Deutscher Vizemeister im Kanurennsport, Jonas Böttinger, im Portrait, Teil 2
Olympiastützpunkt Potsdam an der Havel, ein Freitagmorgen mit der Aussicht auf 36 Grad Celsius. Es fühlt sich an wie auf einer mediterranen Insel nahe des Mittelmeers. Auf dem Campus der Sportschule schreiten die Schüler in kleinen Gruppen über das Gelände, fast still und mit ausgeglichener Bewegung, selbstbewußt und kraftvoll zu ihren Klassen. Im Gegensatz zu innerstädtischen Gymnasien wirkt dieser Ort wie ein Feriencamp, denn die Schülerinnen und Schüler tragen vorwiegend Shorts, dazu Turnschuhe oder Flipflops und es ist nicht zu übersehen, dass kaum jemand sein Gesicht einem Smartphone zuwendet. Dieser Ort erzeugt in der Hektik der Stadt einen magischen und beruhigenden Eindruck.
Vor dem Hauptgebäude treffe ich den Papa von Jonas Böttinger, wenig später seine Trainerin, Katrin Wagner-Augustin – die ehemalige 4-fache Olympiasiegerin, 10-fache Weltmeisterin, 13-fache Europameisterin und 49-fache Deutsche Meisterin im Kanurennsport. Auf dem Fahrrad kommt sie um die Kurve gerast, stehend in den Pedalen, Shorts und Birkenstocksandalen, Sonnenbrille und auf dem Gepäckträger einen Kindersitz. “Warum steht ihr eigentlich hier rum?” ist ihre Begrüßung, bevor sie ihr Fahhrad wegstellt und erklärt, dass sie “ihre Große” noch zuvor durch den Wald fuhr und sie deswegen ein wenig außer Puste sei.
Die insgesamt 56-fache Sport-Siegerin ist aus der Puste – ja klar – glauben kann ich das nicht wirklich. Ein Schwall an Energie und guter Laune mit Tatendrang sprüht sie ungefragt jedem entgegen, der sie anspricht, meist Schüler. Dabei ist nicht zu Überhören, dass sie verantwortungsbewusst Hinweise zur Genesung und Ruhepausen ausspricht, als auch eine Gratulation zu einer Vermählung, um dann wieder in die Konversation über Vereinsneuigkeiten zurückzukehren. Ich höre gespannt zu, kann dennoch nicht folgen, worum es geht. Das Kanu-Training beobachten, den Schüler und Kanuten Jonas Böttinger – noch amtierenden Deutschen Mannschaftsmeister im Potsdamer Schwimmverein – wollte ich hauptsächlich hier antreffen. Denn Jonas wechselte im Sommer 2019 zum Kanu, um im Handumdrehen Deutscher Vizemeister im Vierer-Kanadier zu werden (Bericht im Potsdamer 09/20). Aus dem Wasser direkt ins Boot als wäre es fast das gleiche, beeindruckt mich der Erfolg des 17-jährigen und ich möchte mehr über diesen Sport erfahren, welche Motivation Jonas antreibt und wie ein Alltag eines professionellen Teenage-Kanuten aussieht.
Rumpfhaltung und schmale Boote
Bevor das Training für die Junioren der Kanuklasse um 9:10 Uhr beginnt, haben sie schon eine reguläre Unterrichtsstunde hinter sich gebracht. Einzeln erscheinen die ersten Schülerinnen und Schüler der Potsdamer Sportschule in einem sportlichen Outfit, in dem es sich ebenso gut joggen lassen würde. Allerdings tragen sie Badelatschen an den Füßen, ein sehr schmales, langes Kanuboot auf der Schulter und ein Paddel in der Hand. In der professionellen Liga des Kanusports sind diese Boote maßangefertigt auf die Fahrerinnen und Fahrer, wiegen in etwa 14 kg und kosten um die 17000 Euro. Später erfahre ich, dass die Ausübung dieses Sports in den ersten Jahren als reines Hobby betrieben wird. Bevor die Anzahl der Wettkämpfe steigt, hoffentlich die Siege auch, müssen die Kanuten für ihre Ausrüstung selbst aufkommen. Das Kanu, welches schmaler als die durchschnittliche Hüftbreite einer Konfektionsgröße 36 ist, wird auch nicht sitzend gefahren. Der Kanute kniet auf einem Bein während das andere nach vorn gestreckt ist. Das Paddel wird mit beiden Händen gehalten und abwechselnd rechts und links ins Wasser gestochen. Ähnlich wie beim Yoga in der Ashva Sanchalanasana – der Reiterstellung. Diese Haltung fördert die Stabilität der Beine und die Beweglichkeit der Hüftgelenke, schult dabei eine aufrechte Körperhaltung. Das bestätigt die Trainerin Katrin Wagner-Augustin: “Ein solider Rumpf ist das wichtigste beim Kanufahren. Und Kraft in den Armen brauchst du auch.“
kl