Kita-Überhang, dieses Wort können die Potsdamer in ihren aktiven Wortschatz aufnehmen. Führten die Kitas in der Landeshauptstadt früher Wartelisten mit interessierten Eltern und ihren Kindern, so kann heute immer häufiger der umgekehrte Fall eintreten. Eltern können in den Gesprächen nun sagen: Einen Moment, wir entscheiden uns noch. Grund für den Wechsel der Rollen ist, dass die Zahl der Kitaplätze die Zahl der Kleinkinder übersteigt. Natürlich gilt das lediglich statistisch, im Einzelfall kann die Wunschkita nach wie vor übernachgefragt sein. Aber im Durchschnitt sind in Potsdam nur vier von fünf der vorhandenen Kita- oder Krippenplätze belegt. Anders ausgedrückt: 20 Prozent der Plätze sind ungenutzt. In absoluten Zahlen: 9.300 Kinder wurden in Kitas, Krippen und bei Tagesmüttern betreut, obwohl 12.700 Plätze bereitstanden.

Die offizielle Bestätigung dieser Zahlen klingt aus dem Mund der Pressesprecherin der Stadt Potsdam so: „Bereits im IKSEP 2021 bis 2026 wurden auf gesamtstädtischer Sicht Überkapazitäten dargestellt.“ Das betreffe vor allem die Krippe. Der Überhang ist auf den ersten Blick erstaunlich, da Potsdams Bevölkerung wächst. 186.000 Menschen leben mittlerweile in der Landeshauptstadt. Das Wachstum hält seit Jahrzehnten an, so wurde 2008 die Marke von 150.000 und 2017 der Wert von 175.000 geknackt. Prognosen sagen für die nächsten Jahre voraus, dass 200.000 Menschen in Potsdam leben werden. Doch die Zunahme speist sich vor allem daraus, dass mehr Menschen nach Potsdam ziehen als fortziehen. Die Zahl der Geburten sinkt dagegen. Im vergangenen Jahr wurden etwas mehr 2200 Babys in Potsdam geboren. Vor zwei Jahren waren es noch fast 2500. Daraus folgt, dass es weniger Kinder gibt, die auf einen Kitaplatz warten. Die neue Situation sollte Potsdam als Chance für mehr Qualität nutzen, sagt Robert Witzsche, Vorstand des Kita-Elternbeirats Potsdam. „Eine der wichtigsten Voraussetzungen wäre es, die Finanzierung vonPersonal und Räumen auch in nicht voll ausgelasteten Einrichtungen sicherzustellen“, fordert der Kita-Elternbeirat. Weniger Kinder pro Erzieher ist eine Forderung, der sich vermutlich viele Eltern anschließen können. Außerdem, so Robert Witzsche, liege die Idee auf dem Tisch, den Stichtag für die Einschulungen zu verschieben. Das sei lange versprochen und könnte nun umgesetzt werden, schreibt der Kita-Elternbeirat in einer Stellungnahme. Im Moment sind einige Kinder vor ihrem sechsten Geburtstag schulpflichtig. Pressesprecherin Juliane Güldner sagt, bei Verbesserungen verfolge Potsdam zum Beispiel das Ziel, ein wohnortnahes Kitanetz zu schaffen.

Nicht nur im Durchschnitt, sondern in jedem einzelnen Stadtteil sollen ausreichend Kitaplätze vorhanden sein. Außerdem, so Juliane Güldner, sehe Potsdam aufgrund des Überhangs die Chance, die Qualität in der Betreuung der Kinder zu steigern.„Die Verwaltung wird mit allen Potsdamer Trägern zu jedem einzelnen Standort in 2024 das Gespräch suchen und mittels eines standardisierten Fragebogens die Standort- und Trägerlage sowie gegebenenfalls konzeptionell neue Ideen erfassen und über Entwicklungen in den Austausch gehen.“ Während der Elternbeirat in der Politik aktiv ist, zum Beispiel an Sitzungen des Jugendhilfeausschusses der Stadtverordnetenversammlung teilnimmt, haben die Tagesmütter keine Lobby. In der aktuellen Situation, in der Kitas und Tagesmütter aufgrund des Platzüberhangs unter Druck geraten könnten, fehlt ihnen eine einflussreiche Interessenvertretung.

In Potsdam gibt es aktuell 61 Tagesmütter. Vor vier Jahren waren es noch 90 – ein Rückgang um ein Drittel. Die Tagesmütter betreuen in Potsdam 261 Kinder, fast alle sind jünger als drei Jahre. Der Trend, dass die Tagespflege durch Tagemütter abnimmt, ist in ganz Brandenburg zu beobachten. Warum das so ist, verraten die Zahlen nicht. Sie sagen nur: In Summe gibt es mehr Plätze in Kitas und bei Tagesmüttern als Kinder.