Interview mit Martina Trauth, Gleichstellungsbeauftragte der Landeshauptstadt Potsdam, anlässlich der 30. Brandenburger Frauenwoche
Für die 30. Brandenburger Frauenwoche haben Sie sich viel vorgenommen. Frauen aller Generationen, Frauen mit ostdeutschen Biografien und Frauen, die nach der Wende nach Brandenburg gezogen sind, sollen ins Gespräch kommen und Bilanz ziehen über 30 Jahre Kampf für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit. Was sind denn Ihrer Meinung nach die größten Erfolge der Bewegung in dieser Zeit?
Ja, es ist viel passiert. Gleichzeitig gab es Rückschritte. Und alles hätte ein bisschen schneller gehen können. Ein ganz aktuelles Highlight war das Paritätsgesetz. Dass das die Frauen geschafft haben! Jetzt sage ich DIE Frauen, weil es wirklich eine überparteiliche, überfraktionelle Leistung war. Dadurch, dass sich die Frauen im Landtag zusammengeschlossen haben und sich sehr einig waren, ist dieses Gesetz auf den Weg gebracht worden – trotz vieler Widerstände. Das ist eine große Leistung! Ein Vorbild für die Bundesrepublik, denn Brandenburg war das erste Land, dass ein Paritätsgesetz beschlossen hat. Da sind wir Brandenburger*innen wirklich sehr stolz darauf, auch auf diese überfraktionelle Zusammenarbeit.
Der Beschluss ist noch gar nicht so lange her. Sicher werden sich andere Bundesländer das zum Vorbild nehmen. Gibt es Anfragen?
Ja, auf alle Fälle. Thüringen hat als zweites Bundesland das Paritätsgesetz im Juli 2019 beschlossen. Und nun steht es schon auf der Kippe, weil die FDP einen Antrag gestellt hat, es wieder rückgängig zu machen. Das wäre ein echter Rückschritt!
Das Paritäts-Gesetz hat bei den letzten Landtagswahlen in Brandenburg noch nicht gegriffen. Aber, selbst wenn wir schon ein Paritätsgesetz gehabt hätten, hätte es bei den Direktkandidaturen nicht gewirkt. So sind zum Beispiel viele Männer aus der SPD durch ihre Direktkandidatur in den Landtag reingekommen und haben Frauen auf den Listenplätzen verdrängt. Es gibt mehr Männer im Landtag als Frauen.
Auf der Jubiläumsveranstaltung anlässlich „Ein Jahr Paritätsgesetz“ hielt Silke Laskowski, Professorin für öffentliches Recht, einen interessanten Vortrag dazu.
Sie berichtete von einer Umfrage in Bayern: Die Direktkandidaten investieren dort viel Geld in ihren persönlichen Wahlkampf. Von bis zu 100.000 Euro war die Rede. Das bezahlen die Kandidat*innen aus eigener Tasche, weil der Wahlkampf für Direktkandidat*innen in der Regel nicht über Landes- und Bundesverbände gefördert wird. Das ist ein offenes Geheimnis.
Ein Ungleichgewicht, denn es sind häufig Männer, die mehr verdienen und somit mehr Geld in ihren Wahlkampf investieren können. Dadurch erhöhen sich ihre politischen Chancen. In Deutschland verdienen Frauen immer noch 21 Prozent weniger als Männer. Das Paritätsgesetz kann man also in dieser Richtung weiter entwickeln. Insgesamt ist das Gesetz aber ein großer Fortschritt!
Ein weiterer Fortschritt ist die Kitaversorgung nach der Wiedervereinigung. Durch die flächendeckende Kitaversorgung in der DDR und dem Selbstverständnis der Ostfrauen für die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, sind wir in der gesamten Bundesrepublik bei diesem Thema wahrscheinlich schneller vorangekommen.
Was verstehen Sie unter Feminismus?
Wir leben in einer von Männern konstruierten Welt mit männlich dominierten Werten. Viele Frauen haben aber eine andere Vorstellung eines guten Lebens, auch eine andere Vorstellung von Wirtschaft und von Familie. Die Frage ist: Was sind die Bedürfnisse von Frauen? Wie wollen wir denn leben, so dass es ein gutes Leben ist? Wollen wir zum Beispiel, dass Frauen weiterhin zum großen Teil unbezahlte Sorgearbeit leisten, die Frauen ausbeutet und in die (Alters-)Armut treibt? Es reicht jedoch nicht aus, nur die Geschlechterdiskriminierung zu beseitigen. In der feministischen Utopie darf es überhaupt keine Art von Diskriminierung geben.
Ist es nicht erstaunlich, dass in Potsdam 70 Prozent der arbeitenden Frauen in Teilzeit arbeiten? In Teilzeit haben sie weniger Karrierechancen und weniger Aussicht auf eine Gehaltserhöhung. Das müssen Frauen hinnehmen, wenn sie ihre Familie versorgen.
Und das ist unser gängiges Gesellschaftsbild – die Vollzeiterwerbstätigkeit von 40 Stunden in der Woche. Viele Frauen mit Kindern wollen das aber nicht. Sie wollen auch Familie leben. Und dadurch sind sie häufig in ihren Karrieren benachteiligt. Grund sind zum Beispiel die unterbrochenen Erwerbsbiografien. Schauen Sie sich die Stellenanzeigen für Führungspersonen an: verlangt werden langjährige Berufserfahrung oder langjährige Führungserfahrung! Frauen können das oftmals nicht vorweisen. Sie haben Brüche in ihren Erwerbsbiografien, weil sie eben bei den Kindern zu Hause waren. Man sollte endlich die bisherigen klassischen Anforderungsprofile verändern und zukunftstauglich formulieren, damit Frauen in Führungsrollen kommen. Denn dort werden sie dringend benötigt.
Was wäre das zum Beispiel?
Dass man zum Beispiel nicht verlangt, dass sie schon langjährige Führungserfahrung in einer hohen Position hatten, sondern, dass Führungserfahrung eines kleinen Teams auch ausreichend ist. Vielleicht waren sie im Elternrat der Schule? Oder sie haben sich anderweitig ehrenamtlich engagiert? Dahinter stecken auch Führungsqualitäten.
Aber das appelliert jetzt alles an die Einsicht der Unternehmen oder der Personaler. Gibt es wirklich keine Handhabe?
Ich versuche in der Verwaltung die Dinge zu verändern. Bei uns sind von 15 Fachbereichsleitern (das ist die obere Führungsebene direkt nach den Beigeordneten) nur fünf Fachbereichsleiterinnen. Wir sind öffentlicher Dienst. Wir haben eine Vorbildfunktion für das Thema Gleichstellung.
Mit einer Gruppe von Frauen aus der Politik, den Fraktionärinnen, wollen wir gemeinsam fraktionsübergreifend die Dinge verändern. Wir treffen uns drei-, viermal im Jahr im Potsdamer Frauenzentrum und besprechen all die Themen, bei denen es um Benachteiligung von Frauen geht. Die Fraktionärinnen haben auf den Weg gebracht, dass die nächsten Leitungsstellen im Sinne der Gleichberechtigung von Frauen besetzt werden sollen. Ein toller Fortschritt für Potsdam!
Es braucht viele MitstreiterInnen, um das Thema Gleichberechtigung zu bewegen. Viele Frauen, gerade wenn sie Kinder haben oder in prekären Arbeitsverhältnissen stehen, sehen, dass sie gesellschaftlich benachteiligt werden und wollen etwas ändern. Diese Frauen zu unterstützen ist mir ein wichtiges Anliegen. Und deswegen geht es mir darum, zu schauen: Wo sind meine MitstreiterInnen?
Die Gesellschaft müsste zur Hälfte von Frauen gestaltet werden, in jeder Hinsicht, weil Frauen die Hälfte der Gesellschaft ausmachen. Wie sehen Sie denn das Paritätsgesetz auf kommunaler Ebene? Was kann man speziell in Potsdam machen, damit mehr Frauen sich politisch engagieren?
Letztendlich geht es darum, dass sich Parteien selbst das Ziel geben müssten, Frauen zu werben, Frauen anzusprechen, Mentoring-Programme aufzulegen. Dass junge Frauen in die Politik reinschnuppern können. Und das Thema wirklich auf dem Schirm haben und sagen: „Das ist uns wichtig.“ Das ist etwas, was aus den Parteien herauskommen muss. Als Fortschritt sehe ich die Doppelspitzen bei der Fraktionsführung. Die meisten Fraktionen haben mittlerweile gemischte Doppelspitzen.
Man merkt es in den Diskussionen der Stadtverordnetenversammlung. Da weht inzwischen ein etwas anderer Wind. Weil mehr Frauen sich trauen, Anträge zu stellen und mitzureden.
Dabei sind es ja gar nicht mehr Frauen geworden, weder bei der letzten Kommunalwahl noch im Landtag. Aber die Frauen, die dabei sind, widmen sich verstärkt frauenpolitischen Themen. Das hat an Fahrt aufgenommen. Und deshalb muss sich damit auseinandergesetzt werden. Das ist wichtig. Es müssen aber noch mehr Programme kommen. Vor allem, dass sich die Parteien selbst mehr mit Gleichberechtigungspolitik, mit feministischer Politik inhaltlich auseinandersetzen. Ich glaube, da gibt es bei einigen noch viel Nachholbedarf.
Zum Beispiel?
Es gab mal eine Zeit, da wurde gesagt: „Ach, was ist mit unseren armen Jungen? Die werden ja abgehängt. Die Mädchen sind viel besser in der Schule. In der Schule zählt Anpassung. Mädchen sind nicht so laut und nicht so widerborstig. Sie sind fleißiger und haben bessere Noten.“ In den Führungspositionen überwiegen trotzdem immer noch die Männer: in der Politik, in der Kultur, im Sport, in der Wissenschaft bei den Professuren, in den DAX-Unternehmen. Auf allen gesellschaftlichen Ebenen.
Junge Frauen werden gut ausgebildet, können ihr Wissen und ihre Erfahrung, aber später wegen der Familie nur begrenzt anwenden. Ein ungenutztes Potenzial?
Genau und deswegen glaube ich, dass sich unsere Gesellschaft viele Kompetenzen und Zukunftschancen vergibt, wenn sie Frauen nicht mitnimmt. Frauen werden dringend benötigt. Wir stehen vor großen gesellschaftlichen Umbrüchen: Die Digitalisierung wird unsere Arbeitswelt enorm verändern. Das kann nicht nur von Männern gestaltet werden. Wir brauchen Frauen für diese Transformationsprozesse mit ihren Kompetenzen, auch in Führungspositionen.
Betrifft das nicht im Grunde genommen die gesamte Gesellschaft?
Genau. Es geht bei diesen Transformationsprozessen, in denen Führung eine besondere Verantwortung hat, um die Gesellschaft als Ganzes. Das ist nicht einfach nur „nice to have“, dass Frauen jetzt in Führungspositionen kommen. Nein, wir brauchen die Kompetenzen der Frauen. Wenn wir nicht selbst die Veränderungen gestalten, dann werden wir diesen Veränderungen unterworfen. Nach den Regeln der Männer, die in Führung sind. Und es sind in der Regel die gut ausgebildeten, weißen, im Übrigen gesunden Männer. Gesund erwähne ich deshalb, weil ich eine inklusive Gesellschaft befürworte. Was ist zum Beispiel mit Menschen mit Behinderungen? Was ist mit den Menschen mit migrantischem Hintergrund? Deren Teilhabe brauchen wir ebenfalls! Letztlich geht es um die Gleichwertigkeit allen Lebens (die übrigens nicht von allen Parteien anerkannt wird).
Alle Menschen sind gleichwertig. Das ist die Basis unserer Demokratie. Und insofern bedeutet Feminismus eine Stärkung unserer Demokratie. Denn im Feminismus geht es genau darum: Wie können wir in einer Gesellschaft leben, in der gleiche Rechte für alle gelten, in der Unterdrückungsmechanismen passé sind? In der Menschen nicht mehr das Bedürfnis haben, sich über andere zu stellen, sich besser zu fühlen und sich Vorteile zu verschaffen? Wo es keine Machtverhältnisse mehr gibt und keine Unterdrückung? Wo niemand mehr auf Kosten der anderen lebt?
Es gibt so viele Wechselwirkungen. Allein, wenn man die Position von Frauen in der Arbeitswelt betrachtet: Was kann man alles machen, um sie zu stärken?
Es geht darum, klare Positionen zu vertreten und dennoch Unterschiede zu akzeptieren. Also nicht die Frau, die drei Kinder hat und 40 Stunden arbeitet als „Rabenmutter“ zu verurteilen. Oder über eine Frau, die zu Hause ist und ihre Kinder versorgt zu urteilen: „Ach, die geht ja nicht arbeiten“. Es ist wichtig, dass das nicht gegeneinander ausgespielt wird.
Welche Rolle spielt eigentlich die Sprache?
Viele Leute wollen gar keine Veränderung: „Die deutsche Sprache muss geschützt werden.!“ Aber unsere Gesellschaft verändert sich ständig. Sprache verändert sich. Und wenn wir das Thema Gleichberechtigung und gleiche Chancen für alle Menschen voranbringen wollen, dann müssen wir die Sprache mitdenken. Eben dass man die Frauen mitspricht und nicht nur die Männer.
Man könnte es umdrehen. Wenn man einen Text schreibt, in dem nur die weibliche Version verwendet wird, fühlen sich Männer vermutlich nicht angesprochen.
Und was macht das? Wenn da „Unternehmer“ stünde? Dann hätten wir nur die Männer im Kopf. Das ist so. Wir sind so konstruiert. In der Zeitung ist es sicher schwer, immer alles auszuschreiben.
In unserem Leitfaden für geschlechtergerechte Sprache in der Stadtverwaltung erklären wir es so: Wenn es geht, schreibt immer: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Man kann „Mitarbeitende“ schreiben. Oder die weibliche und die männliche Form im Wechsel verwenden, also durchaus variieren. Das Gendersternchen, dass ich mittlerweile persönlich favorisiere, berücksichtigt alle Geschlechter, auch das sogenannte dritte Geschlecht.
Die Stelle des Beauftragten für Menschen mit Behinderung ist schon seit Sommer 2019 unbesetzt. Eine Stellenausschreibung misslang. Es gab keine passenden Bewerber. Warum eigentlich nicht?
Der/die Beauftragte muss Aufgaben erfüllen, die sehr anspruchsvoll sind. Zum einen geht es darum, Ansprechpartner*in zu sein für Menschen mit Behinderungen, mit ihnen gemeinsam Dinge zu regeln und voranzubringen, also eine sozialarbeiterische Anforderung. Zum anderen braucht es insbesondere die Erstellung und Fortschreibung des Teilhabeplans eine wissenschaftliche Qualifikation, z.B. in Sozialwissenschaften. Und deswegen wollen wir prüfen, ob wir die Position mit einem höheren Stellenwert ausschreiben sollten.
Auch bei persönlichen Problemen, z.B. einem Mobbing-Problem bei der Arbeit, kann man sich direkt an Sie wenden?
Ich bin interne und externe Gleichstellungsbeauftragte. Intern heißt für die Menschen, die hier in der Verwaltung arbeiten. Es gibt aber auch Menschen aus anderen Unternehmen, die mich ansprechen. Das ist eine schöne Sache, weil ich glaube, manche Leute wissen einfach nicht, an wen sie sich wenden können. Auf alle Fälle bin ich erste Ansprechpartnerin. Ich kann in den meisten Fällen weiterhelfen und sagen, an wen sich die Menschen wenden können.
In unserer letzten Ausgabe hatten wir einen Bericht über einen Pflegedienst im Potsdamer Norden. Im Pflegebereich gibt es ganz große Probleme, Arbeitskräfte zu finden. Haben Sie eine Idee, was man da besser machen kann?
Das ist wirklich ein politisch brisantes Thema. Es ist die Folge davon, dass die sogenannte „Care“-Arbeit – dazu zählen viele klassische Frauenberufe in der Pflege – in der Vergangenheit viel zu schlecht bezahlt wurde. Das sieht man besonders bei der Pflege von alten Menschen. Das waren erst mal nur Frauen, die das gemacht haben. Die hat man schlecht bezahlt. Die Wertigkeit dieser Arbeit wurde viel zu gering eingeschätzt. Wir bräuchten höhere Mindestlöhne. Wenn in einer Gesellschaft definiert wird, wer viel Geld verdient und wer wenig, dann haben typische Frauenberufe halt immer weniger bekommen. Und das ist immer noch so.
Müsste das über die Pflegekassen geregelt werden, weil dort die Sätze ja festlegen werden?
Ja. Und die Pflegenden brauchen unsere Unterstützung.
Die erste Schicht vieler Pflegekräfte beginnt um halb sechs. Da hat aber noch kein Kindergarten geöffnet. Was kann getan werden, damit Frauen mit kleinen Kindern im Pflegeberuf arbeiten können?
Es müssen Lösungen gefunden werden, die es ermöglichen, dass Frauen ihre Kinder schon früh in einer Betreuung abgeben können.
Ist dafür die Stadt verantwortlich? Müsste sie nicht in Vorleistung gehen?
Ja, da kann die Stadt durchaus unterstützend eingreifen. Alleinerziehende sind auch eine benachteiligte Gruppe. Wenn sie z.B. in Berlin arbeiten und lange Fahrzeiten haben, dann ist das mit den Öffnungszeiten der Kinderbetreuung oft nicht kompatibel. Alleinerziehende Frauen und Männer stehen vor großen beruflichen und privaten Herausforderungen, die sie alleine stemmen müssen. Deswegen bräuchten sie mehr Unterstützung, als sie bisher erfahren haben.
Im Kinderrechteindex des Kinderhilfswerks schneidet Brandenburg ziemlich gut ab. Und was sehr negativ aufgefallen ist: In Brandenburg gibt es nur 8,3 Kinderärzte je 100.000 Einwohner. Das sind im Vergleich mit die wenigsten. Was könnte man denn machen, damit sich mehr Kinderärzte ansiedeln? Explizit im Potsdamer Norden?
Da wäre das Gesundheitsamt mit dem Kinder- und jugendärztlichen Dienst erste Ansprechpartner. Ich kenne viele Eltern, die sagen, es ist eine Katastrophe mit der kinderärztlichen Versorgung. Nicht nur im Norden, überhaupt. Die Kassenärztliche Vereinigung sagt da etwas anderes: „Es gibt ausreichend Kinderärzte in Potsdam.“ Und wie viele Niederlassungen es für Kinderärzt*innen geben darf, das legt die Kassenärztliche Vereinigung fest. Dort ist ein Umdenken erforderlich. Da kann die Stadt politisch oder über die Verwaltung nichts machen.
Diese Antworten kommen immer leicht: „Die Regel ist so.“ Müsste man dann nicht die Regel ändern?
Wir sind ja im Netzwerk „Gesunde Kinder“. Und wenn ich mit diesem Thema beauftragt wäre, dann würde ich mich mit diesem Arbeitskreis verständigen und fragen, wie der Stand der Dinge ist. Die haben bestimmt Ideen, was man da machen kann. Aber natürlich muss sich jemand diesem Thema annehmen. Und es stimmt, es ist einfach zu sagen: „Es ist eben so, wie es ist. Das ist rechtlich so.“ Das sind Totschlagargumente.
Insofern gibt es immer Alternativen und Wege. Das macht die Sache so anstrengend und arbeitsintensiv. Dass man immer dranbleiben muss, damit was passiert.
Könnten Sie sich anhand dieses Beispiels so eine Aufgabe selbst stellen oder wer würde Sie beauftragen?
Wenn die Politik, die Verwaltung oder auch Fraueninitiativen sagen, wir müssen da unbedingt was machen, dann könnte ich als Gleichstellungsbeauftragte aktiv werden. Aber ich brauche PartnerInnen. Wenn ich das allein mache, dann bin ich vielleicht halb erfolgreich. Wenn aber die Politik oder der Oberbürgermeister (mein unmittelbarer Chef) oder eine andere wichtige Institution den Auftrag gibt: „Wir wollen das ändern in Potsdam. Was können wir machen? Wollen wir uns da nicht zusammentun? Wir brauchen mehr Kinderärzt*innen“ – dann kann das durchaus gehen. Ich brauche Verbündete für meine Arbeit. Verbündete für die Ziele.
Sie arbeiten bei dem Projekt „Frauen aufs Podium“ mit. Vielleicht können Sie kurz erklären, was die Idee ist? Das ist ja ein Projekt, das über mehrere Jahre angelegt ist.
Auf den Podien dieser Welt sitzen hauptsächlich Männer. Zum Beispiel in den Talkshows. Manchmal ist eine Quotenfrau dabei. So dass man denken könnte, Frauen hätten nichts zu sagen. Wo sind denn die Frauen? Deswegen „Frauen aufs Podium“. Es geht darum, Frauen zu bestärken, mehr in den Vordergrund zu rücken. Das ist das Ziel. In Führung zu gehen auf allen Ebenen. „Frauen aufs Podium“ fing an mit dem Programm „Politik“. In Brandenburg gibt es hauptsächlich Männer in der Politik. Es gibt kaum Bürgermeisterinnen, keine Landrätinnen. „Frauen aufs Podium“ hat sich vorgenommen Frauen für Politik zu stärken. Ihnen Lust zu machen, in die Politik zu gehen.
Frauen wollen häufig alles hundertprozentig machen. Und denken, wenn sie das nicht können, dann müssen sie gar nicht erst anfangen. Männer sind oftmals sehr viel schneller dabei zu sagen: „Hier, das kann ich aber!“
Frauen haben häufig die Kompetenzen, aber sie trauen sich nicht. Insofern hat „Frauen aufs Podium“ auch das Ziel, dass sich Frauen gegenseitig stärken und sich Mut machen. Auch Frau wächst mit ihren Aufgaben. Was glauben Sie, wie viele Männer etwas geworden sind, ohne dass sie das vorher gekonnt haben? Die haben sich durchgebissen. Ich sage nicht, dass das einfach ist. Aber das Durchbeißen gehört manchmal auch dazu.
Mir macht Sorge ist, dass Politik sehr zeitintensiv sein kann. Da muss es mehr Ideen geben, um das einzugrenzen. Dass Sitzungen zum Beispiel nicht bis in den späten Abend dauern. Politik muss auch Spaß machen und darf nicht zu viel Freizeitverlust bedeuten.
Was soll sich in Zukunft in der Gesellschaft verändern?
Wir sollten unsere Visionen nicht vergessen. Und über die müssen wir mehr reden, sonst ändert sich nichts. Warum halten wir an der 40-Stunden-Woche fest? Wie wäre es, wenn alle nur 32 Stunden wöchentlich arbeiten würden? Wirtschaftlich kann das funktionieren. Dann hätten alle mehr Zeit, um sich z.B. ehrenamtlich oder politisch zu engagieren oder nachbarschaftlich. Wir müssen Gesellschaft anders denken! Wir brauchen feministische Utopien. Denn Utopien sind die Basis für Veränderungen.
Schauen Sie sich die Welt durch die Brille eines Menschen an, der im Rollstuhl sitzt oder einer schwarzen Frau. Wie werden sie behandelt? Welche Erfahrungen machen sie mit den Blicken anderer Menschen? Wie redet man über sie oder mit ihnen?
Und so kann man viele Perspektiven einnehmen und vielleicht konstruieren: Wie wäre denn so eine Welt, wo es allen gut ginge und wo keiner aufgrund seiner Herkunft oder seiner sexuellen Identität benachteiligt ist? Wo es keine unterdrückenden Machtverhältnisse gibt? Wir sind ja eigentlich alle dauernd in irgendeinem Machtverhältnis drin. Das sind die feministischen Visionen und die sollten wir auf alle Fälle weiterspinnen – im positiven Sinne. Es geht um eine menschengerechte Gesellschaft und ein gutes Leben.
Liebe Frau Trauth, vielen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Susanna Krüger