Bürgerinitiative Potsdamer Norden reicht 59-seitige Einwendung gegen Raststätte ein

Am Dienstag, dem 13. April 2021,  gabt die Bürgerinitiative Potsdamer Norden (BI) die Einwendung gegen den Bau der Raststätte „Havelseen“ am Standort Potsdam-Nord ab. Somit überreichten kurz vor dem Ende der Frist am 15.04.2021 Vertreter der BI das knapp 60-seitige Dokument an die Stadt Potsdam, die die Einwendung an das Landesamt für Bauen und Verkehr weiterleiten wird.

„Wir freuen uns, dass sich die Stadt Potsdam voll hinter uns gestellt und erkannt hat, welch wertvolles Land durch ein so riesiges Bauprojekt im Norden der Landeshauptstadt verloren ginge“, sagt Susanna Krüger aus Satzkorn, Mitbegründerin der BI. „Wir haben die Planfeststellungsunterlagen gemeinsam mit dem Fachanwaltsbüro Kremer/Werner Rechtsanwälte durchgearbeitet und zahlreiche Fehler gefunden“, erklärt Ingo Kunde von der BI.

Vertreter der BI Potsdmarr Norden vor dem Potsdamer Rathaus mit der 59-seitige Einwendung gegen die Raststätte "Havelseen" (im Bild Mitglieder der BI aus Paaren, Marquardt und Satzkorn: Nicole Vandre, Alex Hartung mit Mutter Marleen Hartung, Ingo Kunde (mit Mappe), Jörg Bruns, Brigitta Krukenberg, Wolfgang Bivour, Silke Beckedorf, v.l.)

Vertreter der BI Potsdmarr Norden vor dem Potsdamer Rathaus mit der 59-seitige Einwendung gegen die Raststätte „Havelseen“ (im Bild Mitglieder der BI aus Paaren, Marquardt und Satzkorn: Nicole Vandre, Alex Hartung mit Mutter Marleen Hartung, Ingo Kunde (mit Mappe), Jörg Bruns, Brigitta Krukenberg, Wolfgang Bivour, Silke Beckedorf, v.l.)
Foto: privat

Keine ausreichende Prüfung

Zu den Kernforderungen der BI zählt, dass die Modernisierung der bestehenden Raststätten Wolfslake detailliert geprüft wird, was bisher nur oberflächlich gemacht wurde. Dabei sei die Festlegung auf den Standort Potsdam viel zu früh erfolgt, und die Entscheidung für den Neubau sei außerdem mehr als zehn Jahre alt, heißt es von der BI. „Der Landesbetrieb Straßenwesen hat sich offenbar zu einem sehr frühen Verfahrenszeitpunkt in diesen Standort verliebt“, sagt BI-Mitglied Nicole Vandre, die die Planungsunterlagen intensiv durchgearbeitet und zahlreiche Ungereimtheiten gefunden hat. Begründet hat der Landesbetrieb die Entscheidung hauptsächlich damit, dass die Entfernung der Raststätten zueinander etwas gleichmäßiger wäre. „Die Raststätte Wolfslake ist etwas weiter entfernt von den Rasthöfen Buckautal und Fläming als der Standort Potsdam, aber das ist marginal“, sagt Kunde. Zudem verweist die BI darauf, dass die Richtlinien, nach denen die Abstände zwischen Raststätten geplant werden, teilweise noch aus den 80er-Jahren stammen, also aus Zeiten lange vor der Erfindung moderner Routenplanungs- und Navigationsgeräte. Das zweite Argument für den Neubau, den Mangel an Stellplätzen für LKW zu verringern, ist ebenfalls nicht schlagkräftig, denn Stellplätze für LKW werden durch den Neubau nicht neu geschaffen, es werden lediglich die vorhandenen Stellplätze in Wolfslake und die auf zwei kleineren Parkplätzen zwischen Potsdam-Nord und Spandau ersetzt.

Raststätte wird zum Leuchtturm

Ein weiterer Kritikpunkt ist die erhöhte Lage der geplanten Raststätte „Havelseen“, die im Abwägungsprozess nicht berücksichtigt wurde. Der Acker, auf dem gebaut werden soll, liegt lut Angaben der BI bereits höher als die Umgebung – und soll zusätzlich noch um bis zu zwei Meter aufgeschüttet werden. „Das würde dazu führen, dass die Raststätte wie ein unerwünschter Leuchtturm über der Landschaft thront“, sagt Krüger. Für die umliegenden Dörfer Kartzow, Paaren und Satzkorn würde das hochgelegene Bauwerk die Sicht dominieren, Lärm und Licht würden weit in die Dörfer strahlen.

Artenschutz gefordert

Auch für die Tierwelt hätte die erhöhte Lage der Raststätte Konsequenzen. Ornithologen waren in den vergangenen Wochen in der Umgebung unterwegs und fanden zahlreiche Nachweise für bedrohte Arten. Auf einem direkt angrenzenden Acker wurden Kiebitze und der vom Aussterben bedrohte Flussregenpfeifer entdeckt. Auf dem beplanten Acker nisten mehrere Feldlerchenpaare, Turmfalken und Fischadler. Weitere bedrohte Arten wurden auf dem Vogelzug beobachtet. Die Fläche liegt zwischen den FFH-Schutzgebieten Döberitzer Heide und Mittlere Havelniederung und ist damit ein wichtiges Durchzugsgebiet für Vögel. Würde dort gebaut, gingen nicht nur die betroffene Fläche und der angrenzende Lebensraum verloren, die großflächigen Glasscheiben eines auf einer Hügelkuppe stehenden, vollverglasten Raststättengebäudes würden außerdem zur Todesfalle für Zugvögel, meinen Sachverständige der BI. Die Auswirkungen des Baus der neuen Raststätte und ihres Betriebs seien in den Antragsunterlagen nicht berücksichtigt worden, das mache die Planungen von vornherein rechtswidrig, erklärt Rechtsanwalt Peter Kremer.

Große Teile der angrenzenden Feuchtwiesen und Äcker sind trockengelegte Moorstandorte. Zurzeit setzt sich die Stadt Potsdam gemeinsam mit dem Klimarat der Stadt dafür ein, die alten Moorflächen wiederzuvernässen, um CO₂-Emissionen zu reduzieren. Teile der Raststätte stünden direkt auf einem solchen Moorstandort. Die Möglichkeit zur Renaturierung ginge verloren, wenn auf und direkt an diesen Standorten im großen Umfang Fläche versiegelt würde, ist die BI überzeugt. Ferner seien die Moorstandorte wichtige Lebensräume für seltene Arten, wie sie dort in großer Zahl nachgewiesen wurden.

Neubau wäre viel teurer als gedacht

Die in den Unterlagen angegebene Kostenplanung sei – wie ein Großteil der Gutachten – veraltet, heißt es weiter von der BI. Als Finanzierungsbedarf seien zehn Mio. Euro angegeben worden. Eine Kleine Anfrage über Annalena Baerbock von Bündnis 90/die Grünen ergab jedoch, dass die Bundesregierung bereits 16 Mio. Euro dafür ansetzt. Dabei fehlen nach Ansicht der BI noch viele kostenintensive Punkte, wie zum Beispiel für die Sanierung der Altstandorte und die Sicherung der zahlreichen Bodendenkmale, die sich unter der Untersuchungsfläche befinden: Unter dem Acker liegen eine Siedlung und ein Einzelfund aus dem Neolithikum, ein Rast- und Werkplatz aus der Steinzeit, vier Siedlungen aus der Ur- und Frühgeschichte, zwei Siedlungen aus der Eisenzeit, eine Siedlung aus der römischen Kaiserzeit, zwei Siedlungen aus dem slawischen und zwei aus dem deutschen Mittelalter. „Das ist viel, aber eigentlich logisch, denn es handelt sich um einen der fruchtbarsten Äcker der Region“, sagt Krüger. „Da, wo die Erde fruchtbar ist, haben schon immer Menschen gesiedelt.“

Wertvolle Ackerfläche soll geopfert werden

Die Ackerqualität der betroffenen Fläche ist laut der die Flächen nutzenden Landwirte herausragend. Ein Acker mit bis zu 55 Bodenwertpunkten zählt zu den „Top-Flächen“ nicht nur in Potsdam, sondern in ganz Brandenburg. Nur vier Prozent der Äcker des Bundeslandes weisen eine vergleichbare oder bessere Bodenqualität auf. „Auf einem solchen Acker kann ich selbst in trockenen Jahren noch eine normale Ernte einbringen“, sagt der betroffene Landwirt Stephan Otten. Da Dürrejahre immer häufiger werden und in Potsdam und Brandenburg der Klma- und Umweltschutz immer mehr in den Fokus rückt, erscheint es widersprüchlich, beste Ackerflächen in Parkplätze für Autos umzuwandeln. Der Bodenschutz steht auch in den Handlungsanweisungen, die das Landesumweltamt für Planungs- und Zulassungsverfahren erlassen hat. Danach kommt „dem Erhalt von Böden, die mit einer hohen und sehr hohen natürlichen Bodenfruchtbarkeit eingestuft werden, im Regelfall besondere Bedeutung zu“.

Kritisiert wird von der BI weiterhin, dass das Thema Erholungsraum keine Beachtung fände. „Man findet in den Unterlagen sogar die Aussage, das Gebiet habe keinerlei Bedeutung als Erholungsraum“, sagt Kunde entsetzt, „und das, obwohl der 66-Seen-Wanderweg direkt am betroffenen Acker entlangläuft und die Gegend täglich von Anwohnern zum Joggen, Radfahren und Spazierengehen genutzt wird.“

Mehrere Argumente in der Einwendung der BI beziehen sich detailliert auf den Standortvergleich mit der bestehenden Raststätte Wolfslake und setzen sich auch mit Gegenargumenten zur Modernisierung der 30 Jahre alten Rastanlage auseinander. So liegen Teile der Raststätte Wolfslake im Landschaftsschutzgebiet. Die BI hat sich die Schutzgebietsverordnung daraufhin angesehen und resümiert: „Natürlich hat ein Landschaftsschutzgebiet einen hohen Stellenwert. Aber man muss die Wertigkeit dennoch sachlich vergleichen und auch die Tatsache einbeziehen, dass Wolfslake bereits da ist und nur erweitert werden müsste, während der Raum in Potsdam Nord noch keine Bebauung hat. Das Landschaftsschutzgebiet „Nauen-Brieselang-Krämer“ ist über 23.000 ha groß. Sämtliche der in der Schutzgebietsverordnung aufgeführten Zwecke treffen auch auf die Region im Potsdamer Norden zu, auch wenn diese keinen offiziellen Schutzstatus hat. So steht in der Verordnung, dass es sich um die „Frischluftzone für Berlin“ handele. Potsdam Nord liegt jedoch westlich der Hauptstadt und damit genau in der Hauptwindrichtung für Berlin“, so eine Sprecherin der BI.

In der LSG-Verordnung heißt es weiter, das Gebiet solle wegen seiner Bedeutung für die naturnahe Erholung in der Umgebung der Ballungsräume Berlin und Potsdam erhalten werden. „Da wird es jetzt wirklich spannend“, sagt Kunde. „Wenn die Region bei uns zugebaut wird, dann müssen wir Potsdamer bald tatsächlich zum Erholen nach Brieselang fahren.“

Nach dem Ende der Einwendungsfrist am Donnerstag prüft die Anhörungsbehörde, das Landesamt für Bauen und Verkehr, alle Argumente. In der Zwischenzeit werden die Mitglieder der BI gemeinsam mit engagierten Naturschützern Daten zu der eindrucksvollen Tierwelt in der Region sammeln – und haben vielleicht finden auch Sie ein bisschen Zeit, sich bei einem Spaziergang auf dem 66-Seen-Wanderweg zu erholen und von der Schönheit der Natur zu überzeugen.

Red./BI