Von der Pressesprecherin von Extinction Rebellion zur Bundestagskandidatin
Im September dieses Jahres wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Auch in Potsdam und Umgebung wird gewählt. Der POTSDAMER interviewt bis zum September alle Kandidaten des Wahlkreises 61. Begonnen wird mit der parteilosen Lu Yen Roloff, die sebstbewusst gegen viele bekannte Politgrößen antritt.
Ihr Motto ist „einfach machen“. Was meinen Sie damit?
In der ersten Corona-Welle gab es für mich einen Schlüsselmoment. Viele Politiker – es waren vor allem Männer – wollten zurück zu einem “Normalzustand”. Und förderten Verbrennungsmotoren, zahlten Milliarden-Hilfen für TUI und Lufthansa aus. Für mich war klar, wir brauchen jetzt ein „besseres Normal“. In dem wir die Grenzen von Mensch und Natur respektieren und das Gemeinwohl der Menschen im Vordergrund steht.
Durch meine Zeit in der Klimabewegung weiß ich, wie dringend wir handeln müssen. Doch für die jetzt schon vorhandenen Lösungen – z.B. die Verkehrswende, erneuerbare Energien – mangelt es an politischem Willen. Deswegen kandidiere ich als freie Kandidatin in Potsdam für den Wahlkreis 61 für ein Direktmandat in den Bundestag. Ich will nun selbst Politik einfach MACHEN!
Aber das kann ich nicht alleine schaffen – sondern nur, wenn sich Menschen, die meine Ziele teilen, mit mir organisieren. Gemeinsam können wir uns für eine klimagerechte Verbesserung unserer Stadt einsetzen, konkret und vor Ort. Dafür werde ich eine digitale Plattform bauen mit kleinen, niedrigschwelligen Aktionen: also Politik auch EINFACH machen.
Sie beschreiben die CDU und SPD als „Scheinriesen“. Welche Chancen rechnen Sie sich als recht unbekannte Politikerin gegen die größeren Parteien aus?
Die Chancen für eine unabhängige Kandidatin waren nie realistischer. Seit Jahrzehnten verlieren die Volksparteien WählerInnen und die Stimmen verteilen sich auf mehr Parteien.
In unserem Wahlkreis ist die Mehrheit für ein Direktmandat auf ca. 25 % gesunken – also 50.000 Stimmen. Viele Menschen empfinden eine große Distanz zu den Parteien und ihren SpitzenpolitikerInnen und suchen nach einer Alternative, um sich jenseits von erstarrten Strukturen zu engagieren: schneller und flexibler, ohne eine Ochsentour durch Parteihierarchien, ohne gläserne Decke. Junge Menschen wollen mit ihren Forderungen und Kompetenzen ernstgenommen werden und sich einbringen.
Ich mache diesen Menschen ein positives Angebot: Wer den politischen Wandel genauso herbeisehnt wie ich, kann sich in der Kampagne „Einfach Machen“ engagieren. Wahlkampf von allen für alle, mit konkreten, lokalen Aktionen, die Spaß machen. Gemeinsam bilden wir eine Freiwilligenbewegung, die als ersten Stärketest ein Direktmandat gewinnt.
Sie haben sich als Klimaaktivistin dem Umweltschutz verschrieben. Wie sehen Sie da Ihre Positionierung zu den Grünen? Gibt es Unterschiede?
Ich trete für echten, sofortigen Klimaschutz und das Gemeinwohl an. Wenn wir das 1,5 Grad-Limit einhalten wollen, können wir nicht erst 2050 klimaneutral werden, sondern müssen in den nächsten zehn Jahren drastisch Emissionen senken – und dafür müssen wir in allen Politikfeldern konsequenter handeln. Hier möchte ich die Grüne Partei herausfordern und unterstützen, mutiger und kompromissloser aufzutreten. Und die vermeintlich “unpopuläre” Debatte um in Zukunft knapper werdende Ressourcen zu führen. Eine Debatte, die wir brauchen, damit ein gutes Leben für alle möglich bleibt.
Die Wachstumsregion Potsdam ist das beste Beispiel: Flächen, Grundwasser, Natur, alles wird knapper. Aber viel zu sorglos werden alte Baumbestände wie an der Nutheschlange oder Behlertstraße zugunsten von Bauprojekten geopfert, naturnahe Flächen wie der Remisenpark sollen Sportplätzen weichen. Am Seddiner See zapft in Hitzesommern ein Golfplatz das Wasser ab, und der See stirbt daran.
Es ist Zeit, dass wir uns einer unangenehmen Frage stellen: Wollen wir stillschweigend für den Wohlstand Weniger das Gemeinwohl und die Natur gegeneinander ausspielen? Oder endlich widerstreitende Interessen offen und respektvoll miteinander verhandeln und gemeinsam zu besseren Lösungen kommen?
Sie plädieren für autofreie Städte, regionale Lebensmittelproduktionen auf dem Land, den Schutz der Wälder und sprechen von harten Einschnitten, die notwendig seien, um den Klimawandel zu stoppen. Kann das von Berlin aus verordnet werden oder sind das eher landes- und kommunalpolitische Themen?
Anders herum: Wie können wir auch lokal Einfluss nehmen auf die Bundespolitik? Aktuell ist die Gesellschaft weiter als die Politik. Ich möchte als Kandidatin mit den BürgerInnen von Potsdam ein Signal an meine KonkurrentInnen Olaf Scholz und Annalena Baerbock, und damit an die SPD und Grünen senden: Kommt in die Pötte! Ich möchte erfolgreiche lokale Initiativen hier im Wahlkreis stärken und miteinander vernetzen, um mit ihnen gemeinsam auf Landes- und Bundesebene Einfluss zu entwickeln. Das geht am Besten durchs Handeln: Wenn wir im Wahlkreis loslegen, signalisieren wir damit an Politiker auf allen Ebenen, was wir wollen und zeigen konkrete Lösungswege auf.
Sie betonen immer wieder, dass hinter Ihnen keine Partei steht, die viel Geld habe, um einen entsprechenden Wahlkampf mit Großplakaten, Flyern und Fähnchen finanzieren zu können.Wie möchten Sie die Menschen im Wahlkreis 61 für sich gewinnen und erreichen?
Bislang funktioniert das vor allem durch persönliche Empfehlungen von denen, die mich kennengelernt haben, echte Mund-zu-Mund-Propaganda. Ich will Hoffnung und Perspektiven geben: Viele Menschen machen sich doch Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel, weil in der Natur und unserer Gesellschaft vieles ins Ungleichgewicht gekommen ist – allein die Temperaturschwankungen von 36 Grad innerhalb einer Woche! Wer sich angesichts dieser großen Themen ohnmächtig und hilflos fühlt, kann sich auf „Einfach Machen“ einbringen und MitstreiterInnen finden. Das lohnt sich übrigens auch unabhängig vom Wahlergebnis. Wir können alle nur gewinnen, wenn wir uns miteinander organisieren.
Über welchen Weg wollen Sie die aus Ihrer Sicht notwendigen Maßnahmen umsetzen und sowohl Entscheider als auch die Wähler auf diesem Weg mitnehmen?
Wir organisieren uns von Mensch zu Mensch, durch persönliche Empfehlungen und Netzwerke. Wir machen Demokratie wieder lebendig und im Alltag erlebbar – so ein Wahlkampf ist ja Demokratie in Aktion! Menschen können hier wirklich mitgestalten, einander vertrauen und kooperieren.
Das Ziel ist klar: Wir müssen die Grenzen von Natur und Menschen respektieren und zur absoluten Priorität machen. Wir verfolgen eine positive Vision, die uns Kraft gibt, mutig zu handeln. Wir zeigen den Zweiflern, wie wir damit unsere Lebensqualität steigern können. Durch konkrete kleine Schritte, die im Alltag gut umsetzbar sind und Vorbildcharakter für andere haben.
Welche Themen möchten Sie für die Zukunft Potsdams in den Bundestag nehmen und sich für diese stark machen?
Ich möchte die wunderschönen Landschaften in Brandenburg schützen, die Seen, die Wasservögel. Damit ein ausgetrockneter See wie der Fresdorfer See die Ausnahme bleibt und der Seddiner See eine Zukunft hat.
Ich glaube, dass wir schnell merken werden, dass für die Mehrheit der BürgerInnen noch mehr Lebensqualität entsteht, wenn wir Autoverkehr weiter eindämmen und den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, unsere Bäume und Grünflächen vor Zersiedelung, Abholzung und Mülldeponien schützen, die Bürgerbeteiligung noch lebendiger machen und dafür sorgen, dass Wohnen bezahlbar und unsere Städte damit vielfältig und lebendig bleiben. Und ich stehe für eine breite Beteiligung der Zivilgesellschaft, die ich mit einem Bundestagsmandat noch besser organisieren kann.
Das Interview führte Steve Schulz