Stadtverordnete ermöglichen dichte Bebauung auf der Nedlitzinsel
Das Bauunternehmen QUARTERBACK Immobilien AG, ein Tochterunternehmen der Deutsche Wohnen, hat sich nach dem Votum der Stadtverordneten am 26.01.2022 ein weiteres Filetgrundstück in Potsdams Norden sichern können. Die Gegner der Bebauungspläne kündigten bereits an, Klage gegen das Vorgehen der Stadtverwaltung und gegen den Beschluss der Stadtverordneten einreichen zu wollen.
Viele Jahre währt die Auseinandersetzung zwischen der Verwaltung und den Einwohnern Neu Fahrlands. Während die Stadt eine möglichst hohe Bebauungsdichte favorisiert, fordert der Ortsbeirat, Bürgerinitiativen und Einwohner eine lichtere Bebauung, die sich an der bestehenden Architektur und der vorhandenen Naturlandschaft – und nicht zuletzt an den bereits gültigen und rechtverbindlichen Beschlüssen aus den Jahren zuvor – orientiert.
Potsdam verscherbelt seine Kronjuwelen
In einem Offenen Brief richtet sich der im Potsdamer Norden lebende Regisseur, Autor und Grimme-Preisträger, Dirk Kummer, an die Stadt und wirft dieser vor, ihre „Kronjuwelen zu verscherbeln“: „[…] Auf Usedom, Rügen oder Sylt ist es seit Jahrzehnten unmöglich, Ufer und Ufernähe dermaßen zu versiegeln. Eine der landschaftlich schönsten Ecken Potsdams, die 5-Seen-Landschaft um die Nedlitzer Insel in Neu Fahrland und das nahegelegene Krampnitz-Areal, wurden zum Objekt der Begierde der Deutschen Wohnen und der ProPotsdam. Wobei man sich fragt, warum diese Konstellation keine Fragen aufwirft. In Berlin gibt es breite politische Diskussionen, die Deutsche Wohnen zu enteignen, in Potsdam scheint der stadteigene Unternehmerverbund ProPotsdam eine gemeinsame Strategie mit dem Immobilienkonzern zu verfolgen. Anders ist nicht zu erklären, dass Anwohner*innen, Umweltverbände, Bürgerinitiativen kaum eine Chance gegen brachiale Baupläne haben […]“
Weiter bezeichnet Kummer in seinem Brief das Zugeständnis der Deutsche Wohnen und der QUARTERBACK, einen Bruchteil der geplanten Wohnungen zu einem niedrigeren Quadratmeterpreis vermieten zu wollen als „soziales Feigenblatt“, weil „kein Kita-Erzieher und keine Polizistin aus Potsdam sich hier Eigentum leisten können“. Am Schluss plädiert Kummer an die Vernunft der Stadtverordneten. Es „[…] wäre ein Zeichen des Aufbruchs, diesen Antrag nicht durchzuwinken, damit Potsdam sein Image als weitsichtige und anständige Kommune auf lange Sicht wahren kann.“ Die Stadtverordneten folgten jedoch der Empfehlung des Bauausschusses, der den Antrag der Verwaltung in seiner Sitzung eine Woche zuvor befürwortete. Den Antrag des Ortsbeirates, die Bebauungsdichte auf der Nedlitzinsel nicht zu erhöhen, sondern sie so zu belassen, wie es die Beschlüsse der Stadtverordneten und des Ortsbeirates Neu Fahrland aus den Jahren 2014 und 2019 vorgaben, lehnte der Bauausschuss ab.
Große Enttäuschung
Anfang Dezember 2021 sollte noch einmal eine digitale Informationsveranstaltung des Ortsbeirates von Neu Fahrland für Transparenz und den bilateralen Austausch sorgen. Bei dieser boten die anwesenden Stadtverordneten Pete Heuer (SPD) und Saskia Hüneke (Bündnis 90/Die Grünen) an, sich vor der Abstimmung in der Stadtverordnetenversammlung gemeinsam mit dem Ortsbeirat, der Bürgerinitiative „Rettet die Nedlitzinsel“ und anderen Interessierten darüber auszutauschen, welche Alternativen man hätte. Doch hierzu kam es nicht mehr.
Neu Fahrlands Ortsvorsteherin, Dr. Carmen Klockow (Bürgerbündnis), zeigte sich nach der diesjährigen Januar-Sitzung des Bauausschusses stark enttäuscht. In einem Schreiben informierte sie die Einwohner Neu Fahrlands über die plötzliche Richtungsänderung derjenigen, die noch vor zwei Jahren das Anliegen des Ortsbeirates unterstützt hätten. „Im Mai 2019 wählten Sie nicht nur die Kandidaten für die Ortsbeiräte, sondern auch die für die Stadtverordnetenversammlung. Das Wahlversprechen, sich gegen eine zu stark verdichtete Bebauung auf der Nedlitzinsel einzusetzen, gaben SPD, CDU, Die Grünen, Bürgerbündnis und FDP. In einer Bürgerversammlung versprach dies auch die Kandidatin der Linken. Am vergangenen Mittwoch tagte das Stadtparlament, und es ging auch um unsere Neu Fahrländer Insel. Vor der Abstimmung appellierte ich an die Kolleginnen und Kollegen in der Stadtverordnetenversammlung, ihr Wahlversprechen einzuhalten.
Sämtliche Mitglieder der SPD-Fraktion und sämtliche Mitglieder der Fraktion Die Grünen stimmten für eine verdichtete Bebauung und damit gegen ihr Versprechen, das sie kurz vor der Wahl ihren Neu Fahrländer Wählern gegeben haben. Die Mitglieder der Fraktion Die Linke stimmten ebenfalls mehrheitlich gegen die Interessen der Neu Fahrländer.
An ihr Wahlversprechen hielten sich die Fraktionen von CDU, Bürgerbündnis und FDP, deren Stadtverordnete ausnahmslos die Interessen der Neu Fahrländer mit ihrem Votum unterstützten. Auch die AFD schloss sich dem an und votierte gegen eine verdichtete Bebauung.“
Das sogenannte „städtebauliche Konzept mit Stand vom August 2021“ stelle laut Klockow einen Kniefall vor dem Investor Deutsche Wohnen bzw. deren Tochterunternehmen Quarterback dar. „Es verfolgt nicht die im Aufstellungsbeschluss 14/SVV/0251 gefassten Planungsziele, sondern eine maximale, gewinnorientierte Verwertung des Areals“, kritisiert Klockow die Position der Bauverwaltung.
Die andere Sicht
Der Fachbereichsleiter Stadtplanung, Erik Wolfram, ist anderer Meinung und begründete die Abweichungen des Beschlusses aus dem Jahre 2014 in der Dezember-Sitzung 2021 des Ortsbeirates Neu Fahrland. „Von dem Planungsziel der Sicherung der im Flächennutzungsplan dargestellten Dichtewerte der Bebauung (Geschossflächenzahl (GFZ) 0,2 bis 0,5) des Aufstellungsbeschlusses zur DS 14/SVV/0251, wurde als Ergebnis der drei Werkstatttreffen abgewichen. Stattdessen soll im Sinne eines städtebaulichen Konzeptes eine GFZ von 0,5 bis 0,8 angestrebt werden. Die Bebauungsdichte des Bebauungsplanes ist im Maßstab zwischen einem Kleinsiedlungsgebiet (GFZ 0,4) und einem Wohn- /Dorfgebiet (GFZ 1,2) einzuordnen.“ Dabei solle die kompakte Bebauung an der Tschudistraße/B2 die dahinterliegenden Bereiche und den Park vor Verkehrslärmbelastungen schützen.
Wolfram bezieht sich in seinen weiteren Ausführungen und Begründungen zu dem geänderten Planungsziel auf die drei Werkstattreffen und die darin erzielten Mehrheiten. Die Zusammensetzung der Teilnehmer dieses Werkstattverfahrens wurde jedoch im Nachhinein von vielen kritisiert, weil darin ein deutliches Übergewicht an Vertretern der Stadtverwaltung und Mitarbeitern des Investors vertreten waren.
Der Fachbereichsleiter sieht in dem neuen städtebaulichen Konzept „eine insgesamt sozialverträglichere Variante, als es sich der Ortsbeirat Neu Fahrland und Teile der Öffentlichkeit gewünscht haben“, weil eine Einfamilienhäuser- und/oder Villen-geprägte Bebauung mit einem sozial ausgewogenen Wachstum der Landeshauptstadt wenig bis gar nicht vereinbar sei. Klockow kritisiert diese Darstellung der Verwaltung, weil man neben dem Bau von Eigenheimen auch gleichermaßen Geschosswohnungsbau, nicht aber eine Villenbebauung diskutiert habe. Außerdem habe die Art der Bebauung nichts mit der Bebauungsdichte zu tun. Man könne auch mit einer GFZ von 0,2 bis 0,5 Geschosswohnungsbau realisieren. Auch der Vorsitzende des Bauausschusses, Dr. Wieland Niekisch (CDU), übte Kritik an den Plänen der Verwaltung: „Der Landschaftsraum ist zu sensibel für eine so dichte Bebauung.“
Der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Pete Heuer (SPD), der sich noch 2019 stark für eine geringere Bebauung auf der Nedlitzinsel eingesetzt hatte, sprach sich in der diesjährigen Januar-Sitzung des Bauausschusses für den Antrag der Verwaltung mit einer höheren Bebauung aus und begründete seinen Meinungswechsel gegenüber dem POTSDAMER: „Die Bebauungsdichte hat sich im Vergleich zu der ursprünglichen Vorlage deutlich reduziert und liegt jetzt unter 0,7. Dafür wurde der Anteil an mietpreisgebundenem Wohnen erhöht, der Schallschutz zur Tschudistraße verbessert und ein hoher Anteil an öffentlichem Grün und Durchwegung sowie bessere Sichtbeziehungen zum Wasser geplant. Die Qualität der Fassadengestaltung hat sich ebenfalls deutlich verbessert. Dieses Maß an begründeter Abweichung lässt auch die Beschlussfassung von 2019 zu.
Der Ortsbeirat möchte hingegen allenfalls eine Villensiedlung für Besserverdienende zulassen, verkennt allerdings, dass es sich um eine über viele Jahre heruntergekommene Gewerbebrache und nicht ein Idyll handelt. Insofern sind die Ergebnisse der durchgeführten Werkstatt qualitativ nicht zu beanstanden.“
Da allerdings der Anteil der mietpreisgebundenen Wohnungen nur auf 400 Quadratmeter festgelegt wurde, entspricht das bei einer Gesamtwohnfläche von kalkulierten 23.000 Quadratmetern einem Anteil von unter zwei Prozent. Und weil die Mietpreisbindung auch nur für zehn Jahre gilt, wird die Nedlitzinsel wohl doch das, was Heuer kritisiert und vermeiden wollte: eine Wohnsiedlung für Besserverdienende.
Rechtliche Schritte gegen Verwaltung angekündigt
Anfang Januar dieses Jahres wandte sich Dr. Wilhelm Wilderink, Sprecher der Bürgerinitiative „Rettet die Nedlitzinsel“ in einem Offenen Brief an die Stadtverordneten und Mitglieder des Bauausschusses Pete Heuer (SPD) und Dr. Wieland Niekisch (CDU). In diesem geht er auf das Angebot ein „die aktuelle Verwaltungsplanung für den Bebauungsplan „westliche Nedlitzinsel“ kritisch zu hinterfragen und ehrlich und ergebnisoffen zu diskutieren“. Zu diesem Austausch sei es jedoch nie gekommen, so Wilderink gegenüber dem POTSDAMER.
„Die jüngste Planung der Stadtverwaltung macht mich sprachlos. Hier liegt in der Position maßgeblicher Entscheidungsträger ein Wortbruch vor, der für mich ohne Vorbild ist. Seit 1996 gibt es eine klare Planungslinie für das Gelände der westlichen Insel, die in zwei Beschlüssen der SVV konkretisiert wurde. All dies erfolgte im Konsens mit dem Ortsteil. Der Beschluss vom Mai 2019, diese Planung fortzuführen und in Bezug auf die Baumassen weiter einzuschränken, erfolgte unmittelbar vor der Kommunalwahl nach einem Dringlichkeitsantrag, der von SPD, Grünen, CDU und Bürgerbündnis/FDP eingebracht wurde. Heute erleben wir, wie sich Stadtverordnete und Verwaltungsmitarbeiter von Investoren instrumentalisieren lassen. Keine Spur mehr davon, dass man
• zu den Grundsätzen des Natur- und Landschaftsschutzes steht,
• die grundlegenden Belange der Bevölkerung wie Verkehr, Infrastruktur, Lebensqualität oder die Erhaltung des Ortsbildes im Blick hat,
• die Bedürfnisse und Wünsche der kleineren Ortsteile berücksichtigt oder
• versucht, Vertrauen zu schaffen, indem man gültige Beschlüsse nicht willkürlich ändert.“
Das in die Versprechen der Stadtverordneten gesetzte Vertrauen beschreibt Wilderink dabei als für lange Zeit geschädigt. „Die aktuelle Planung scheint sich über die damals Beteiligten lustig zu machen. Zum wiederholten Male handelt die Verwaltung – unter maßgeblicher Beteiligung von Herrn Rubelt – als wenn politische Entscheidungen und Bürgerwille gar nicht vorhanden wären. Dabei wird gelogen, dass die Havel vor Scham errötet“, so Wilderink und kündigt an, gegen die Vorgehensweise der Verwaltung sowie gegen die jüngsten Beschlüsse rechtliche Schritte einzuleiten.
„In den letzten Monaten haben Mitarbeiter der Verwaltung vorsätzlich falsche Informationen eingebracht, um andere zu täuschen. Minimalistische Klimaschutzmaßnahmen des Investors werden von der Stadt hoch gelobt, während der Umweltschutz mit Füßen getreten wird.
Bei 500 neuen Bewohnern am Rande eines Europäischen Vogelschutzgebietes mit Populationen von Eisvögeln, See- und Fischadlern sowie weiteren seltenen Tier- und Pflanzenarten kann die Flora und Fauna nur Verlierer sein. Zusätzlich soll eine Tiefgarage mit 400 Stellplätzen in dem Wasserschutzgebiet gebaut werden. Die Stadtverwaltung und einige Stadtverordneten legen sich hier Scheinargumente zurecht, die wir mit Leichtigkeit widerlegen werden. Wir haben eine lange Liste an rechtlichen Verfehlungen, und wir werden die Mitarbeiter der Stadtverwaltung und vielleicht sogar einige Stadtverordnete vor Gericht zur Verantwortung ziehen“, sagt Wilderink dem POTSDAMER.
„In diesem Verfahren werden wir auch die Offenlegung der Verträge mit der Deutsche Wohnen einfordern, die die Stadt wie ein Staatsgeheimnis hütet. Wer nichts zu verbergen hat, kann alles transparent und nachvollziehbar zugänglich machen. Dass sich die Stadt seit Jahren dagegen wehrt, kann den Verdacht der Vorteilnahme oder gar der Korruption nur schüren. Auch die Deutsche Wohnen müsste ein Interesse daran haben, die Karten auf den Tisch zu legen, um jeden Verdacht unlauteren Vorgehens aus dem Weg zu räumen – tut dies aber nicht.
Möglicherweise liegt bei dem überdimensionierten Bauvorhaben auf der Nedlitzinsel eine Absprache vor, die irgendwelche Nachteile des Investors in Krampnitz kompensieren soll. Ich bin mir sicher, dass wir im Laufe eines gerichtlichen Verfahrens hier Licht in das Dunkel bringen werden“, so Wilderink.
sts