Tannennadeln können mehr als bloß grün sein. Zwar ist es für einen Baum schon eine Leistung, das ganze Jahr über zu grünen. Doch die Nadelspitzen eignen sich auch, um aus ihnen Marmelade, Gin, Pesto, Handcremes, Seifen oder Tee herzustellen. Wobei sich vor allem die weichen, hellgrünen Maitriebe empfehlen. Im Werderaner Tannenhof werden die Spitzchen jedes Jahr im Frühjahr geknipst, wie Dr. Christian Mai, Geschäftsführer der Werderaner Tannenhof GmbH & Co. KG, sagt. Grund für den Schnitt ist, dass die Menschen in Deutschland Weihnachtsbäume bevorzugen, bei denen zwischen den Zweigen Platz für Kugeln ist. Die Amerikaner dagegen bevorzugen dichte Tannen in Zuckerhutform, in denen der Schmuck nicht gehängt, sondern auf die Zweige gelegt wird. Deshalb fällt auf den Plantagen des Tannenhofs jedes Jahr viel flauschiges Grün an. Ein Abfallprodukt eigentlich.

Dr. Christian Mai hat im Jahr 2020 begonnen, diese überschüssigen Maitriebe zu Orangenmarmelade zu verarbeiten. Fichtennadeln seien ätherischer, Nordmanntannen viel dezenter, lobt der Geschäftsführer den Geschmack des Aufstrichs. Weil die Marmelade so gut geschmeckt habe, seien weitere Experimente gefolgt. Mittlerweile gibt es unter der Marke „Lieblingstanne“ 30 Produkte, denen die jungen Nadeln der Nordmanntanne ihre besondere Note geben. Die grüne Produktpalette hat sich mit Gin und Eierlikör und später mit Pesto, Gelee und Eis erweitert. Seit zwei Jahren gehören auch Kosmetikartikel wie feste und flüssige Seife, Badesalz und Raumdüfte dazu. Der Umsatz mit den Nadelprodukten steige, so seien auf der Grünen Woche, der bekannten Agrarmesse, 4.000 Flaschen mit Tannen-Eierlikör verkauft worden, sagt Dr. Christian Mai.

„Lieblingstanne“ ist eine Marke, die die Schwestern Blümel aus dem niedersächsischen Moisburg und Dr. Christian Mai gemeinsam betreiben. Wobei Saskia Blümel und Christian Mai verheiratet sind. Die Blümels sind wie die Unternehmerfamilie Mai aus Werder im Weihnachtsbaumgeschäft tätig. Verarbeitet werden für „Lieblingstanne“ die jungen Frühlingstriebe der unbehandelten Tannen, indem sie zunächst schockgefrostet werden. Verarbeitet wird das junge Grün von Partnern, damit einzelhandelsfähige Produkte entstehen. „Das wäre nicht richtig, so zu tun, als ob wir alles allein machen“, sagt Dr. Christian Mai. 400 Kilogramm der weichen, fast holzfreien Nadeln hat der Werderaner Tannenhof im letzten Jahr geerntet. „Ein Kilogramm pro Baum ist das Ziel“, so Mai. Verkauft werden die Tannennadelprodukte unter dem Label Lieblingstanne einerseits online, aber auch vor Ort im Hofladen. Dr. Christian Mai treibt bei den immer neuen Nadelideen eine Frage um: Wie schaffe ich es, aus dem Saisonprodukt Weihnachtsbaum eine ganzjährige Attraktion zu machen? Ziel sind gewissermaßen immergrüne Produkte. Dank der aromatischen und genießbaren Nadeln könnte die Tanne geeignet sein, zum Kern eines Erlebnisdorfes zu werden. Dr. Christian Mais Pläne für eine solche Attraktion im Potsdamer Vorort Werder sind bereits konkret. Damit die Menschen sich schon mal mit dieser Idee vertraut machen können, baut er seit seiner Berufung zum Geschäftsführer den väterlichen Tannenhof Stück für Stück zu einer Eventlocation um. „Wir wollen die Tanne rund ums Jahr erlebbar machen.“ Doch gleichzeitig wolle man nah am Stamm bleiben, also Wert auf Bodenständigkeit legen.

Vater Gerald Mai hat den Tannenhof 1990 gegründet und ist weiterhin Eigentümer. 2019 ist der Sohn zweiter Geschäftsführer geworden. Aus der ursprünglichen Adresse für Weihnachtsbaumschlagen im Advent (Dr. Christian Mai sagt Baumsägen) ist seitdem ein jedes Wochenende geöffneter Vorbeischau-Hof geworden. Erfinder von Tannennadelerzeugnissen sind die Blümels und Mais nicht. So ist zum Beispiel der Wipfelhonig (auch Wipfelsirup genannt) seit Jahrhunderten bekannt. Doch wenn das Tannenhof-Erlebnisdorf mit Produkten rund um den immergrünen Baum entsteht und zum Ausflugsziel für die ganze Familie wird, dann ist das nicht nur für Werder etwas Neues.