Auf den Spuren eines sonderbaren Phänomens
Schön ist sie wieder geworden, die Groß Glienicker Dorfkirche. Seit vielen Jahren wird sie aufwendig restauriert, um wieder in alter Pracht ihre Besucher zu empfangen.
Doch während man sich über die wiedererweckte Herrlichkeit des frühbarocken Inneren erfreut und der interessierte Betrachter die Geschichte des ältesten erhaltenen und begehbaren Gebäudes Potsdams an der kürzlich freigelegten Fassade abzulesen vermag, fällt der Blick der wenigsten auf einen merkwürdig anmutenden Stein, links neben dem Eingang der Brautpforte.
Einem Schachbrett in seiner Zeichnung und sogar Farbgebung ähnlich, unterscheidet sich dieser gänzlich in seiner Anmut von den anderen Feldsteinen, die die Außenmauern des himmlischen Gebäudes aus dem 13. Jahrhundert tragen. Wieso ist dieser Stein so besonders gestaltet und warum ist er an dieser doch sehr markanten Stelle zu finden?
Die nach ihrem Aussehen benannten Schachbrettsteine findet man ausschließlich an Granitquaderkirchen des 12. und 13. Jahrhunderts. Selten sind sie farblich so markant wie der der Groß Glienicker Dorfkirche. Meist sind sie unscheinbarer und in ihrer Färbung den anderen Steinen ähnlich. Sie sind während der Bauzeit der Kirchen entstanden und nicht im Nachhinein dort eingefügt worden. Das Schachbrettmuster wurde anfangs mit Hammer und Meißel in die Oberfläche des Steins geschlagen, später sollen chemische Stoffe verwendet worden sein, die die Oberflächen verfärbten.
Häufig befinden sich Schachbrettsteine an der Hauptfassade, der man sich dem Gotteshaus nähert. Dort wurden sie häufig an Gebäudeecken eingesetzt. Weil diese besonderen Steine jedoch nur einzeln, selten im Paar auftreten, geht man davon aus, dass diese keine Schmuckelemente, sondern eher symbolischen Charakters sind. So sollen die sorgsam bearbeiteten Steine z.B. auf kirchliche Bauhütten und deren adligen und kirchlichen Herrschaften (Askanier bzw. Zisterzienser) hinweisen und somit der Wiedererkennung der Bauhütten selbst dienen.
Die Interpretation der Schachbrettmuster, deren Netz- oder Gitterformen in ihrer Gesamtheit oft als unheilabwehrend verstanden wurden, werden durch die ausschließliche Anbringung der Steine an Außenwänden unterstützt. Weil Schach zur damaligen Zeit das Spiel der Adligen und Geistlichen war, sehen viele das Schachbrettmuster als verbindendes Element zwischen den beiden einzigen zur Bildung Zugang habenden Gesellschaftsgruppen.
Reinhard Tiersch aus Jacobsdorf hat einen eigenen Interpretationsansatz: Er verweist auf den Bezug, den der Schachbrettstein auf den die Kirche umgebenden Friedhof nimmt und damit die Gleichheit aller Menschen vor dem Tode symbolisiert.
„Die Kirchen mit Schachbrettsteinen stammen aus der Zeit der Christianisierung im 13. Jahrhundert in dem Gebiet im jetzigen Deutschland und Polen, in dem damals die Pommern unter Einfluss der Dänen nach Süden vordrangen und die bisherigen religiösen Heiligtümer der hier ansässigen Slawen ersetzten. Die christlichen steinernen Kirchen wurden dabei als neuer religiöser Mittelpunkt erstmalig direkt im Mittelpunkt des Ortes errichtet. In dieser Zeit änderte sich auch der bisherige Totenkult grundlegend. Die Toten wurden nun erstmalig in Gräbern auf dem mit einer Mauer umgebenden Kirch- bzw. Friedhof direkt neben der Kirche bestattet und nicht mehr nach ihrer Verbrennung in Urnen außerhalb der Ortschaften an heiligen Stellen vergraben.“
In der Bibel finden sich viele metaphorische Beschreibungen, in denen Jesus im Wort Gottes als Stein vorgestellt wird und somit zu einem Symbol der Kraft und Stärke wird:
(Joh 1,42; Mt 16,18): “… Die Menschen schätzen Ihn gering ein. Sie sind ausserstande, seine Kostbarkeit zu erfassen. Doch bei Gott ist dieser Stein auserwählt, ohne seinesgleichen …“
(Eph 2,20-22): „… Der Eckstein ist der wichtige Stein eines Baus, der ihn «wohl zusammengefügt» hält. So wächst der Bau, in dem Jesus Christus selbst Eckstein ist … Christus ist die Kraft und das Band seines Volkes …“
(Psalm 118,22; Matthäus 21,42; Apostelgeschichte 4,11; 1. Petrus 2,7): „… Die beiden Jünger erklärten freimütig, dass der Kranke in dem Namen Jesu Christi, des Nazaräers, den sie gekreuzigt hatten, gesund geworden sei «Dieser ist der Stein, der von euch, den Bauleuten, verachtet, der zum Eckstein geworden ist»“
An diesen und vielen weiteren Passagen wird die Symbolifizierung Jesu deutlich, der zum tragenden und alles zusammenhaltenden Eckstein und somit zum Bindeglied zwischen Gott und den Menschen geworden ist. sts