POTSDAM – Das angebliche „Geheimtreffen“ am Lehnitzsee im November vergangenen Jahres hatte im Januar eine beispiellose Medienkampagne ausgelöst. Ganz Deutschland war beunruhigt über eine neue Gefahr von rechts. Ganz vorn bei den Empörten: Mike Schubert, Oberbürgermeister von Potsdam, der noch in der Woche der Veröffentlichungen zu einer Großkundgebung in der Potsdamer Innenstadt aufgerufen hatte.

Unmittelbar nach der Veröffentlichung eines Theatertextes durch die private Recherchefirma „Correctiv“ mobilisierte er als Leiter der Potsdamer Verwaltung Tausende zur Demo. Man wolle gegen menschenverachtende Planungen und staatsfeindliche Verbrechen einer amorphen Gruppe demonstrieren, die im ohnehin renitenten Potsdamer Norden eben ein „Geheimtreffen“ veranstaltet haben soll. Die Demonstration bei uns wird zum Vorbild für viele weitere Kundgebungen überall in Deutschland. Und trotz zahlloser Hinweise auf die offenkundig unseriöse Berichterstattung prüft kein Demo-Veranstalter selbst die Fakten.
In den folgenden Monaten zäher Detailarbeit konnte die Legende vom sinistren Treffen in allen zentralen Vorwürfen widerlegt werden. Heute steht fest: Es gab keinen „Masterplan für Remigration“. Massenvertreibungen wurden zu keinem Zeitpunkt auch nur erwähnt. Das uneingeschränkte Aufenthaltsrecht deutscher Staatsbürger wurde in einer verfassungsrechtlichen Diskussion von den am Lehnitzsee anwesenden Rechtsexperten ausdrücklich anerkannt, egal welcher Herkunft oder kulturellen Prägung die deutschen Staatsangehörigen sind.

Überhaupt nur ein einführender Vortrag der Tagesveranstaltung befasste sich am Rande mit dem Thema „Remigration“. Der Vortrag ist ungekürzt im Internet abrufbar. Er enthält keine Hinweise auf die ungeheuren Vorwürfe, die auf den Demonstrationen erhoben wurden. Selbst „Correctiv“ gibt zu, dass der Text des Videos sich im Wesentlichen mit dem Originalvortrag deckt. Und noch besser: Der verantwortliche Journalist bei „Correctiv“ wird in der Folge als linksextremer Aktivist entlarvt, der auf seiner Website offen zugibt, Geschichten zu erfinden, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. „Correctiv“ ruderte mehrfach in der Wortwahl zurück, streicht Begriffe wie „ ethnisch“ oder „Deportation“. Teilnehmer der Veranstaltung werden öffentlich rehabilitiert wie der Verfassungsrechtler Dr. Ulrich Vosgerau, der auf dem Treffen einen Vortrag hielt.

Doch zu all dem kein Sterbenswort vom Potsdamer Bürgermeister. Gleichwohl wird seine Initiative vom Schlossplatz zur PR-Katastrophe für Potsdam. Nicht eine Konferenz am Lehnitzsee setzt sich in den Köpfen fest, sondern das „Geheimtreffen von Potsdam“. Und das in ganz Europa.
Potsdams Ruf als Stadt der Toleranz, der Kultur und Kunst, der Aufklärung wird mit einer einzigen populistischen Rede beiseite gewischt.
Es reicht Herrn Schubert nicht, den Inhalt des „Correctiv“-Textes zu wiederholen, nein er verwendet extreme Übertreibungen und spricht von Deportation, Staatsfeinden und inflationär von „Nazis“. Und er fordert strafrechtliche Konsequenzen gegen Staatsfeinde. Den traurigen Höhepunkt aber leistet sich Schubert mit Vergleichen des Treffens am Lehnitzsee mit dem Nationalsozialismus. Allen Ernstes zieht er Parallelen zur berüchtigten „Wannseekonferenz“ von 1942 – dem Startpunkt des Holocaust – und sieht Ähnlichkeiten zwischen dem fiktiven „Masterplan für Remigration“ und den Madagaskar-Plänen der Nationalsozialisten. Geschmackloser kann man die Opfer des Holocaust nicht verhöhnen.

Der POTSDAMER hat den Oberbürgermeister gefragt, ob er zu den Inhalten des Correctiv-Textes recherchiert habe? Trotz dreifacher Anfrage haben wir keine Antwort erhalten. Dies ist deshalb so bedauerlich, weil es sich bei dem „Correctiv“-Text ja lediglich um eine Darstellung im Stil eines Theaterstücks handelt. Er liefert keine exakten Fakten, sondern nur als Annahmen und als Wertungen formulierte Generaleinschätzungen. Wörtliche Zitate werden fast ganz vermieden. Vor allem aber beruft sich der Text ausdrücklich und allein auf eine einzige Quelle: „Correctiv“ – so wörtlich im Originaltext – habe mit AfD-Politikern gesprochen. Nun waren laut „Correctiv-Liste“ nur drei AfD-Mitglieder bei den Vorträgen anwesend, zwei davon waren selbst Vortragende, die Dritte, die Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy hat Strafanzeige gegen „Correctiv“ gestellt und wird im Bericht in besonderem Masse diskreditiert. Andere Quellen werden nicht benannt!

Also ernsthaft, Herr Bürgermeister, war es verantwortungsbewusst, solche Behauptungen von staatsrechtlicher Dimension aufzustellen, die erklärtermaßen auf Gesprächen mit den beschuldigten Politikern selbst beruhen? Eben den Politikern, die Sie verurteilen …

Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen
Potsdams Image ist ramponiert. Auf die Frage nach Assoziationen mit Potsdam wird heute vielfach zuerst das „Geheimtreffen“ genannt. Nicht Sanssouci, Voltaire oder die berühmte Konferenz von 1945, die den Weltkrieg beendete. Der Ruf untadeliger Personen wurde öffentlich beschädigt, Unternehmen sind zugrunde gerichtet worden, Frauen und Männer haben ihre Jobs verloren. Und dies nur, weil diese Menschen ihren grundrechtlich gesicherten Anspruch auf ausgewogene Information wahrgenommen haben.

OB Schubert schweigt
Interviewanfragen und Mails an Schubert und seine Pressestelle blieben unbeantwortet. Wir haben Herrn Schubert trotzdem schriftlich Fragen gestellt, die ihn mit den Ergebnissen seines Handelns und der weiteren Entwicklung konfrontieren. Auf keine Frage gibt er eine Antwort. Unsere Fragenliste dokumentieren wir hier (in der Print-Ausgabe des POTSDAMER) für unsere Leserinnen und Leser. Zwischenzeitlich wird die Aufarbeitung fortgesetzt und das „Correctiv“-Gebäude fällt in sich zusammen. Das Prüfungsverfahren der Universität Köln gegen Dr. habil. Vosgerau endete mit einem Freispruch erster Klasse. Rechtliche Einwände gegen seine Tätigkeit als Privatdozent bestehen nicht.

Auch die CDU Potsdam relativiert bereits ihren Willen, ein Ausschlussverfahren gegen ihr Vorstandsmitglied Dr. Wilhelm Wilderink anzustrengen, dem Eigentümer des Landhauses am Lehnitzsee. Nach uns vorliegenden Informationen sei dies jetzt nur noch eine mögliche Option. Neben dem Verfahren wird zudem auch dessen Einstellung oder eine Rüge erwogen. Wegen welcher Verstöße gegen die CDU-Satzung, das wissen wir bis heute nicht.
Trotzdem blieb lange öffentlich das ungute Gefühl, im Gästehaus am Lehnitzsee seien Verfassungsfeinde am Werk gewesen. Immerhin war der Gastredner Martin Sellner als Jugendlicher wegen des Aufklebens von Stickern mit verfassungsfeindlichen Symbolen zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Seitdem gibt es zwar keine Urteile mit strafrechtlicher Relevanz gegen ihn, aber ist das Landhaus am Lehnitzsee nicht ohnehin ein „rechtes Haus“ im verfassungsrechtlichen Sinn? PNN und MAZ hatten das suggeriert.

Seit Ende April gibt der Bericht des brandenburgischen Verfassungsschutzes eindeutige Auskunft. Die Villa Adlon ist nicht Ort regelmäßiger rechter Treffen und wird insoweit nicht erwähnt. Auch das Treffen selbst findet nur als Ausgangspunkt für die öffentliche Diskussion des Begriffes „Remigration“ eine kurze Erwähnung. Mit anderen Worten: Brandenburgs Verfassungsschutz sieht in den Vorgängen keinerlei Hinweise auf verfassungsfeindliche Aktivitäten. Eine größere Klatsche für „Correctiv“ ist kaum noch vorstellbar, denn gerade das war Inhalt der Inszenierung.
Herr Oberbürgermeister, stellen Sie sich den Tatsachen! Arbeiten Sie die Vorgänge mit den Beteiligten auf und helfen Sie, Fehler wieder gut zu machen. Nur so wird der gute Ruf Potsdams wieder hergestellt.