Verwaltung und Betroffene sehen Ergebnisse des Werkstattverfahrens sehr unterschiedlich

Es kommt einem vor wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Der Hauptdarsteller wacht jeden Morgen neu auf und erlebt genau das Gleiche, das er am Vortag erlebte.
So geht es auch den Einwohnern und Mitgliedern des Ortsbeirats von Neu Fahrland, allen voran der Ortsvorsteherin, Dr. Carmen Klockow (Bürgerbündnis). Immer wieder versucht die Verwaltung, auf dem Gelände der westlichen Nedlitzinsel ein überdimensioniertes Bauvorhaben zu realisieren, obwohl schon seit Jahren Beschlüsse der Stadtverordnetenversammlung, (SVV) vorliegen, die dies verbieten.

Warum hält sich die Verwaltung nicht an rechtliche Vorgaben und ihre Versprechen?

Im Februar 2021 erfuhr die Ortsvorsteherin von Neu Fahrland rein zufällig von einem erneuten Bauantrag auf der westlichen Nedlitzinsel, den die neue Eigentümerin des Grundstücks eingereicht hatte. Im Interesse des Ortsteils nahm sie unverzüglich Einblick in den Antrag und glaubte nicht, was sie dort sah.
„Der eingebrachte Bauantrag sieht unverändert zu den bereits diskutierten Bebauungsvorhaben eine viel zu dichte, massive und zu hohe Bebauung vor, die seitens der Stadtverordneten bereits mehrfach abgelehnt wurde“, so Klockow im Gespräch mit dem POTSDAMER. „Wir haben uns bereits seit Jahren um eine angemessene und lichte Bebauung auf der Insel, westlich der B 2, bemüht und dafür die entsprechende Rechtsgrundlage durch Beschlüsse in der Stadtverordnetenversammlung geschaffen. Doch statt diesen Beschlüssen entsprechend zu handeln, versucht die Verwaltung, die Einwohnerinnen und Einwohner mit leeren Versprechungen hinzuhalten, während sie parallel die Investoren dabei unterstützt, ihre widerrechtlichen Bauvorhaben zu realisieren. Ehrliches und transparentes Miteinander sehen anders aus“, äußert sich Klockow sichtlich verärgert.

Schon dieser „Siegerentwurf“ aus dem Jahr 2015 verstieß gegen die Auflagen der Ausschreibung, indem er die zugelassene Bruttogeschossfläche um fast 50 Prozent überstieg. Zugelassen waren etwa 15.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche.
Quelle: LHP
Das Ergebnis des jüngsten Werkstattverfahrens legte jetzt eine noch höhere Bebauung fest. Widersprüchlicher kann ein Einigungsverfahren wohl kaum verlaufen.

„Immer wieder die gleiche alte Leier“

Auch der POTSDMER hat in den vergangen drei Jahren immer wieder über die geplanten Bauvorhaben auf der Nedlitzinsel berichtet und dabei die Positionen der drei Beteiligten – Investoren, Verwaltung und Einwohnervertreter – ausführlich dargestellt. Vor allem die Versprechungen der Verwaltung spielten dabei eine wesentliche Rolle. Durch Lippenbekenntnisse hat es die Verwaltung bis heute geschafft, die Beschlüsse der Verwaltung nicht umzusetzen.
„Es ist doch immer wieder die alte Leier“, kritisiert der Sprecher der 2018 gegründeten Bürgerinitiative „Rettet die Nedlitzinsel“, Dr. Wilhelm Wilderink, das Handeln der Verwaltung. „Mit fadenscheinigen Versprechen und rechtlich nicht haltbaren Begründungen verschafft sich die Verwaltung den notwendigen Handlungsspielraum, um die Interessen der Investoren zu vertreten und nicht die Interessen der Einwohner.“

Werkstattverfahren soll Klarheit bringen

In der Februar-Sitzung 2021 des Bauausschusses wurde von den Vertretern der Fraktionen (SPD, Die Grünen und CDU) festgestellt, dass es sich bei der vorgestellten Bauvoranfrage „um eine sehr intensive Bebauung auf der westlichen Seite der Insel Neu Fahrland“ handele, die mit erheblichen „städtebaulichen Problemen“ einhergehe. Potsdams Baubeigeordneter, Bernd Rubelt, bemühte sich jedoch aufgrund der aufkommenden Ablehnung des Bauvorhabens um ein Werkstattverfahren, damit eine „einvernehmliche Einigung mit dem Antragsteller“, der Sea View Projekt GmbH, erzielt werden könne.

„Werkstattverfahren war rechtswidrig“

Wilhelm Wilderink zweifelte schon vor Beginn des Werkstattverfahrens dessen Rechtsgültigkeit an. „Wie kann es sein, dass der Baubeigeordnete ein Werkstattverfahren initiiert, wenn es schon seit Jahren rechtsverbindliche Beschlüsse der Stadtverordneten zu der Bebauungsdichte gibt? Die Verwaltung versucht hier nur wieder ihre eigenen Interessen durchzusetzen und die ihr aufgetragenen Aufgaben zu umgehen“, so Wilderink. Zusätzlich erwähnt Wilderink im Gespräch mit dem POTSDAMER einen weiteren Aspekt, der für ihn die Offenheit des Werkstattergebnisses konterkariert:
„Die Sea View Projekt GmbH ist Teil der Unternehmensgruppe Quarterback Immobilien AG. Und diese gehört zu einem großen Teil der Deutsche Wohnen. Und von dieser ist die Stadtverwaltung abhängig, weil sie der Big-Player in Krampnitz ist. Wer also hier an ein faires und ergebnisoffenes Verfahren glaubt, glaubt auch noch an den Weihnachtsmann.“ Dennoch sprach sich im Frühjahr dieses Jahres die Mehrheit der Mitglieder des Bauausschusses für die Durchführung eines Werkstattverfahrens aus.

Handverlesene Teilnehmer des Werkstattverfahrens

Um ein transparentes und ergebnisoffenes Verfahren durchführen zu können, sollten die Teilnehmer eines Werkstattverfahrens so ausgewählt werden, dass die unterschiedlichen Perspektiven gleichstark vertreten sind. „Dem ist allerdings nicht so! Schon in der Zusammensetzung der Teilnehmer sind wir als Interessensvertreter der Einwohner und des Ortsteils deutlich unterrepräsentiert“, ist Klockow der Meinung. Von 18 Teilnehmern waren sechs Vertreter aus den Fraktionen, fünf Mitarbeiter aus der Stadtverwaltung, vier Mitarbeiter von Seiten des Investors, zwei Moderatoren und lediglich eine einzige Vertreterin aus dem Ortsbeirat von Neu Fahrland.
Im Laufe des Verfahrens wurden einige Termine durchgeführt, bei denen unter anderem drei Arbeitsgruppen eigene Bebauungsvorschläge machten, die sich auf Grundlage des aus der Bauvoranfrage hervorgehenden Bauvorhabens orientierten. Im Ergebnis zeigt sich deutlich, dass sich auch diese Gruppen nicht an die Beschlüsse aus den Jahren 2014 und 2019 und die darin festgeschriebene Bruttogeschossfläche hielten, sondern um ein Vielfaches darüber hinaus planten.

Das Ergebnis des Werkstattverfahrens sollte eigentlich sein, dass man sich auf eine geringere Bebauung einigt, als die im Entwurf von 2015 vorgeschlagene. Die Arbeitsgruppen entschieden jedoch trotz des Richtwertes von 15.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche anders: Gruppe 1 möchte 29.800, Gruppe 2 wollte 28.900, Gruppe 3 immerhin noch 21.900 Quadratmeter Bruttogeschossfläche.
Quellen: privat

Klockow wehrte sich nach ihren Angaben argumentativ gegen diese Vorschläge. In dem dem POTSDAMER vorliegenden Protokoll steht lediglich die Notiz unter dem Punkt „Minderheitenposition in der Arbeitsgruppe 1“: „Das städtebauliche Konzept von SMAQ wird aufgrund der hohen baulichen Dichte abgelehnt. Es steht im Widerspruch zu den gewachsenen Siedlungsstrukturen Neu Fahrlands und dem Charakter der Potsdamer Kulturlandschaft. Als Neubebauung wird eine kleinteiligere Bebauungsstruktur angestrebt“. Diese Minderheitenposition wurde jedoch nicht berücksichtigt. Unnötig zu erwähnen, dass nur Klockow diese „Minderheitenposition“ vertrat.

Für wen „erfolgreich“?

Im Nachgang des Werkstattverfahrens hieß es am 15. Juni 2021 seitens der Stadtverwaltung in einer öffentlichen Mitteilung, dass die „Planungswerkstatt für die westliche Insel in Neu Fahrland erfolgreich abgeschlossen“ sei.
Laut Ortsvorsteherin Klockow sei jedoch „leider in keinerlei Hinsicht ein Konsens erzielt worden, der auch nur ansatzweise den Interessen des Ortsteils gerecht“ werde. „Der Investor wies während des gesamten Verfahrens immer wieder darauf hin, dass das Projekt für ihn in jedem Fall noch rentabel sein müsse. Er kannte aber beim Kauf des Grundstücks die rechtlich bindenden Beschlüsse,“ so Klockow.
In der Mitteilung der Stadtverwaltung heißt es zum Ergebnis weiter: „Das dritte und abschließende Treffen der Planungswerkstatt zur Bebauung der westlichen Insel in Neu Fahrland konnte heute Abend erfolgreich abgeschlossen werden. Ziel war die Erarbeitung eines konsensfähigen Bebauungskonzepts verbunden mit dem Anspruch, vielfältige öffentliche Räume zu schaffen … Im Ergebnis einigten sich die Mitglieder der Planungswerkstatt auf wichtige Prinzipien für das Planungskonzept für die Insel Neu Fahrland, das im weiteren Verfahren die Grundlage für den Bebauungsplan Nr. 143 „Westliche Insel Neu Fahrland“ bilden soll. Die städtebauliche Idee ist gekennzeichnet durch eine deutliche Reduzierung der baulichen Dichte und einen hohen Anteil an öffentlichen Grünflächen. Hervorzuheben ist dabei insbesondere die Aufwertung des Straßenraums der Tschudistraße/B2 durch zusätzliche Baumpflanzungen und attraktive Geh- und Aufenthaltsbereiche. Für die Insel selbst steht die öffentliche Nutzbarkeit als Ort der Begegnung mit verschiedenen Angeboten im Mittelpunkt. So sind unter anderem ein Zugang zum Wasser an der Robinsonbucht, ein Café, ein Bäcker und Platz für weitere Versorgungsangebote geplant.

Der Baubeigeordnete Bernd Rubelt erläutert hierzu: „Der ursprüngliche Siegerentwurf des Gutachterverfahrens aus dem Jahr 2015 wird den veränderten Ansprüchen der Bürgerinnen und Bürgern und den aktuellen Planungen zur Verlängerung der Straßenbahn nach Norden nicht mehr vollständig gerecht. Deshalb wurde durch die Bauverwaltung der Landeshauptstadt die Planungswerkstatt ins Leben gerufen zur Förderung eines direkten und offenen Dialogs.“ Teilnehmer der Planungswerkstatt waren Mitglieder des Stadtentwicklungsausschusses, des Ortsbeirats Neu Fahrland, des Gestaltungsrats, Vertreter des Immobilieninvestors sowie der Bauverwaltung.
„Der konstruktive und lösungsorientierte Austausch in der Planungswerkstatt“, so der Beigeordnete weiter, „war eine wichtige Voraussetzung für das erzielte Ergebnis, das nun Grundlage werden kann für eine Leitentscheidung der Stadtverordnetenversammlung.“ Eine entsprechende Vorlage soll voraussichtlich im Herbst in den politischen Beratungsprozess eingebracht werden.
In der Werkstatt thematisiert wurde auch die Frage, welche Baurechte aktuell auf der Insel bestehen. Auch wenn diese Baurechte keine Prägung für das zukünftige städtebauliche Konzept für die Insel bedeuten, sind sie dennoch wichtig für das weitere Verfahren, zum Beispiel für die Angemessenheitsprüfung im Rahmen des Baulandmodells. Deshalb wird eine Darstellung zu diesem Thema zusammen mit der Leitentscheidung vorgelegt.“

Nach Meinung des Investors (Quarterback) basiere dieser Entwurf auf dem Vorschlag der Gruppe 1 und stelle die übereinstimmenden Grundzüge aller drei Gruppenarbeiten dar.

„Kein Baurecht“

Nachdem Klockow hat ansehen müssen, wie die seitens des Ortsbeirates eingebrachten Positionen von den anderen Teilnehmern ignoriert und die Fragen nach der baurechtlichen Situation nicht ausreichend behandelt und geklärt wurden, beauftragte sie selbst einen Gutachter. „Recht und Gesetz werden in Deutschland nicht nach Mehrheitsverhältnissen geregelt“, sagt Klockow bestimmt. „Und weil ich keine Juristin bin, aber erhebliche Zweifel an den uns mitgeteilten Rechtsinterpretationen hatte, habe ich ein Gutachten zur Klärung der bauplanungsrechtlichen Qualifizierung des Grundstücks erstellen lassen.“
Bei der Wahl des Gutachters war Klockow nicht zimperlich. Mit „Partsch und Partner“ wählte sie eine Fachanwaltskanzlei, die nicht unbekannt ist. Vor allem für die Landeshauptstadt nicht, denn diese hat bereits mehrere baurechtliche Verfahren gegen die Kanzlei verloren. Die Kanzlei kommt in ihrem Gutachten nach umfänglicher Begründung zu folgendem Ergebnis: „Das Grundstück in der Tschudistraße 2 in 14476 Potsdam ist planungsrechtlich als Außenbereich nach § 35 BauGB zu qualifizieren. Die Darstellungen des Flächennutzungsplans der Landeshauptstadt Potsdam als Bauland haben keine Außenwirkung und sind für die Zulässigkeit der Bebauung irrelevant. Das Grundstück ist daher grundsätzlich von jeder Bebauung freizuhalten.“
Laut Klockow habe die Bauverwaltung während des gesamten Werkstattverfahrens suggeriert, dass für das besagte Grundstück bereits Baurecht bestehe. „Mit dem Ergebnis, dass das Grundstück in der Tschudistraße 2 von jeder Bebauung freizuhalten ist, ist diese Behauptung nicht länger haltbar. Damit ist dem gesamten Werkstattverfahren die Grundlage entzogen. Ich bestehe ausdrücklich auf einer belastbaren juristischen Stellungnahme zur Frage der derzeitigen Bebaubarkeit und eine entsprechend angemessene Verschiebung der endgültigen Verabschiedung der Ergebnisse des Werkstattverfahrens“, macht Klockow ihre Position deutlich.
Klockow verstehe auch nicht, warum die Interessen eines Investors über denen der Einwohner und ihren gewählten Vertretern stehen sollen und die Verwaltung immer wieder mit ihren „fragwürdigen Spielchen“ durchkommen solle.
In diesem Zusammenhang wies Klockow noch einmal darauf hin, dass jegliche Bauleitplanung in Neu Fahrland gemäß Eingliederungsvertrag vom 13. März 2002 nur im Einvernehmen mit dem Ortsbeirat erfolgen dürfe. „Dieses Einvernehmen ist in diesem Fall nicht hergestellt. Aus diesem Grund allein scheint das gesamte Vorgehen der Bauverwaltung rechtswidrig.“

sts