Wie beurteilen die Direktkandidaten Baerbock, Ludwig und Scholz das Mega-Projekt, das Potsdam so große Schwierigkeiten macht? Der POTSDAMER hat nachgefragt.
Es ist das größte Bauvorhaben der Stadt. Für mehr als 10.000 Einwohner möchte die Landeshauptstadt hier neuen Wohnraum schaffen und mittels eines von der Energie und Wasser Potsdam GmbH (EWP) entwickelten Energiekonzeptes versorgen. Was für die einen jedoch ein innovatives und nachhaltiges Wohnungsbauprojekt ist, das zukunftsgerichtet ist und Vorbildcharakter haben soll, ist für andere die größte Fehlplanung in der Geschichte der Stadt, die nur zu noch mehr Staus und einer erhöhten Umweltbelastung führt.
Der POTSDAMER fragte die Direktkandidaten Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Saskia Ludwig (CDU) und Olaf Scholz (SPD), wie sie das Krampnitz-Projekt bewerten.
Braucht es im Potsdamer Norden eine zusätzliche Kleinstadt?
„Auch wenn die Geschwindigkeit des Zuzugs nach Potsdam gerade abnimmt, hält das Wachstum – und damit der Bedarf an neuen Wohnungen – an“, betont Baerbock die Notwendigkeit des Wohnungsbaus. Selbstverständlich werde laut Baerbock dabei der Geschosswohnungsbau bevorzugt, um das Maß an Zersiedelung und Flächenversiegelung möglichst gering zu halten. Auf den Hinweis, dass der Großteil der geplanten Wohnungen nicht für Geringverdiener bestimmt ist und von der Deutsche Wohnen gebaut wird – dem Wohnungsbauunternehmen, das Baerbock in Berlin enteignen möchte – geht sie nicht ein.
Ebenso betont Scholz den dringend benötigten neuen Wohnraum. „Krampnitz bietet die Möglichkeit, allein über 1.600 kommunale und genossenschaftliche Wohnungen zu errichten und darüber hinaus Mietpreis- und Belegungsbindungen zu schaffen“. Das sei für den Sozialdemokraten eine gute Mischung von sozialem und frei finanziertem Wohnraum.
„Der Wohnungsmarkt ist leer gefegt, die Mieten sind utopisch. Deshalb benötigen wir neuen Wohnraum, der bezahlbar, in Teilen barrierefrei und behindertengerecht ist. Die Abdeckung der starken Nachfrage werden wir in weiten Teilen nur durch Geschosswohnungsbau erreichen. Aber eben nur dort, wo es hinpasst. Unsere ländlich geprägte Region im Potsdamer Norden ist dafür nicht gut geeignet und sollte ihren Charakter nicht verlieren. Viele junge Familien sind hierher gezogen, um der Stadt zu entfliehen“ argumentiert Ludwig gegen den massiven Ausbau in Krampnitz.
Die hohe Dichte der Bebauung sehen Baerbock und Scholz somit als notwendig an. Nur Ludwig sieht in dem Umfang eine Gefahr, das Stadtbild Potsdams und seinen ländlichen Raum zu zerstören.
Und wie werden die Auswirkungen auf die umliegende Natur eingeschätzt?
„Ziel ist ein lebendiger und autoarmer Stadtteil mit Gewerbe, Freizeitangeboten und sozialer Infrastruktur. Für die Energieversorgung wurde CO2-Neutralität beschlossen, das Verkehrskonzept basiert vorrangig auf dem Umweltverbund: Verkehrsvermeidung durch Vor-Ort-Angebote, eine leistungsfähige Straßenbahn (Tram 96) und ein Radschnellweg. Mit Blick auf mögliche Schwierigkeiten und drohende Anwohnerklagen, gilt es frühzeitig nach Lösungen zu suchen und nicht das Gesamtvorhaben in Frage zu stellen“ stellt Baerbock die Vorzüge des neuen Wohnquartieres dar und bittet die Verwaltung, die bestehenden Stolpersteine aus dem Weg zu räumen.
In dieser Frage schließt sich Scholz der Position der Potsdamer SPD an, in der es heißt: „Krampnitz ist ein wichtiges stadtentwicklungspolitisches Vorhaben – auch unter ökologischen Gesichtspunkten. Das zieht sich durch alle Lebensbereiche – von der Energieversorgung bis zur Verkehrsinfrastruktur. Mit der Entwicklungsmaßnahme werden vor Ort Umweltschäden in erheblichem Umfang beseitigt, gleichzeitig wird denkmalgeschützte Bausubstanz gerettet. Krampnitz bietet zudem die Chance, Zentrum für den Potsdamer Norden zu sein und Verkehrswege deutlich zu verkürzen. Hierfür ist auch die Straßenbahn ein wichtiges Vorhaben, nicht nur für Krampnitz selbst, sondern gerade auch für die nördlichen Ortsteile. Damit entsteht ein attraktives Angebot für den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV. Vor Ort sind Kita-Plätze, Schulen, Kulturangebote und vieles mehr geplant, was künftig vor Ort im Potsdamer Norden verortet sein wird, so dass lange Wege ins Potsdamer Zentrum nicht mehr zwingend nötig sind.“
Ludwig nimmt auch hier eine etwas andere Position ein: „Wir wissen, dass wir in den letzten Jahren durch die massive Versiegelung von Flächen der Natur geschadet haben, Wasser nicht mehr in den natürlichen Kreislauf zurückkehrt und so Umweltschäden entstanden sind. Der Groß Glienicker See ist ein Beispiel dafür.
Ich hatte gerade vor kurzem ein Gespräch mit 2 Vertretern von Parents for Future. Diese haben gefordert, dass der Klimaschutz an Nummer 1 stehen muss, ohne Wenn und Aber.
Nun kommt aber das Aber… Menschen brauchen auch ein Dach über dem Kopf. Und deshalb muss man abwägen, wo und wie man Wohnraum schafft. Und ja, oft geht das einher mit Eingriffen in die Natur. Diese müssen aber ausgeglichen werden, und zwar in der Region, wo die Eingriffe erfolgen. Das passiert in Potsdam zu selten. Für Bauprojekte werden dann Ausgleichsflächen in anderen Landkreisen geschaffen. Das geht so nicht mehr.
Außerdem gibt es mittlerweile viele Möglichkeiten des „Grünen Bauens“. Angefangen von begrünten Dächern über Wände bis hin zu öffentlichen Innenräumen. Da braucht die Stadt noch etwas mehr Kreativität und Willen, diese Art von Bauen umzusetzen. Dann muss die Schaffung von Wohnraum und Umweltschutz kein Gegensatz mehr sein.“
Sollte erst einmal ein übergeordnetes Verkehrskonzept erarbeitet werden, das auf aktuellen Zahlen basiert, und muss an dem Bau von Wohnungen für über 10.000 Menschen unbedingt festgehalten werden?
Baerbock und Scholz gehen auf diese Fragen nicht explizit ein, beantworten diese aber indirekt, indem Sie die aktuellen Pläne begrüßen. Beide sehen auch in der Verkehrsfrage kein auftretendes Problem. Das Konzept der kurzen Wege sowie der Ausbau des ÖPNV und neue Radwege sehen beide als ausreichend und praktikabel an.
Ludwig hingegen beschreibt die Planung der Stadtverwaltung eines Wohnquartieres mit über 10.000 Einwohnern als „reine Utopie“. Mehr als 3.000 Einwohner vertrage Krampnitz und die umliegenden Regionen nicht. Und auch dann funktioniere es nur, „wenn wir ein schlüssiges und funktionierendes Nahverkehrskonzept haben – im Übrigen mit frischen Ideen, die über Parkplatzbeschränkungen im Wohnquartier und eine kaum zu realisierende Tram hinausgehen. Die Einrichtung von Schiffsverbindungen mit umweltschonenden Solarschiffen zwischen Krampnitz und dem Hauptbahnhof ist allemal mehr als eine Prüfung wert.“
Fazit
Weder von Baerbock noch von Scholz gibt es kritische Anmerkungen zu dem Großbauprojekt. Beide sehen in der Umsetzung der Pläne eine Chance für die Stadt. Nur Ludwig ist weniger überzeugt und sieht deutliche Verbesserungsmöglichkeiten, um den ländlichen Raum mit seiner besonderen Anmut und seiner einmaligen Natur zu bewahren.
Vielleicht sieht man eben doch vieles anders, wenn man in Potsdam aufgewachsen ist.
sts