Der Vorsitzende des Wirtschaftsrat Potsdam, Götz Friederich, im Interview

Corona kam für alle unerwartet und hat die Menschen und Unternehmen in der ganzen Welt hart getroffen. Der POTSDAMER sprach mit Götz Friederich, Fachanwalt für Steuerrecht und Präsident des Marketing Clubs Potsdam sowie Vorsitzender des Wirtschaftsrates Potsdam, über die Corona-Auswirkungen auf Potsdam sowie dessen Menschen und Unternehmen.

Götz Friederich, Vorsitzender des Wirtschaftsrat Potsdam und Präsident des Marketing Club Potsdam

Götz Friederich, Vorsitzender des Wirtschaftsrat Potsdam und Präsident des Marketing Club Potsdam

Herr Friederich, Sie kennen die Entwicklung der Potsdamer Wirtschaft und Wissenschaft wie kaum ein anderer. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation, und was glauben Sie, kommt in den nächsten Monaten auf Potsdam zu?
Ein Szenario, wie wir es in den vergangenen Monaten erlebt haben, war für uns im realen Leben kaum vorstellbar – und doch hat es uns alle völlig überraschend und zum Teil sehr hart getroffen. Ein Zeichen dafür, wie anfällig und labil unser Verständnis von Sicherheit ist. Dennoch ist es sehr bemerkenswert, wie wir alle damit umgegangen sind. Uns wurde deutlich vor Augen geführt, dass unser Leben, unser Wohlstand und unsere Sicherheit nicht so selbstverständlich sind, wie wir es glauben möchten.
Das führte zu einer großen Unsicherheit. Nicht nur im gesundheitlichen Bereich, sondern vor allem im sozialen, familiären und beruflichen Umfeld wurde vieles infrage gestellt. Einige Branchen hat es besonders hart getroffen. Ein Freund von mir fragte mich neulich: Kannst Du Dir jetzt vorstellen, wie sich viele von uns 1989 gefühlt haben? Auch damals ist von einem Tag auf den anderen alles anders gewesen. Unsicherheit, Orientierungslosigkeit, vielleicht sogar Angst.

Ist Corona ein wirtschaftliches, politisches oder humanitäres Problem?
Alles zusammen. Es ist wirklich beachtlich, wie besonnen die meisten Menschen und Unternehmen reagiert haben. Familien durften sich von heute auf morgen nicht mehr besuchen. Unternehmen hatten von einem Tag auf den anderen keine Einnahmen mehr. Nachbarschaftshilfen bildeten sich binnen weniger Tage, Unternehmen richteten sich neu aus und integrierten soziale Ideen, die schnelle Hilfe ermöglichten, Private engagierten sich ehrenamtlich. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir eine starke, sozial denkende und sozial agierende Gemeinschaft sind. Politische Randerscheinungen traten immer mehr in den Hintergrund, man fokussierte sich auf ein Miteinander, weg von einem Gegeneinander.
Corona traf uns zu einer Zeit, in der es uns gut ging. Die Arbeitslosigkeit ging zurück, wir hatten eine stark prosperierende Volkswirtschaft, stabil wachsend, die Verschuldung der Öffentlichen Hand verringerte sich deutlich. Aus dieser Situation waren Ausgaben und Rückflüsse möglich, so dass staatliche Hilfen in Milliardenhöhe möglich waren.

Viele Potsdamer Gastronomen haben sich etwas erholt und brauchen dennoch weitere Hilfen.
Foto: pixabay

Brandenburg ist von Corona im Vergleich zu anderen Bundesländern weniger stark getroffen worden. Potsdam war allerdings ein Negativbeispiel. Wieso?
Auch wenn sicherlich einzelne Fehler gemacht wurden, die auf die schwierige Gesamtsituation und das sehr enge Zeitfenster zurückzuführen waren, in dem schnell reagiert werden musste, konnten viele schwere Folgewirkungen durch schnelle Hilfen auch in Potsdam abgemildert werden. Aufgrund eines funktionierenden Vorsorge- und Gesundheitssystems war dies möglich, auch wenn in diesen Bereichen nicht alles optimal gelaufen ist. Das Ernst von Bergmann-Klinikum war sicherlich der Negativfall. Leider richten sich die Ermittlungen für diese unerklärliche Entwicklung derzeit nur in Richtung des Klinikums und dessen Mitarbeiter. Eine wesentliche Verantwortung für die Gesamtausrichtung des Klinikum-Verbunds und des Hauses Ernst von Bergmann im Besonderen hat aber auch die Stadt als Eigentümerin, allen voran der Oberbürgermeister. Aufgrund dieser Verantwortung müssen die Untersuchungen auch in Richtung Verwaltung gehen. Eine Untersuchung, die nur in eine Richtung verläuft, wird den vielen und sehr engagierten Mitarbeitern des Ernst von Bergmann gegenüber nicht gerecht und verurteilt sie per se als schuldig.
Deshalb müssen wir im Nachgang sicherlich noch einige Dinge aufklären und in alle Richtungen Untersuchungen anstrengen und Fragen zulassen.

Steuereinnahmen sind stark gesunken, viele Unternehmen kämpfen gegen die drohende Insolvenz, die ersten gibt es nicht mehr. Wie sieht die wirtschaftliche Situation Potsdams aus? Womit müssen wir rechnen?
Potsdam lebt von Gewerbesteuern, die zu 100 Prozent in die Stadtkasse fließen. Aufgrund des hohen Zuzugs und der Ansiedlung mittelständischer Unternehmen der letzten Jahre konnte Potsdam besser wirtschaften und wichtige Projekte anstoßen. Fallen diese Steuereinnahmen nun weg oder fallen auf ein niedriges Niveau, geht es Potsdam schlecht. Deshalb ist die Mehrwertsteuersenkung zu begrüßen, weil diese immer beim Verbraucher ankommt. Ebenso muss der Konsum wieder deutlicher in der regionalen Wirtschaft ankommen.
Das Kurzarbeitergeld und andere Soforthilfen waren ein guter erster Schritt, reichen aber bei weitem nicht aus. Wir brauchen dringend punktuelle Hilfen. Vor allem im Bereich Kultur und Tourismus. Dabei müssen Hilfen nicht immer monetärer Natur sein. So könnte für den Einzelhandel die flexible Handhabung von Ladenöffnungszeiten eine zusätzliche Hilfe sein. Steuervergünstigungen und andere Modelle wären weitere probate Mittel, um die Liquidität der Unternehmen zu schützen.
Das Ergebnis einer IHK-Studie zur Gewerbeflächenentwicklung zeigt deutlich, dass wir in Potsdam und der sich stark entwickelnden Region des Berliner Speckgürtels zu wenige Flächen für Unternehmen aller Größen haben. Vor allem in Potsdam machen hier Flächen auf dem RAW-Gelände, in Golm oder am Campus Jungfernsee Hoffnung, die Ansiedlung verarbeitender, produzierender, stiller und anderer Gewerbe zu fördern. Im Allgemeinen müssen Unternehmen bessere Rahmenbedingungen vorfinden, die wir aktiv zu gestalten haben.
Brandenburg war volkswirtschaftlich im Vergleich zu anderen Ländern viele Jahre eher am unteren Ende der Rangliste platziert. Das hat sich zum Glück in den letzten Jahren gedreht. Jetzt müssen wir zusätzlich gemeinsam mit anderen Gemeinden grenzübergreifende Konzepte entwickeln und umsetzen. Vor allem in den Bereichen Wohnen, Verkehr und Infrastrukturen wie Einkaufszentren, Schulzentren etc. können wir es auch einmal wagen, dezentraler d.h. räumlich übergreifender zu denken.

Ist Corona ein vorübergehendes Phänomen oder eine Zäsur mit nachhaltigem Effekt für Wirtschaft und Verwaltung?
Corona ist unzweifelhaft eine Ausnahmesituation mit hohem Belastungsgrad für alle. Es hat aber auch etwas bewirkt. Es war wohl der stärkste Treiber einer digitalen Ausrichtung für viele. Schulen, Vereine, Private und Unternehmer mussten auf die Existenz bestehender Technologien zurückgreifen, die sie in der Vergangenheit eher gemieden haben. Eine neue Strukturierung, neue Arbeitsprozesse und eine höhere Flexibilität der Arbeitsplätze und deren Organisation haben stattgefunden. Unternehmen haben festgestellt, dass Besprechungen auch virtuell möglich sind.
Leider wurde durch den notwendigen Einsatz digitaler Instrumente deutlich, wie wenig vorbereitet die Stadtverwaltung ist. Sie selbst hat bestätigt, dass sie weit davon entfernt ist, smart und digital gut aufgestellt zu sein. Das monatelange Problem der geschlossenen Kfz-Zulassungsstelle war dabei nur die Spitze des Eisbergs. Das ist völlig anachronistisch. Auf der einen Seite haben wir das Digitalzentrum in der Universität Potsdam, SAP Innovation Center, School of Design Thinking (Hasso-Plattner-Institut) und viele andere als innovationstreibende Technologie-Organe, und auf der anderen Seite haben wir eine Verwaltung, die hauptsächlich analog aufgestellt und dazu völlig überarbeitet und unterbesetzt ist.
Der Oberbürgermeister Schubert wollte die Verwaltung umkrempeln und modernisieren. Er hat dafür sogar einen fünften Fachbereich bzw. ein neues Dezernat für zentrale Dienste eingerichtet. Das aktive Anpacken notwendiger Veränderungen stelle ich mir allerdings effizienter vor, vor allem, wenn man in anderen deutschen Städten sieht, wie gut diese in vielen Bereichen aufgestellt sind. Wenn Potsdam aber kein Interesse hat, von anderen zu lernen, bleibt nichts anderes übrig, als alles selbst zu erfinden.

Was brauchen Potsdams Unternehmen?
In erster Linie brauchen sie die Unterstützung der Stadt in Form eines gültigen und verlässlichen Masterplans. Potsdam muss festlegen, wo es hin will und wie es das erreichen möchte – und dabei muss die Wirtschaft ein wesentlicher Teil sein.
Dabei sollten mehrere Faktoren berücksichtigt werden, von denen die Planung einer städtischen Struktur nur ein sich über die Einzelbereiche spannender Schirm ist. Vor allem das Angebot von Wissenschaft, Gewerbe und Kultur sind für eine Stadt wie Potsdam essentiell.
Jede Stadt lebt aus ihrer Innenstadt heraus. In Potsdam finden wir ein sehr zerrissenes Bild einzelner kleiner und in sich abgeschlossener Bereiche vor, deren fließende Verbindung zu anderen fehlt. Dadurch verringert sich die Aufenthaltsqualität im Stadtzentrum insgesamt. Wir müssen ein Entree und eine Atmosphäre schaffen, die ein Willkommensgefühl hervorrufen, das den Aufenthalt in der Stadt vereinfacht und nicht erschwert. Der Ausbau der e-Mobilität, weitere P+R-Angebote, größere Fußgängerzonen, mehr Verweilplätze, Museen, Gastronomien und ein breiter Branchenmix könnten von einem Citymanagement organisiert und begleitet werden.
Deshalb brauchen wir dringend eine Leitidee für das Stadtzentrum, aus der heraus sich weitere ergänzende und ineinandergreifende Angebote entwickeln.

Vielen Dank für das interessante Gespräch
Das Gespräch mit Götz Friederich führte Steve Schulz