Mike Schubert hält Rede zum Konflikt in der Ukraine

In Potsdam läuteten die Glocken der Friedenskirche im Park Sanssouci und der Nikolaikirche. Die Betroffenheit vieler über die militärischen Handlungen Putins in der Ukraine war allgegenwärtig. Um 18:00 Uhr des 24.02.2022 sprach Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, Mike Schubert (SPD), auf einer Friedenskundgebung zu mehreren Hundert Menschen, die sich auf dem Alten Markt versammelten.
Zu der Kundgebung hatte auch das Bündnis Potsdam! Bekennt Farbe eingeladen, dessen Vorsitzender Oberbürgermeister Schubert ist.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert hält vor der St. Nikolai-Kirche auf dem Alten Markt eine Rede zum Ukraine-Russland-Konflikt.

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert hält vor der St. Nikolai-Kirche auf dem Alten Markt eine Rede zum Ukraine-Russland-Konflikt.
Foto: LHP / Jan Brunzlow

Aus gegebenem Anlass veröffentlicht der POTSDAMER hier die Rede des Oberbürgermeisters vom 24. Februar 2022.

Liebe Bündnismitglieder, liebe Abgeordnete aus dem Landtag, liebe Stadtverordnete, liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Potsdamerinnen und Potsdamer, die Ihre Wurzeln in der Ukraine haben, aber heute mit uns in unserer Stadt leben,
danke, dass Sie heute hier sind und wir damit ein gemeinsames Zeichen gegen den russischen Angriff auf die Ukraine setzen.
Es ist ein düsterer, ein erschütternder Tag für die Menschen in der Ukraine und in ganz Europa. Bis zuletzt haben wir alle gehofft, dass die Diplomatie und am Ende mit Ihr die Vernunft die Oberhand gewinnt. Seit gestern Abend war klar, dass diese Hoffnung sich nicht erfüllt. Der russische Präsident Putin hat entschieden, allgemein anerkanntes Völkerrecht zu brechen, das Territorium der Ukraine anzugreifen und damit einen Krieg in Europa zu entfesseln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ja, in Europa. Denn dieser Krieg ist nicht irgendwo. Er hat heute Morgen keine 992 Straßenkilometer von Potsdam entfernt begonnen. Zehn Stunden sind es mit dem Auto nach Lwiw. Ähnlich weit ist die Reise in unsere europäischen Partnerstädte Luzern oder Versailles. Mit dem Flugzeug sind wir schneller von Berlin in Kiew als auf Mallorca. Der Krieg ist nicht irgendwo in der Ferne – er ist nah bei uns in Europa.

Mit dieser Aggression stürzt der russische Präsident Europa in eine der größten Krisen seit 1945. Dafür gibt es keine Rechtfertigung. Allen, die Verständnis dafür zeigen oder den Angriff relativieren sei gesagt: Derjenige, der den Verhandlungstisch verlässt, der das Gespräch beendet, der zu den Waffen greift, der beginnt den Krieg. Und deswegen müssen wir es beim Namen nennen: Es ist ein russischer Krieg, es sind russische Truppen, die einen souveränen Nachbarstaat angreifen, den Marschbefehl hat Präsident Putin gegeben und niemand anders.
Wer mit Waffen spricht, verschafft sich zwar Gehör, erhält aber weder Akzeptanz noch Frieden. Im Gegenteil. Er gefährdet den Frieden und die Sicherheit in Europa und weltweit.

Als Mitglied der Bürgermeister für den Frieden, der internationalen Aktion Mayors for peace, in der ich unsere Stadt vertreten darf, fordere ich ebenso wie meine Amtskolleginnen und Kollegen in vielen Städten weltweit, den sofortigen Stopp des russischen Angriffs. Krieg darf niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein.
Oder wie mein Bürgermeisterkollege aus Kiew, Vitali Klitschko, heute sagte – er erhielt übrigens 2014 in unserer Stadt für sein Engagement für Demokratie und Freiheit den M100 Media Award: „Bei diesem sinnlosen Krieg wird niemand gewinnen“. Meine Gedanken sind heute auch bei ihm und meinen ukrainischen Bürgermeisterkolleginnen und -kollegen, die jetzt den Schutz der Zivilbevölkerung in Ihren Städten organisieren müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
meine Gedanken sind in diesen Stunden bei den Menschen in der Ukraine und bei allen Potsdamerinnen und Potsdamern, die Familie und Freunde in diesem europäischen Land haben.

Ich kann nachvollziehen, dass sie derzeit mit Ungewissheit und Angst Richtung Osten schauen, wo ihre Angehörigen sich womöglich in Kellern vor den Angriffen versteckt haben oder derzeit versuchen, die Städte zu verlassen. Aus Angst vor weiteren Angriffen, vor weiteren russischen Bomben.
Und ich kann mir vorstellen, dass Sie sich fragen:
Wie geht es weiter?
Wie lange können meine Eltern oder meine Schwestern, Brüder, Freunde dort noch leben?
Müssen sie ihre Heimat verlassen um zu überleben?
In den vergangenen Jahren haben wir als Stadt Potsdam gemeinsam mit vielen anderen Städten das „Bündnis Städte Sicherer Häfen“ gegründet. Es ist ein Zusammenschluss von Kommunen, die Menschen, die vor Krieg und Vertreibung fliehen müssen, helfen. Tausende Geflüchtete haben wir aufgefangen und manchem eine neue Heimat geben können.
Es ist entstanden aus den Nachwehen der Flüchtlingsbewegungen des Syrienkrieges in den Jahren nach 2016. Es ist entstanden aus dem Versagen Europas eine gemeinsame Antwort auf den Umgang mit Fluchtbewegungen zu finden. Als Vertreter des Bündnisses stehe ich daher an der Seite von Bundes-Innenministerin Nancy Faeser, die bereits Hilfe für die Menschen aus der Ukraine zugesichert hat.

Ich appelliere als Oberbürgermeister einer der koordinierenden Städte des Bündnisses Städte Sicherer Häfen, das heute 117 deutsche Städte vereint, aber auch an die Bundesregierung und an die Europäische Union: Schaffen sie jetzt zügig die Voraussetzungen für schnelle und geordnete Verfahren. Wir dürfen, wenn es nötig wird, nicht wieder ewig für Lösungen und Aufnahmeverfahren brauchen.

Und wir in Brandenburg, wir sind aufgrund unserer geographischen Lage in einer besonderen Verantwortung. Sie alle können seit heute Mittag die Bilder im Fernsehen live verfolgen. An der ukrainisch-polnischen Grenzen bilden sich Autoschlangen, weil die Menschen aus Angst vor dem Krieg ihr Hab und Gut nehmen und ihre Heimat in Richtung West-Europa verlassen. Wir sind das Bundesland, welches mit am nächsten an der Ukraine liegt. Wir sollten uns vorbereiten.

Wir Bündnis-Städte stehen bereit, um die Menschen aufzunehmen, damit sie in Sicherheit leben können. Sie haben unsere volle Solidarität. Ich bin froh und dankbar, Oberbürgermeister einer Stadt sein zu dürfen, deren Bürgerinnen und Bürger immer wieder gezeigt haben, dass Sie sich solidarisch mit Menschen zeigt, die von Flucht und Vertreibung betroffen sind.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte die Gelegenheit heute hier auch nutzen, um die Potsdamerinnen und Potsdamer der ukrainischen und russischen Comunity direkt anzusprechen. Ich habe persönlich Anfang der 1990er Jahre in Berlin erlebt, welch giftige Wirkung der Krieg auf dem Balkan auch fernab der alten Heimat entwickeln konnte. Gerade jetzt dürfen Sie den Kontakt untereinander und die Kommunikation miteinander nicht abbrechen. Stehen Sie gemeinsam ein für eine tolerante, weltoffene Gesellschaft. Wir sind an Ihrer Seite.
Lassen Sie uns gemeinsam stark bleiben. Achten wir gemeinsam darauf, dass der Krieg uns nicht entzweit. Stehen wir füreinander in Toleranz und Menschlichkeit ein. Und stehen wir zueinander.

Sehr geehrte Damen und Herren,
danke, dass Sie heute hier sind. Und gerade heute, in dieser düsteren Stunde für Europa möchte ich meine Rede mit einem Satz von Willy Brandt beenden, der für mich wie kein zweiter deutscher Politiker, Zeitlebens für eine Entspannungspolitik stand. Es ist heute aktueller denn je:
„Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“.