Warum die Landeshauptstadt in der Bredouille ist

Klimaschutz, Umweltschutz, Naturschutz. Was umgangssprachlich eher synonym gebraucht wird, entscheidet sich in der Praxis doch ganz erheblich voneinander.
Wobei ich mich jedoch frage: Sind Klima und Umwelt nicht auch Natur? Also ist nicht alles um uns herum Natur? Und wer glaubt, zwischen dem einen und anderen wirklich unterscheiden bzw. eine Grenze ziehen zu können?
Der Klimaschutz versucht die Erderwärmung und damit die negativen Begleiterscheinungen in den Griff zu bekommen, mit der Absicht, das uns bekannte Klima beizubehalten. Der Umweltschutz ist ein nicht unbedingt weniger globales Thema, wobei die Aufgaben und Projekte deutlicher zugeteilt sind und sich somit die Maßnahmen klarer voneinander abgrenzen und sich nicht nur auf die Begrenzung von Schadstoffemissionen fokussieren. Umweltschutz kann zum Beispiel sein, weniger Plastik in die Meere zu kippen. Mit dem Klima hat das dann erst einmal weniger zu tun.
Unter dem Naturschutz verstehen wir allerdings weniger ein globales als mehr ein sehr regional ausgerichtetes Thema. Naturschutz findet deshalb häufig vor unserer eigenen Haustür statt. Ja, auch der Umwelt- und Klimaschutz ist aus einer globalen Sicht auf eine individuelle herunterzubrechen, doch nicht zu erreichen. Während man den Umwelt- und Klimafragen nur begegnen kann, wenn man global denkt und individuell handelt, liegt die Verantwortung des Naturschutzes in einem sehr viel enger gezogenen Kreis, der ganz allein darüber entscheiden kann, ob Naturschutz funktioniert oder nicht.

Baden ist im Sommer schön, nur muss man sich in einem Naturschutzgebiet dabei auch an die Regeln halten

Baden ist im Sommer schön, nur muss man sich in einem Naturschutzgebiet dabei auch an die Regeln halten. Foto: sts

Potsdams Masterplan

So ist es auch in Potsdam, einer Stadt, deren Anmut von einer wasser-, feld-, wald- und wiesenreichen Landschaft lebt – und noch von einer einzigartigen architektonischen Substanz, die dem Besucher Potsdams Geschichten der letzten Jahrhunderte erzählt. Neben der vielfältigen und erhaltenswerten Kulturlandschaft ist es das Zusammenspiel von Flora, Fauna und Gewässern, das unsere Stadt so einzigartig auf der Welt macht.
Und diese sehr fragile Einzigartigkeit ist in Gefahr. In Gefahr, für immer, unwiederbringlich zerstört zu werden. Wie soll das möglich sein, in einer Stadt, die den Klimanotstand ausgerufen hat und die seit 2016 Masterplan-Kommune ist. Eine Reduktion von 95 Prozent der Treibhausgasemissionen und 50 Prozent des Energieverbrauchs gegenüber 1990 haben sich diese Masterplan-Kommunen bis 2050 zum Ziel gesetzt. Seit 2007 gibt es sogar in der Landeshauptstadt eine Koordinierungsstelle Klimaschutz. Die Handlungsfelder sind dabei klar definiert und abgesteckt: Klimagerecht und energieeffizient soll die Stadtentwicklung sein, die Energieversorgung primär aus Erneuerbaren Energien stammen, neue Gebäude sollen energetisch nachhaltiger gebaut und alte entsprechend saniert werden, die Wirtschaft soll dabei Vorbildfunktion haben und als Innovationsmotor fungieren, in den privaten Haushalten sollen nicht nur neue Geräte, sondern vor allem ein neues Bewusstsein einziehen, im Verkehr soll der Ausbau des ÖPNV und die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs für den Klimaschutz sorgen, und nicht zuletzt soll der gesamte CO2-Ausstoß massiv gesenkt werden. Alles beachtliche, vernünftige und wohl überfällige Ziele, die die Stadt sich auf die metaphorischen Fahnen geschrieben hat und dies gerne nach außen kommuniziert.

Klimaschutz ja, Naturschutz nein?

In dem oben beschriebenen Maßnahmenkatalog der Stadt fehlt jedoch etwas. Der Naturschutz. Nichts steht geschrieben von der Notwendigkeit, im Naturschutzgebiet dafür zu sorgen, dass unsere Artenvielfalt ungestört existieren kann und dass jedwede Bedrohung und Zerstörung unverzüglich zu beenden und zu ahnden ist. „Es gibt keinen Kompromiss in Sachen Klimaschutz“, heißt es von der Rathausspitze völlig zu Recht. Wenn man sich aber selbst so hohe Ziele steckt, wie ist es dann möglich, dass dabei der vor der Tür stattfindende Naturschutz dabei kaum eine Rolle spielt?
Da mag sich so mancher fragen, wie es sein kann, dass es der Stadt nicht gelingt, ein paar Schilder um einen in einem Naturschutzgebiet liegenden See aufzustellen, um die vielen in der Uferzone lebenden Tier- und Pflanzenarten vor den Badenden zu schützen? Und warum die angekündigten Kontrollen nicht zu beobachten waren, die die vielen wilden Camper, Grillfreunde, Bootfahrende und Hundebesitzer (deren freilaufender Hund der einzige ist, der wirklich hört) daran erinnern, dass man sich in einem Naturschutzgebet aufhält und daher ein Verhalten an den Tag zu legen hat, das der Absicht des Naturschutzes entspricht und nicht seiner Zerstörung.

Der Klimaschützer im Widerspruch

Zuhause waren sie noch Klimaschützer. Bei 30 Grad im Schatten jedoch, muss man doch aber mal mit seinen Kindern – für die man ja das Klima schützen will – schwimmen gehen dürfen, heißt es oft von den Badenden, wenn man sie freundlich darauf hinweist, dass sie an Stellen baden, die nicht dafür gedacht sind. Doch wenn es an den beiden offiziell geduldeten Badestellen am Sacrower See zu voll ist, sucht man sich halt eine passendere Stelle, an der man ungestört mit der ganzen Familie und der mitgebrachten Ausrüstung schwimmen kann. Wenn möglich, fährt man dann auch noch bei der höchsten Waldbrandgefahrenstufe mit dem Auto ein Stückchen in den Wald, um nicht so weit laufen zu müssen. Aber alles ohne böse Absicht, man ist ja schließlich umweltbewusst.
„Wir haben keine Möglichkeit, die Vergehen zu ahnden“, heißt es von der unteren Naturschutzbehörde Potsdams. Das stimmt so allerdings nicht ganz. Denn eine gute Rechtsgrundlage für die Ahndung von Verstößen gegen die naturschutzrechtlichen Vorschriften sind die §§ 69 (Bußgeldvorschriften) und 71 (Strafvorschriften) des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG).

Im Falle der oft zu beobachtenden Ordnungswidrigkeiten, reichen die Ahndungsmöglichkeiten je nach Art und Umfang des Verstoßes von der mündlichen Verwarnung bis hin zu einem Bußgeld im sechsstelligen Bereich. Einzelheiten ergeben sich aus dem Bußgeldkatalog „Umweltschutz“ (wieder so ein austauschbarer Begriff, war nicht vom Naturschutz die Rede?).

Quo vadis Potsdam?

Sowohl für der Ahndung der Ordnungswidrigkeit als auch für den ordnungsgemäßen Zustand von Natur und Landschaft wäre eigentlich die Naturschutzbehörde zuständig. In Potsdam sieht das ein wenig anders aus. Hier trafen sich Revierförster sowie Mitarbeiter des Ordnungsamtes und der Verwaltung am Sacrower See im Spätsommer 2018, um abzustimmen, wer denn nun für was zuständig sei. Schnell einigte man sich und beschloss, durch mehr Präsenz und eine deutliche Beschilderung für mehr Naturschutz zu sorgen. Ein schneller Entschluss, der für den Sommer 2019 Hoffnung machte. Dabei blieb es dann aber auch. Passiert ist leider nichts. Keine nennenswerten Kontrollen, keine spürbaren Konsequenzen für ignorantes Verhalten, keine neuen Schilder.
Wieso werden wir immer wieder mit neuen und angeblich nachhaltigen Konzepten medial beworfen, die noch nicht einmal ansatzweise umgesetzt werden (können)? Wie soll man das globale Ziel des Klimaschutzes erreichen, wenn man noch nicht einmal imstande ist, brütende Wasservögel vor freilaufenden Hunden zu schützen? Wieso ist man dazu bereit, viele Millionen Euro für den Klimaschutz auszugeben, spart aber an Personal, das Kontrollen im Naturschutzgebiet durchführen könnte? Wieso sollen Unternehmen innovative Klimaschutz-Ideen entwickeln, wenn man es noch nicht einmal schafft, ein paar Holzschilder um einen See herum aufzustellen? Wie soll eine Stadt die an sich selbst gesteckten Ziele im Klima-, Umwelt- und Naturschutz erreichen, wenn sie es noch nicht einmal schafft, in einem Naturschutzgebiet für Ordnung zu sorgen?
Ich bin gespannt, wie ernsthaft, ganzheitlich und nachhaltig Potsdam den Naturschutz angeht und hoffe, dass es sich bei der neuen Positionierung der Stadt nicht nur um eine Marketingmaßnahme handelt, weil es gerade angesagt ist, umweltbewusst zu sein. Oder war es naturbewusst oder vielleicht doch eher klimabewusst?

Steve Schulz