In Bornstedt tauscht man Literatur in einer alten Telefonzelle
Dass es früher einmal kleine Metallhäuschen mit Fenstern gab, in denen Münz- und später Kartentelefone hingen, ist den Jüngsten unter uns nur aus Erzählungen bekannt. „Ich weiß, die brauchte man früher als die Akkus der Handys noch nicht so lange gehalten haben“, antwortete ein Erstklässler als er während der Eröffnungsvorbereitungen gefragt wurde, ob er wisse, was eine Telefonzelle sei, erzählte Kirstin Spitz von der Stadtteilinitiative Bornstedt (SIB), die die Lesezelle auch betreibt, bei der Eröffnung.
Bei den meisten von uns entfacht der Anblick einer gelben Telefonzelle nostalgische Gefühle, bei den Jüngeren wohl eher Stirnrunzeln. Vorbei sind die Zeiten, in denen man eine Münze nach der anderen in den Schlitz eines großen Metallkastens einwerfen musste, um seinem Gesprächspartner den neusten Klatsch zu berichten oder vor der Telefonzelle darauf wartete, das eben dies bald in der Telefonzelle sein Ende findet, um auch bald telefonieren zu können. Auch bei plötzlich einsetzendem Regen boten die Telefonzellen willkommenen Schutz, oft für mehrere Personen gleichzeitig.
Ein langer Weg zur richtigen Telefonzelle
Vor etwa vier Jahren laß die Leiterin des Volkspark Potsdam, Diethild Kornhardt, in der Tagespresse über einen Ablageplatz ausgedienter Telefonzellen. Kornhardt hatte gleich die Idee, eine dieser Telefonzellen zu einem Regal umzufunktionieren, nur eine gelbe sollte es sein. Parallel nahm Kornhardt Kontakt zu Kirstin Spitz auf, um die Idee auszuformulieren und in die Tat umzusetzen. Nach fast zwei Jahren mühevoller Arbeit war es dann soweit, für 600 Euro wechselte die alte Gelbe den Besitzer und fand nun ihren finalen Platz in der Verlängerung der David-Gilly-Straße, Ecke Erwin-Barth-Straße.
Die alte Telefonzelle ist nun eine Lesezelle geworden. Hier können Bücher eingestellt, mitgenommen, getauscht und vor allem gelesen werden. Jeder, der alte Bücher ausrangieren möchte oder auf der Suche nach einem neuen Buch ist, findet hier den passenden Ort. In der Regel funktioniert es so, dass jeder, der ein Buch mitnimmt auch eines dort lässt. Zur Eröffnung füllten sich bereits die ersten Regale. Weil die Zelle nicht unendlich viele Bücher fasst, empfiehlt die SIB, nicht alle Bestände auf einmal mitzubringen.
Spitz hofft auf die Annahme der Lesezelle als Ort des Verweilens, des Austausches und der Ruhe. Auch sollen hier später Lesungen stattfinden. Die erste fand gleich am Eröffnungstag statt. Der gebürtige Bornstedter Klaus Büstrin las aus „Stille. Ein Wegweiser“ des norwegischen Abenteurers Erling Kagge (erschienen im Insel Verlag). Die interessierten Gäste und Besucher lauschten schweigend und ein wenig andächtig.
Heute finden sich immer mehr Bücher- bzw. Lesezellen in Potsdam, so auch vor der Kulturscheune in Marquardt oder in der Schiffbauergasse, die jedoch durch die neue Außengestaltung den nostalgischen Charme der gelben Lesezelle vermissen lassen.
Vielleicht bilden sich ja irgendwann einmal wieder lange Warteschlangen vor dieser „Telefonzelle“ – so wie früher.
sts