Betroffene sind fassungslos

Der Fachbereich Bauaufsicht, Denkmalpflege, Umwelt und Natur fordert im Namen des Oberbürgermeisters die Einstellung des seit 2011 bestehenden Kinderbauernhofs in Groß-Glienicke bis spätestens 17. Oktober 2018.
Der Grund für die Entscheidung gibt der zuständige Fachbereich in einem dem POTSDAMER vorliegenden Schreiben damit an, dass für die genutzten Gebäude, Gebäudeteile oder Gehege keine Baugenehmigung beantragt bzw. erteilt worden sei.
Noch in seiner Juli-Ausgabe berichtete der POTSDAMER über die besondere pädagogische Arbeit des Kinderbauernhofes der Elterninitiative Spatzennest e.V. Nun soll die in der Region einzigartige Einrichtung, deren Bestehen bereits seit vielen Jahren in anderen Bereichen der Stadtverwaltung häufig als Vorzeigeprojekt seitens der Stadt gelobt wurde, geschlossen werden.


Der Eigentümer, Michael Fruth, hat das Gelände 2006 gekauft. Schon 2007 und 2008, haben vor Ort Begehungen mit Mitarbeitern aus allen Fachbereichen des Bauamtes stattgefunden, um mit Fruth dessen Pläne, den Hof wieder aufzubauen, zu erörtern. „‚Da gehen wir mit, wenn Sie sich das antun wollen’, war der damalige Tenor“, erinnert sich Fruth gegenüber dem POTSDAMER. Von da an hatte sich Fruth an den Wiederaufbau und die Wiederbelebung des Hofes gemacht und seine gesamten Ressourcen in das Projekt gesteckt. Zuerst wurden die Stallungen und die Grünflächen wieder so aufgebaut und hergerichtet, dass die kleinen und größeren Nutztiere nach und nach einziehen und sich wohlfühlen konnten. Nachdem auch die Räume für die Kinder ausgebaut und eingerichtet wurden, konnte mit dem pädagogischen Projekt „Tiere im sozialen Einsatz“ unter Leitung der Elterninitiative Spatzennest e.V. im Oktober 2011 begonnen werden.
Heute steht der Hof nicht nur den Kleinsten zur Verfügung. Auch Mitarbeiter der hiesigen Seniorenwohnheime kommen mehrmals in der Woche mit ihren Bewohnern vorbei, um diesen ein ganz besonderes und naturnahes Erlebnis zu ermöglichen. Zusätzlich werden auf dem Hof auch Therapiestunden mit Tieren angeboten.

Ein erster Hilferuf mit großer Resonanz
Bereits im Juli sprach Fruth mit dem POTSDAMER über die bedrohliche Situation, der sich kurz darauf an einige Mitarbeiter der Stadtverwaltung wandte, um sich dieser fragwürdigen Nutzungsuntersagung anzunehmen. Schnell traf das Thema auf großes Interesse und warf viele weitere Fragen auf. Niemand, der sich mit Fruth oder dem Vorstandsvorsitzenden der Elterninitiative Spatzennest e.V., Dr. Stephan Albrecht, ernsthaft unterhielt, konnte die Begründung der Stadtverwaltung, die zur Nutzungsuntersagung führte, nachvollziehen. Schnell formierte sich eine fraktionsübergreifende Gruppe unter den Stadtverordneten, die sich der Problematik annahm und angefangen hat, nach den wirklichen Ursachen dieser Nutzungsuntersagung zu suchen, mit dem Ziel, den Hof für die Kinder zu erhalten. Auch Bundes- und Landtagsabgeordnete haben sich mittlerweile eingeschaltet und setzen sich für die Erhaltung des Hofes ein.


Dass die Bauaufsicht plötzlich feststellt, dass Gebäude auf dem Kinderbauernhof „entgegen öffentlich-rechtlicher Vorschriften“ errichtet worden seien, kann nach der mehrjährigen Inbetriebnahme des Hofes nicht nachvollzogen werden. Vor allem, weil es häufige Besuche von Mitarbeitern verschiedenster Fachbereiche der Stadtverwaltung auf dem Hof gab. Beispielsweise besuchten Mitarbeiter des Jugendamtes die Anlage regelmäßig und freuten sich über die erfolgreiche Arbeit mit den Kindern. „Seit fast 12 Jahren bin ich mit der Stadt im Gespräch. Und jetzt soll alles einfach so vorbei sein?“, äußert sich Fruth verzweifelt.
Warum die Bauaufsicht nun mit Kanonen auf Spatzen schießt, bleibt in der Tat unklar. Vor allem, weil in dem Schreiben der Bauaufsicht kein einziger Hinweis zu finden ist, der eine einvernehmliche und der Sache dienlichen Lösung anbietet. Die Entscheidung der Nutzungsuntersagung sollte daher von Seiten der Bauaufsicht sicherlich noch einmal vollumfänglich begründet werden.

Stadt kann reagieren – wenn sie will
Das Schreiben der Bauaufsicht liest sich wie eine Aneinanderreihung von Mutmaßungen und sogenannten „Kann-Maßnahmen“ in Bezug auf die festgestellten Verfehlungen. So „können“ die in dem Schreiben des Fachbereichs angeführten versäumten Bauanträge mit einer entsprechend harten Strafe geahndet werden, müssen es aber nicht.
So heißt es im Schreiben der Bauaufsicht unter Punkt „3. Beseitigung der für die Tierhaltung erforderlichen baulichen Anlagen und Einfriedungen:
Gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 Brandenburgische Bauordnung (BbgBO) kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen anordnen, wenn diese im Widerspruch zu den öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden und rechtmäßige Zustände auf andere Weise nicht hergestellt werden können.“ (Die auf das Bestehen eines Ermessensspielraums hinweisenden Textstellen wurden seitens der Redaktion hervorgehoben. Diese Hervorhebungen finden sich im Originalschreiben nicht.)

In keiner Zeile des dem POTSDAMER vorliegenden Schreibens wird Bezug darauf genommen, welche Reaktionsmöglichkeiten es seitens der Stadt denn noch gäbe, mit dem Sachverhalt lösungsorientiert und im Sinne der Betreiber umzugehen. Auch findet sich kein Hinweis dahingehend, warum sich der verantwortliche Mitarbeiter für eine derart harte und unverhältnismäßige Konsequenz entschieden hat, ohne dem Betreiber die Möglichkeit zu geben, auf die Vorwürfe adäquat reagieren zu können. Da der verantwortliche Mitarbeiter der Bauaufsicht in Elternzeit ging, kurz bevor Fruth und der Spatzennest e.V. die Nutzungsuntersagungen erhalten haben, steht dieser zurzeit dem POTSDAMER nicht für ein Interview zur Verfügung.

Nun liegt es an den Stadtverordneten, den Mitarbeitern der Bauaufsicht und vielleicht auch bei dem Bürgermeister selbst, dafür zu sorgen, dass es in diesem Fall zu einer schnellen und verhältnismäßigen Lösung kommt, die vor allem ein Ziel verfolgt: die Erhaltung eines Kinderbauernhofes mit einem hervorragenden pädagogischen Konzept und einem erheblichen Mehrwert für die Stadt Potsdam.
Mittlerweile haben sich auch Einwohner in ausliegenden Unterschriftenlisten für die Erhaltung des Hofes ausgesprochen.

sts