaziergang zu machen. Der Wind war zum Lüftchen geworden, die Sonne schien durch die alten Bäume und malte helle Lichtflecken auf dem Boden. Wir liefen auf den sandigen Wegen und gingen an Kanälen entlang. Blühende Blumen überall. Es war wunderschön. Im Hintergrund schimmerte ein altes Gebäude durch die Bäume. Kein Zweifel, wir bewegten uns in einer Kulturlandschaft! Sanssouci, Neuer Garten oder…?
Nein, wir waren in Satzkorn unterwegs, haben einen Rundgang um unser Dorf gemacht. Die Kanäle dienen der Melioration, die blühenden Blumen sind der blaue Natternkopf, roter Klee und gelbes Leinkraut. Die alten Bäume sind Eichen, Buchen, Weiden oder Obstbäume, an denen bereits grüne Äpfelchen hängen. Wiesen und Felder umgeben uns. Und das alte Gebäude ist unser Gutshaus, das 2019 endlich an Besitzer gekommen ist, die das Gutshaus mit feinem Sinn für Historizität sanieren. In unserem kleinen Ort hat die Geschichte viele Spuren hinterlassen! Aber Satzkorn – eine Kulturlandschaft?

Foto: sk

„Kulturlandschaft“ – ein Blick zurück und nach vorn

Wir Bewohner des Potsdamer Raumes, inmitten einer „Kulturlandschaft“ verstehen sofort, was damit gemeint ist: die zahlreichen, wunderschönen Park- und Schlossanlagen und ihre weitere Ausdehnung in die Flur und dazu die prachtvollen Gebäude. Landschaft und Kultur – Baukultur – sind in und um Berlin und Potsdam ein inniges Bündnis eingegangen und haben etwas Einmaliges hervorgebracht.
Aber der Begriff meint weit mehr als nur die „verschönerte“ Natur. Er umfasst auch die von Menschen bewirtschaftete Landschaft, d. h. die, die durch die notwendige Bearbeitung im Ablauf der Jahreszeiten wie Aussaat, Ernte, Be- oder Entwässerung, Weidewirtschaft und Waldpflege gekennzeichnet ist. Damit eng verbunden ist das Dorf als Siedlungsraum.
Alexander von Humboldt hatte als Weltreisender viele Landschaften zu beschreiben und musste sich mit ihrer Definition auseinandersetzen. Er verband die fest gefügte Landschaft mit der lebendigen und bewegten Welt. Ihr Gesamteindruck entstand für ihn durch die Verbindung von Erde, Bergen und Gebirgen mit dem Raum ringsum, dem Himmel, den Wolken und den Tieren. Entscheidend für den Eindruck war für ihn jedoch die Flora, die Pflanzenwelt. 1852 bezeichnete der Lehrstuhlinhaber an der Berliner Universität, Zeitgenosse Humboldts und Mitbegründer der wissenschaftlichen Geografie, Carl Ritter, Kulturlandschaft als Ergebnis der Interaktion des Menschen mit seiner natürlichen Umgebung.
Heute wird der räumliche Begriff Kulturlandschaft in eine vierte Dimension, die der Geschichtlichkeit, gehoben. Er wird definiert als Ergebnis und Erscheinungsbild langer, teils jahrhundertealter Prozesse der Bearbeitung und Umwandlung durch den Menschen. Sie bekommt eine zusätzliche Bedeutung für die Ausbildung von Traditionen, Zugehörigkeitsgefühl, Eigenheiten und Praktiken der in ihr lebenden Menschen. Sind Strukturen aus der Vergangenheit noch sichtbar, zeigen sich dabei wie an Gebäuden und anderen Bauwerken, kann die Kulturlandschaft zum schützenswerten Denkmal werden.

Unser sehr alter Lebensraum

Vor ungefähr 1 Million Jahren war das Havelland mit einer ca. 2.000 m dicken Eisdecke überzogen, die sich in unregelmäßigen Abständen von kalten und warmen Perioden vorschob und wieder zurückwich. Die Bewegung des Eises und seine Schmelzwasser erzeugten eine starke topografische Zergliederung mit breiten Abflussrinnen und großen Ablagerungsebenen. Es entstanden trockene, hochwassersichere, höher gelegene Ebenen und tiefere Feuchtgebiete.
Diese Ebenen, sogenannte Platten, wurden im gesamten Havelland zu Siedlungsgebieten. Auf einer dieser Ebenen, der Nauener Platte, liegt Satzkorn. Die Besiedlung und ihre weitere Ausdehnung folgte hier, wie überall im Havelland, den geografischen Gegebenheiten und schuf für Satzkorn letztendlich das heutige Gemarkungsbild.
Im Osten bildet der Satzkornsche Graben die natürliche Grenze. Die Gemarkungen Fahrland im Osten, Marquardt und Paaren im Westen und Kartzow im Nordosten umspannen unser Dorf.
Unser kleiner Ort wird mit 17 Denkmälern in der Liste der Bodendenkmäler Brandenburgs geführt. Allein sechs stammen aus dem Neolithikum, der Jungsteinzeit, in der die Jäger und Sammler begannen, an festen Plätzen zu siedeln, Pflanzen anzubauen und Vorratswirtschaft zu betreiben. Der Fund in der Ringstraße von Satzkorn mit Bandkeramikscherben, sowie Überbleibseln von Wohn-, Feuer- und Gräberstellen, zusammen mit Brennöfen und anderen Stücken aus dem 6. Jahrtausend vor unserer Zeit macht Satzkorn zu einem der ältesten Siedlungsplätze in Brandenburg. 2020-2021 bestätigte eine Grabung der Archäologin Heike Kennecke im Neuen Dorf von Satzkorn mit Funden aus dem 3. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung die weit zurückliegende Besiedlung unseres Dorfes. Aufgrund der Seltenheit des Fundes der „Britzer Kultur“, des sehr guten Erhaltungszustands der Hausgrundrisse und der zahlreichen und vielfältigen Einzelfunde, handelt es sich dabei um einen Fundplatz von europaweit wissenschaftlicher Bedeutung.

Ausgrabung einer „Sommerküche“ im Lilienweg 2020

Ausgrabung einer „Sommerküche“ im Lilienweg 2020
Foto: Heike Kennecke

Der „Wüste Grabow“ nördlich von Satzkorn und heute westlich der Autobahn gelegen, ist ebenfalls die Fundstelle einer menschlichen Rast- oder Wohnstätte aus verschiedenen Epochen, beginnend im Neolithikum. Am ehemaligen Ufer des Wublitzsees wird der Ursprung des Dorfes Satzkorn vermutet. Auswirkungen des menschlichen Einflusses auf die Landschaft gab es kaum, auch weil die Zahl der Menschen gering war.
Klimaschwankungen um 1200 v. u. Z. in Form einer mit Unterbrechungen ca. 200 Jahre währenden Warmperiode führten zu verstärktem Bevölkerungszuwachs in der Bronzezeit. Auch aus dieser Zeit sowie der Eisenzeit und der römischen Kaiserzeit gibt es archäologische Funde, die die Kontinuität des menschlichen Interesses an der guten geografischen Lage um Satzkorn zum Leben und Siedeln belegen.
Von der anschließenden Völkerwanderungszeit und der folgenden Durchmischung von durchziehenden Menschen und Völkern gibt es bis jetzt keine Belege. Erst um 800 begannen slawische Stämme dauerhaft die Region zu besiedeln. Auch für Satzkorn ist seitdem eine kontinuierliche Besiedlung nachweisbar. Das belegen auch die vier Bodendenkmäler aus dem 8. bis 11. Jahrhundert. Unter anderem wurden Hacksilber und ein Amulettbehälter aus Silber im Dorf gefunden und der slawischen Besiedlungszeit zugeordnet. Aussagen zum Zustand der Landschaft in dieser Zeit können über Archäologie und Pollenanalysen gewonnen werden..
Der Erhalt dieser archäologischen Fundstätten ist sehr wichtig für unsere Geschichte, weil es aus dieser Zeit kaum schriftliche Aufzeichnungen gibt. Einzig die erhaltenen Erdfunde geben uns Auskunft über die längst vergangenen Zeiten.

Land(wirt)schaft im Wandel – Mittelalter

Dem Mittelalter vorausgegangen waren in unserer Region Jahrhunderte der Auseinandersetzungen der Markgrafen mit den slawischen Hevellern – dem Stamm, der in etwa das heutige Havelland besiedelte. Die Burgherren waren mal deutscher und mal slawischer Herkunft und wechselten häufig. Schließlich fiel im Jahr 1150 durch den Tod des letzten Hevellerfürsten das Land endgültig an den Markgrafen Albrecht I. Im Anschluss teilten sich nacheinander Askanier, Wittelsbacher und Luxemburger in die Landesherrschaft. Für die Erhöhung der Bevölkerungszahl und die Reaktivierung verlassener Höfe, letztlich für den Landesausbau, setzte man auf Zuzug aus dem Rheinischen, Belgien und den Niederlanden. Die neuen Bewohner übernahmen vorwiegend die alten Siedlungsplätze der slawischen Bewohner. Es entstand eine Kontinuität des besiedelten Raumes, die im 8. Jahrhundert begann und zum Teil bis in die Neuzeit anhält und in der Landschaft ablesbar ist.
Ein erster planmäßiger Ausbau der Siedlungen ist nun zu verzeichnen. Zu den Gemarkungen gehörten Wiesen und Ackerflächen, die für den Feldbau und die Viehwirtschaft genutzt wurden, Gewässer und ausgedehnte Waldgebiete. Die Gewässer dienten dem Fischfang und wurden bereits als Transport- und Handelswege genutzt. Schon seit dem 10. Jahrhundert ist Obstanbau nachweisbar. Adlige wurden zu Rittern, d. h. sie mussten dem Landesherren Treue und Dienstbarkeit beeiden und bekamen dafür das Land mit diversen Privilegien z. B. die Gerichtsbarkeit über ihre Untertanen. Daneben gab es Bauern, die das Land bestellten und Abgaben zu entrichten hatten.

Im Mittelalter wurden erste sichtbare Veränderungen in der Landwirtschaft geschaffen: Wölbacker und Dreifelderwirtschaft mit Flurzwang. Das Ergebnis der damaligen Form der Bodenbearbeitung, der Wölbacker, ist noch auf der Karte von 1847 von Satzkorn an den ausgefransten Wiesenrändern zwischen Ackerland und Wiesen zu erkennen. Durch die Dreifelderwirtschaft konnten Ackerbau und Viehwirtschaft gleichzeitig betrieben werden. In dreijährigem Wechsel wurden entweder Winterkorn oder Sommergetreide angebaut. Im dritten Jahr wurde der brachliegende Acker als Viehweide genutzt. Der Flurzwang regelte Anbau, Bestellung und Ernte für jedes Mitglied der Gemarkung. Das Ackerland wurde nach den geografischen Bedingungen in unterschiedliche Flurformen aufgeteilt. In Satzkorn gab es Hufenstreifen oder Streifenparzellen, die in west-östlicher Richtung innerhalb der Feldmarkgrenzen verliefen.
Die für unsere Region recht häufige Straßen- oder Geländebezeichnung „Upstall“ befindet sich in Satzkorn am südlichen Ortsausgang auf den Wiesen in Richtung Fahrland. Das Wort „Upstall“ kommt aus dem Niederländischen und ist die Bezeichnung für eine von allen genutzte Gemeindeweide. Auch das kommt aus einer Tradition des Mittelalters: der Allmende, einer durch Absprachen festgelegten Form der gemeinschaftlichen Nutzung von Wiesen, Weiden, Wald und Gewässern.

Satzkorns Upstallwiesen und Wölbäcker – an den den Felderrändern erkennbar,

Satzkorns Upstallwiesen und Wölbäcker – an den den Felderrändern erkennbar,
Quelle: Ausschnitt aus der „II. Reinkarte von der im Osthavelländischen Kreise gelegenen Feldmark Satzkorn“, 1847, BLHA)

Die Zeit der ersten schriftlichen Zeugnisse von Satzkorn

Wir springen in das 14. Jahrhundert und befinden uns im Hochmittelalter. 1332 wird Satzkorn in einer Urkunde im Zusammenhang mit einem „Bethkinus de Zackorn“ zum ersten Mal schriftlich erwähnt. Von 1375 bis 1376 wurden für den Kaiser Karl IV. die markgräflichen Besitzstände im „Landbuch der Mark Brandenburg“ erfasst und Satzkorn erschien als Sotzker, Sazkorn und Satzkorne.
Satzkorn hatte 32 Hufen Land. Unter einem Hufen hatte man die Größe des Ackerlandes zu verstehen, die mit einem Pflug bestellt werden und eine Familie ernähren konnte. Da Erträge sehr stark von der Bodenqualität abhingen, war die Hufengröße kein einheitliches Maß und sagte nicht allzu viel über die tatsächliche Größe des Ackers aus. Von den 32 Satzkorner Hufen gehörte ein Hufen dem Pfarrer, die restlichen 31 verteilten sich fast gleichmäßig auf sechs Ritter. Ritter deshalb, weil auch ihr Landbesitz kaiserliches Lehen war. Bereits damals wurden neben anderen Fritz und Hermann von Bardeleben (Bardeleve) erwähnt, deren Nachkommen bis 1753 in Satzkorn ansässig waren. Auch einen Hennich Sazkorn gab es als Gutsbesitzer. Acht Tagelöhner wohnten in Satzkorn. Bauern wurden nicht aufgeführt. Zu dieser Zeit existierte bereits das Anger- und Sackgassendorf Satzkorn, dessen Struktur noch heute prägend ist.
Um 1450 gab es nur noch fünf Rittergüter, denn die von Bardeleben hatten ihren Hufenbestand verdoppelt. Bereits in dieser Zeit war ein Cuno von Hünicke (Kune Hünicke), dessen Familie über mehr als 300 Jahre in Satzkorn eine wichtige Rolle gespielt hat, Gutsbesitzer. Danach gab es bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts sehr häufige Besitzerwechsel. Konkrete Besitzverhältnisse sind über die Zeit nur schwer nachzuvollziehen.

Nicht belegt, aber unter Umständen auch ein Grund dafür, waren die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges von 1618 bis 1648. Es wird geschätzt, dass Brandenburg in dieser Zeit fast 50% seiner Bevölkerung verloren hatte. Während des Krieges und in den Jahren danach herrschten Hunger und große Not. Die Landwirtschaft lag darnieder, denn zahlreiche Hofstellen waren wüst gefallen. Die Felder wurden nicht mehr bestellt. Zur (Wieder)herstellung der notwendigen Produktivität wurden fast die folgenden 100 Jahre benötigt.

Friedrich Wilhelm I. wurde 1713 als zweiter König von Preußen gekrönt. Den König und Satzkorn verbindet eine besondere Geschichte. Dazu mehr in der Oktoberausgabe des POTSDAMERs.

Renate Mohr

Im Werkstattverfahren des Satzkorner Dorfdialogs 2022/23 stellte sich heraus, wie wichtig den Satzkorner Bürgern das Thema Dorf und Landschaft ist. Aus dem Dorfdialog bildete sich die AG Satzkorner Ortschronisten des Dorf- und Kulturvereins „Satzkorn Miteinander“ e.V. Ein erstes Ergebnis ihrer Forschungsarbeit ist dieser Text, der als Serie im Herbst/Winter 2023 im POTSDAMER erscheint.