War die Arbeit des Ortsbeirat Fahrland umsonst?

Das Bauvorhaben in der Ketziner Straße 22 hat eine kurze, aber sehr bewegte Geschichte im schönen Ortsteil Fahrland. Das ursprüngliche und viel zu massiv angelegte Bauvorhaben des Investors Semmelhaack war schon früh bei Anwohnern und Ortsbeirat umstritten. Der Versuch, auf dieser rund 1,5 ha großen Fläche Baurecht über einen städtebaulichen Vertrag zu schaffen, scheiterte an Protesten der Anwohner, des Ortsbeirates und letztlich an der Oberen Bauaufsichtsbehörde. Geblieben ist eine noch gültige Bauvoranfrage des Vorhabenträgers und ein reguläres Bebauungsplanverfahren, das sich bereits auf den letzten Metern befand.
Der Ortsbeirat Fahrland votierte nach sorgsamer Abwägung mehrheitlich für den Satzungsbeschluss des Bauvorhabens, weil mit einer geringeren Bebauungsdichte und einem fünf Meter breiten abgrenzenden Grünstreifen um das Baugrundstück bestehende Anforderungen des Ortsbeirates erfüllt wurden. Der Vorhabenträger wollte sogar auf freiwilliger Basis auf fossile Energieträger zu Heizzwecken verzichten, was auf Initiative des Ortsvorstehers Stefan Matz erreicht wurde.
Nun überraschte jedoch der Vorsitzende des Bauausschusses, Dr. Wieland Niekisch (CDU), in der Stadtverordnetenversammlung mit einem Änderungsantrag, welcher das gesamte bisherige B-Plan-Verfahren auf den Anfang zurücksetzt und damit das gesamte Vorhaben zum Scheitern bringen kann.
Der POTSDAMER sprach mit dem Fahrländer Ortsvorsteher Stefan Matz, was hinter dem Antrag von Niekisch steckt und warum dieser Antrag nicht im Interesse des Ortsteils ist.

Ob in der Ketziner Straße 22 doch noch gebaut wird, ist jetzt fraglich.
Foto: sts

Herr Matz, Sie haben den B-Plan an der Ketziner Straße 22 seit Jahren begleitet. Welche Verbesserungen wurden erreicht?
Wenn man es im Vergleich zur ursprünglichen Planung betrachtet, sind die Baumassen reduziert worden. Es sollte zugunsten einer Gewerbefläche für Sportkurse auf ein Haus verzichtet und auch die Geschossigkeit reduziert werden. Weiterhin war ein privater fünf Meter breiter Grünstreifen mit dauerhafter Bepflanzung um das gesamte B-Plan-Gebiet geplant. Dies sollte eine optische und auch tatsächliche Trennung zwischen der Altbebauung und den neu gebauten Häusern bieten. Eine städtebaulich schöne und auch einmalige Lösung im Ortsteil.
Im städtebaulichen Vertrag war weiterhin der Bau von zwei Wegeverbindungen vereinbart. Eine, die Verbindung zwischen der Ketziner und der Straße Am Storchennest, wird schon seit vielen Jahren als Verbindung des alten und neuen Ortsteils von den Fahrländerinnen und Fahrländern erwartet. Auf der Schlussetappe konnte ich den Vorhabenträger dann noch dazu bewegen, auf freiwilliger Basis auf fossile Energieträger zu Heizzwecken zu verzichten. Das ist ein- und erstmalig in Potsdam.
Doch dies steht jetzt alles wieder zur Disposition.

Die rote Linie zeigt die geplante Grenze des neuen öffentlichen Grünstreifens. Von „Enteignung“ spricht Fahrlands Ortsvorsteher. Quelle: Städtebaulicher Vertrag mit Einarbeitungen von Stefan Matz

Wie sah nun der Änderungsantrag von Herrn Dr. Niekisch aus, und was bewirkt er?
Der Antrag hat den bisherigen Satzungsbeschluss ersetzt und fordert einen zwölf Meter breiten öffentlichen Grünstreifen sowie die pauschale Reduktion um rund 10 Häuser. Das ändert den B-Plan wesentlich und ist planerisch vermutlich nicht, bis schwierig umsetzbar. Insbesondere die Forderung nach einem öffentlichen zwölf Meter breiten Grünstreifen ist wenig durchdacht, denn das würde die direkten Anwohner mutmaßlich schlechter stellen als bisher, denn die Öffentlichkeit der Grünfläche hat baurechtlich deutliche Auswirkungen. Hinzukommt, dass mit dem Antrag unsere und die Arbeit von anderthalb Jahren in der Bauleitplanung hinfällig sind.

Warum ist der Antrag nicht im Interesse des Ortsteils?
Der Bebauungsplan wäre ein Schlussstrich unter einem Streitpunkt im Ortsteil gewesen. Ein vernünftiger und lange diskutierter Kompromiss, in dem der Ortsteil nicht so schlecht weggekommen wäre. Wenn wir vom geschaffenen Wohnraum mal absehen, der in Potsdam und auch in Fahrland Mangelware ist, hätte er insbesondere auch den jahrelangen Stillstand in der infrastrukturellen Entwicklung aufgelöst.

Können Sie das näher erläutern?

Direkt nach der Wahl zum Ortsvorsteher habe ich angefangen, mich um den sehr häufig geäußerten Wunsch der Fahrländerinnen und Fahrländer zu kümmern, eine Apotheke im Ortsteil anzusiedeln. Dies stellte sich als nicht so einfach heraus, denn mit etwas über 5000 Einwohnern lässt sich eine normale stationäre Apotheke nicht wirtschaftlich betreiben. Nach zwei Absagen fand ich dann einen Apotheker, der in einem Gesamtkonzept eine stationäre Apotheke, einen Lieferservice für Medikamente inklusive Kühllager, einen Onlinehandel und ein medizinisches Versorgungszentrum mit Fachärzten in Fahrland betreiben wollte. Ein solches Konzept kann dann funktionieren, denn der Einzugs- und Versorgungsbereich würde sich von Uetz-Paaren über Marquardt bis nach Neu Fahrland erstrecken. Ein großer Gewinn für den gesamten Potsdamer Norden.

Stefan Matz, Ortsvorsteher von Fahrland

Stefan Matz, Ortsvorsteher von Fahrland

Was bei diesem Projekt aber ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Faktor ist, ist die Gewinnung von Mitarbeitern. Wie wollen Sie eine junge Fachärztin, medizinisches Fachpersonal, Apotheker und Angestellte bewegen, ausgerechnet nach Fahrland zu kommen? Ein stetes Pendeln zwischen Berlin oder Potsdam nach Fahrland ist keine wirklich gute Lösung und auch nicht zeitgemäß. Demzufolge war eine Nebenbedingung, welche von Beginn an vom Betreiber geäußert wurde, dass hinreichend Wohnraum im Ortsteil verfügbar ist. Vom zeitlichen Ablauf und der Größenordnung der im B-Plan-Gebiet der Ketziner Straße 22 geschaffenen Wohnungen hätte das wunderbar funktioniert und auch in das Konzept gepasst, Pendelverkehre möglichst zu vermeiden. Es reicht heute nicht aus, ein vernünftiger Arbeitgeber zu sein, auch die Nebenbedingungen müssen für die Mitarbeiter stimmen. Ich erinnere nur an unseren vorherigen Feuerwehrchef, der keine adäquate Immobilie für seine Familie finden konnte und die Stadt nach wenigen Monaten wieder verließ. Jetzt habe ich erfahren, dass die Planungen für Apotheke und medizinisches Versorgungszentrum auf Eis liegen und neu bewertet werden müssen, da es ohne ausreichenden Wohnraum einfach attraktivere Standorte im Umland gibt. Als Unternehmer kann ich dies durchaus nachvollziehen.

Hat Herr Dr. Niekisch seinen Antrag vorher mit Ihnen oder dem Ortsbeirat besprochen?
Nein. Herr Dr. Niekisch war bei der Diskussion im Ortsbeirat anwesend, hätte sich auch beteiligen und Fragen stellen können. All dies ist nicht geschehen. Der Änderungsantrag datiert vom 7. Oktober 2020. In der darauffolgenden Sitzung des Bauausschusses oder im danach nochmals tagenden Ortsbeirat hätte man als Selbstbefassung darüber nochmals diskutieren können. Aber eine sachgerechte Diskussion darüber war wohl nicht sein Ziel.

Nun haben die Stadtverordneten mehrheitlich für diese Änderung und ein „zurück auf Anfang“ gestimmt. Wie bewerten Sie das?

Es ist völlig absurd. Die Stadtverordneten haben selbst an vielen hart erarbeiteten Kompromissen aktiv mitgewirkt. Sie untergraben damit ihre eigene Glaubwürdigkeit massiv. Verlässlichkeit sieht anders aus. Der Antrag ist übrigens nicht neu, sondern ein recycelter Antrag der Fraktion DIE aNDERE, den die CDU zur damaligen Zeit nachweislich abgelehnt hatte. Ich muss hier also auch klar die Motivation von Herrn Dr. Niekisch infrage stellen. Insbesondere, wenn die CDU nur Minuten später in einem Antrag die Aufstockung der Bearbeitungskapazitäten in der Verwaltung für Bebauungspläne fordert. Der Ortsbeirat Fahrland, als gewählter Fachausschuss für den Ortsteil, hat sich die Entscheidung sicher nicht leicht gemacht. Wenn schon die Stadtverordneten dieses Votum ignorieren und sich nicht hinreichend informieren, wie sollen die Ortsbeiräte dann bei der Potsdamer Stadtverwaltung mehr Gehör finden?

Wie werden Sie nun weiter vorgehen?
Ich weiß es noch nicht. Ich bin noch konsterniert über diese unbedarfte und unreflektierte Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung, die nicht nachvollziehbar und für den Ortsteil Fahrland nachteilig ist.

Zweite Seite der Medaille
Herr Dr. Niekisch (CDU), Vorsitzender des Bauausschusses, äußerte sich ebenfalls zu seinem Antrag und der Entscheidung des Bauausschusses wie folgt:
Eine „demokratisch gewählte Stadtverordnetenversammlung (SVV) entscheidet verbindlich über die Bauleitplanung. Also kann und darf ein einzelner, auch wenn er den Vorsitz über den Bauausschuss innehat, gar nicht allein entscheiden.

Dr. Wieland Niekisch (CDU)

Dr. Wieland Niekisch (CDU)

Der Änderungsantrag war auch einer der gesamten CDU-Fraktion, nach dem Vorbild der DIE aNDERE-Fraktion vom März 2019. Doch zur korrekten Zeitabfolge: 2017 mussten es Fahrländer Bürger*innen erzwingen, dass an der Ketziner Straße nicht über deren Köpfe hinweg nur mit einem städtebaulichen Vertrag gearbeitet wurde, sondern ein rechtlich korrektes B-Plan-Verfahren (Nr. 161) aufgelegt wird. Hier war bereits der Beginn des Verfahrens holprig und z.T. intransparent. Sicher wurde lange gerungen, aber das Projekt bleib in Dimension und Abstandsflächen städtebaulich und ökologisch umstritten. Beim Aufstellungsbeschluss des B-Planes 161 im März 2019 durch die SVV fand der Änderungs-Antrag der DIE aNDERE- zu zwölf Metern Abstandsflächen noch keine Mehrheit.
Am 09.09.2020 war der B-Plan 161, wie vorgeschrieben, vor dem abschließenden Satzungsbeschluss in der STVV im Ortsbeirat von Fahrland. Dort wurde zwar mit ausreichender, aber nicht überzeugender Mehrheit zugestimmt. Anschließend bin ich von Bürgern angesprochen worden, habe Ortstermine wahrgenommen, habe die Kritiken mit anderen Mitgliedern des Ausschusses für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Entwicklung des ländl. Raumes (SBWL) besprochen, so wie es meine Pflicht vor endgültigen Abstimmungen ist. Im nächsten SBWL-Ausschuss am 22.09. stand der B-Plan 161 zur letztmaligen Beratung auf der Tagesordnung, auch da gab es eine ausreichend mehrheitliche Zustimmung, aber die Ausschussmitglieder Hüneke (Grüne) und Niekisch (CDU) signalisierten durch ihre Enthaltung, dass es noch Klärungsbedarf in deren Fraktionen gibt. Und innerhalb dieses Prozesses kam es dann ganz regulär und demokratisch zu der Mehrheit, die mit fast 2 Dritteln in der STVV am 4.11. den B-Plan in der bisherigen Form ablehnte und die Distanz von 12 Metern festlegte. Ein völlig legaler und legitimer Vorgang, und die neue Mehrheit kam auch deshalb zustande, weil die Wahlgewinner bei den Kommunalwahlen am 26.5. 2019 (Grüne plus 4 und DIE aNDERE plus 3) mehr Gewicht für ihr Votum vom März 2019 mitbrachten.
Der große alte Sozialdemokrat Kurt Schumacher hatte einst gesagt: „Wenn ein Hemd falsch zugeknöpft worden ist, so hilft nichts anderes, als das Ganze noch einmal komplett auf- und dann richtig zuzuknöpfen. Deshalb muss man in diesem Fall folgerichtig von vorn beginnen. Und dieser Prozess muss erneut vom Ortsbeirat ausgehen.

sts