Stadt sucht Nähe zum Investor und ignoriert dabei bestehende Beschlüsse

Gegen das Handeln der Verwaltung, die seit Jahren versucht, auf der westlichen Nedlitzinsel (Bebauungsplan 143) den Interessen der Investoren gerecht zu werden und dabei rechtsverbindliche Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung und Beschlüsse des Ortsbeirates zu umgehen, entwickelt sich immer mehr Widerstand.

Die zu hohe und zu dichte Bebauung auf der westlichen Seite der Nedlitzinsel mit mehreren Drei-, Vier- und Fünfgeschossern (rot gekennzeichnet) passe laut vieler Einwohner, dem Ortsbeirat und einiger Experten nicht in den ländlichen Raum und habe negative Auswirkungen auf Natur und Verkehr.
Quelle: LHP

Alle gegen einen

Viele Informationsveranstaltungen und Bürgerversammlungen wurden in den vergangenen Jahren zu den Bauvorhaben auf der Nedlitzinsel durchgeführt, und die Situation war stets die gleiche: Auf der einen Seite versucht die Verwaltung, die höchstmögliche Bebauungsdichte für den Investor durchzusetzen. Auf der anderen Seite kämpfen Bürgerinitiativen, der Ortsbeirat und Stadtverordnete dafür, dass geltendes Recht und rechtsverbindliche Beschlüsse von der Verwaltung berücksichtigt werden.
So fand auch am 03.12.2021 auf Einladung des Ortsbeirates eine digitale Bürgerversammlung zu diesem Thema statt.

Unterschiedliche Ziele

Mit der Beschlussvorlage 21/SVV/1078 vom 07.10.2021 möchte der einreichende Fachbereich Stadtplanung die Änderung des aktuell gültigen Flächennutzungsplans erreichen. Dadurch soll der Investor die Möglichkeit erhalten, seine über bisherige Beschlüsse hinausgehenden Baupläne realisieren zu können.
Unter anderem heißt es dazu in der Beschlussvorlage:
• Das Bebauungsplanverfahren ist auf Grundlage der auf der Planungswerkstatt „Westliche Insel Neu Fahrland“ aus dem Frühsommer 2021 erarbeiteten Planungsziele fortzuführen
• Die Planungsziele des Aufstellungsbeschlusses vom 07.05.2014 (14/SVV/0251) bestehen fort. Ausgenommen hiervon ist das Ziel der Sicherung der im Flächennutzungsplan dargestellten Dichtewerte der Bebauung (GFZ 0,2 bis 0,5). Der Flächennutzungsplan ist daher im Parallelverfahren nach § 8 Abs. 3 BauGB zu ändern.

Die Verwaltung möchte hiermit vor allem Folgendes erreichen:
• die Akzeptanz des durchgeführten Werkstattverfahrens und dessen Ergebnisse sowie
• die Aufhebung der bereits beschlossenen maximalen Bebauungsdichte

Das in diesem Jahr von der Verwaltung durchgeführte und in der Beschlussvorlage erwähnte Werkstattverfahren (der POTSDAMER berichtete), das zwischen den bestehenden Positionen des Investors auf der einen und der Politik, einschließlich Ortsbeirat und Bürgerinitiativen auf der anderen Seite vermitteln sollte, wurde von Beteiligten und Beobachtern als Versuch beschrieben, „bestehende Beschlüsse zu unterlaufen“. Diese Position wird von der Verwaltung selbst gestützt, indem der Fachbereich Stadtplanung beantragt, die in den rechtsverbindlichen Beschlüssen von 2014 und 2019 festgelegte Bebauungsdichte herauszunehmen und somit nach oben korrigieren zu können.
Die Äußerung, dass der Fachbereich die Interessen des Investors vertrete, statt die Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung umzusetzen, wie es seine Aufgabe wäre, ist am Abend der Veranstaltung häufiger zu vernehmen.

Der Sprecher der BI „Rettet die Nedlitzinsel e.V.“, Dr. Wilhelm Wilderink, hält die rote Grenze zwischen dem § 35 (Bauen im Außenbereich) und dem § 34 (Bauen im Innenbereich) für willkürlich gezogen. Er ist der Meinung, dass das gesamte Grundstück in den Außenbereich falle und somit nicht bebaut werden dürfe.
Grafik: LHP

Verwaltung und Investoren machen Druck

Dr. Wieland Niekisch (CDU), Vorsitzender des Potsdamer Bauausschusses und Teilnehmer des oben erwähnten Werkstattverfahrens, sprach davon, dass er während des Verfahrens sehr stark den Druck gespürt habe, den die Vertreter der Verwaltung und der Investoren aufgebaut haben, um ihre Interessen durchzusetzen und eine möglichst hohe Bebauungsdichte zu erreichen. Auch Neu Fahrlands Ortsvorsteherin und Stadtverordnete, Dr. Carmen Klockow, und die stellvertretende Ortsvorsteherin, Sabine Sütterlin (beide Bürgerbündnis), fühlten sich dem Druck der Verwaltung und der Investoren während des Verfahrens massiv ausgesetzt.
Lediglich Saskia Hünecke (Bündnis 90/Die Grünen), die ebenfalls Teilnehmerin des Werkstattverfahrens war, sprach von einer hohen Qualität der Durchführung und der Ergebnisse. Auf Fragen, welche Auswirkungen das geplante Bauvorhaben der Firma Quaterback auf der Nedlitzinsel auf die umliegende Natur und den ohnehin schon stark überlasteten Verkehr habe, wollte sie am Abend der digitalen Bürgerversammlung keine Antworten geben.
Karl-Ludwig Böttcher, ehemaliger Geschäftsführer des Brandenburger Städte- und Gemeindebundes, kritisiert die Potsdamer Bauverwaltung und beklagt die immer stärker werdende Siedlungsverdichtung in Potsdam. In der Speicherstadt und in Bornstedt könne man sich wie in Italien die Wäscheleine von Haus zu Haus zuwerfen, so Böttcher. „Solche Zustände kann man sich auf der Insel nicht wünschen. Vier- und Fünfgeschosser haben hier nichts zu suchen.“ Städtebauliche Entwicklung müsse immer eine ortsübliche Entwicklung sein und bleiben. Und das würde mit dem Vorschlag der Verwaltung „stark aus dem Ruder laufen“, kritisiert Böttcher. Die Stadtverordneten sollten sich daher „nicht von der Verwaltung über den Tisch ziehen lassen“. Weiter fordert er, dass die Interessen des Investors sich denen der demokratisch legitimierten Planung unterzuordnen haben und nicht umgekehrt. Überrascht zeigte sich Böttcher auch über die Vertretung des Investors innerhalb des Werkstattverfahrens und über die Stimmberechtigung von Investor und Verwaltung. So etwas habe er in seiner fast 25-jährigen Tätigkeit als Geschäftsführer des Brandenburger Städte- und Gemeindebundes nicht erlebt.

Erst planen, dann bauen

Man käme laut Böttcher schon jetzt in Potsdam nicht mit dem Verkehr klar, ebenso wenig mit dem Krampnitz-Projekt. Auch wenn ein Druck seitens Potsdams aufgebaut werde, so solle man sich von der Verwaltung in derart wichtigen Fragen „nicht jagen lassen“ und sich für ein ortsteilverträgliches Entwicklungskonzept ausreichend Zeit nehmen, appelliert Böttcher. Dazu gehöre es auch, dass man sich zuerst einmal Gedanken über die Auswirkungen auf Umwelt und Verkehr mache, ergänzte Manfred Angel, Einwohner Neu Fahrlands und von Beruf Verkehrsplaner. Das solle immer der erste Schritt sein und nicht der dritte, kritisiert Angel. Er forderte die Stadtverordneten dazu auf, sich im Rahmen von Wohnungsbauprojekten zuvor immer ein übergeordnetes Verkehrskonzept von der Verwaltung vorlegen zu lassen und sich nicht nur an der Wohnentwicklung zu orientieren und dabei wichtige Fragen auszublenden.
Dr. Wilhelm Wilderink, Rechtsanwalt und Sprecher der Bürgerinitiative „Rettet die Nedlitzinsel e.V.“, sieht in dem Verwaltungshandeln mehrere juristische Probleme. So sei das festgelegte Maß der baulichen Nutzung eines Grundstücks nicht willkürlich nach oben zu schrauben, sondern müsse sich an bestehenden Beschlüssen, der angrenzenden Bebauung sowie dem gültigen Flächennutzungsplan orientieren. Nach Ansicht Wilderinks habe der Investor überhaupt gar kein Bebauungsrecht, weil das gesamte Grundstück im Außenbereich liege und damit der Paragraph 35 des Baugesetzbuches (§ 35 BauG) zur Anwendung komme, der derartige Bauvorhaben ausschließt.
2019 wurde ein gemeinsamer Dringlichkeitsantrag von SPD, CDU, Bündnis 90/ die Grünen, Bürgerbündnis und FDP eingebracht, um das Bauvorhaben auf der Nedlitzinsel und das weitere Vorgehen der Bauverwaltung in dieser Sache zu unterbinden (der POTSDAMER berichtete). In diesem hieß es: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, den Bebauungsplan Nr. 143 ‚Westliche Insel Neu Fahrland‘ in der vorliegenden Fassung … zu überarbeiten … Nach Bekanntwerden des Vorentwurfs … wurde offensichtlich, dass die … beschlossenen Planungsziele von dem nunmehr vorliegenden Vorentwurf zum Teil erheblich abweichen …“. Der Eilantrag wurde mit Unterstützung weiterer Fraktionen in der Stadtverordnetenversammlung beschlossen – und von dem Baubeigeordneten, Bernd Rubelt, und seinen Mitarbeitern seitdem ignoriert.
In der digitalen Bürgerversammlung nimmt der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung, Pete Heuer (SPD), aus der Beschlussvorlage der Verwaltung den Druck raus: „Wir haben alle Zeit der Welt und müssen keine Entscheidung übers Knie brechen.“ Heuer sprach sich dafür aus, von der „Klageebene“ wegzukommen und sich mit konstruktiven Änderungsvorschlägen einer Lösung zu nähern. Dem Vorschlag weiterer konstruktiver und lösungsorientierter Gesprächsrunden schlossen sich neben Saskia Hünecke auch Dr. Wilhelm Wilderink und andere Teilnehmer an.
Am 14.12.2021 wird das Thema „Bebauungsplan westliche Insel“ auch in der Sitzung des Ortsbeirats von Neu Fahrland behandelt, bei dem wahrscheinlich auch Vertreter der Verwaltung anwesend sein werden. Die Sitzung ist öffentlich und findet ab 17.00 Uhr digital statt. Interessierte Bürger können bei dieser Veranstaltung ihre Fragen an die Mitglieder des Ortsbeirates und Mitarbeiter der Verwaltung stellen.

sts